Vordenker des Nationalsozialismus
Als Vordenker des Nationalsozialismus bezeichnet man Menschen, die mit ihren Ideen oder Werken den Nationalsozialismus beeinflusst haben, bzw. Begriffe geprägt haben, die die Nationalsozialisten aufgenommen haben.
Rassismus und Antisemitismus
Grundlegende Ideologeme des Nationalsozialismus sind der Rassismus und der Antisemitismus. Die NSDAP tritt ideologisch die Nachkommenschaft der antisemitischen Parteien der 1880er Jahre an. Diese Gruppierungen machen für alles Störende die Juden verantwortlich , wie Heinrich von Treitschke (1834-1896) formuliert und die Nazis sich ihm anschlossen: "Die Juden sind unser Unglück." Mit dem Hass gegen Juden einher geht die Ablehnung der Moderne, die den Juden rechtliche Verbesserungen gebracht hat und für die Antisemiten nicht zuletzt aus diesem Grund bedrohlich erscheint.
Arthur Gobineau (1816-1882) formuliert in seiner Rassentheorie 1855 den Gedanken der Höherwertigkeit einer arischen Rasse – eine Idee, die unter Anderem bei Richard Wagner positiv aufgenommen wird. Der ursprünglich aus der Sprachwissenschaft stammende Begriff Arier regte vor allem in Deutschland viele Menschen an, die sich von der staatstragenden christlichen Kirche enttäuscht fühlen und in der Moderne eine Bedrohung für ihre Vorrechte sehen. Sie konstruieren sich eine als Neu-Heidentum bezeichnete Religion die aus verschiedenen rassistischen, anti-semitischen und vermeintlich germanischen Versatzstücken zusammengesetzt ist. Diesen Ansatz hat u.a. der von Alfred Rosenberg bewunderte Ludwig Klages (1872-1956) weiterentwickelt. In diesem esoterischen Umfeld gründet der germanengläubige Schriftsteller Guido von List (1848-1919) 1907 die Armanenschaft, deren Symbol das Hakenkreuz ist. Dieses Kennzeichen übernehmen später Freikorps-Truppen und ab 1920 taucht es auch bei den Nazis auf. Später führende Nationalsozialisten aus München schließen sich der 1917 gegründeten Thule-Gesellschaft an und versuchen später auch, das Heidentum zur nationalsozialistischen Staatsreligion zu machen. Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) aber auch der Esoteriker Jörg Lanz von Liebenfels (1874 - 1954) verknüpfen den Gedanken einer arischen Rasse mit dem der Höherzüchtung der Menschen. Dieser Ansatz passt zu dem von Alfred Ploetz, der 1895 den Begriff Rassenhygiene geschaffen hat und mit ihm einen rassistisch und sozialdarwinistisch geprägten Ansatz formuliert hat, wie Fortpflanzung und darüberhinaus das Recht auf Leben staatlicherseits gelenkt werden können.
Nationalismus
Der deutsche Nationalismus des 19. Jahrhunderts liefert den Nationalisten eine Reihe von Schlagworten wie Emanuel Geibels (1815-1884) Ausspruch "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen". Auch Blut-und-Boden-Mystik findet sich in dieser Zeit wie z.B. bei Joseph Victor von Scheffel (1826 - 1886) und findet ihre rechtliche Grundlage im ius sanguinis, also der Regelung der Staatsbürgerschaft aufgrund der Herkunft. Dieses Gesetz wird in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts in den verschiedenen deutschen Kleinstaaten eingeführt und vom Deutschen Reich übernommen. Rassistische Organisationen wie der 1880 als Deutscher Schulverein gegründete Verein für das Deutschtum im Ausland nutzen dieses Staatsbürgerschaftsverständnis dazu, deutschsprachige Minderheiten in anderen Staaten aufzuhetzen und damit die betroffenen Staaten zu destabilisieren.
Einen ähnlichen Ansatz vertritt der Alldeutsche Verband (gegründet 1891), der sich darüber hinaus für eine militante Kolonialpolitik einsetzt. Mit dem Glauben einer überlegenen Rasse anzugehören vertreten entsprechende Ideologen auch den Anspruch auf die Eroberung weiterer Territorien, entsprechende Bücher sind z.B. Friedrich Ratzels Der Lebensraum von 1901 und Volk ohne Raum von Hans Grimm (1926). Beide Titel gehen als Schlagworte in die nationalsozialistische Propaganda ein.
Militarismus und Genozid
Während des Kolonialismus schlugen deutsche Truppen hart die Aufstände u.a. der Hehe (1888-1891), Herero (1904-08) und Nama (1893 und 1904-08) nieder. Die Nationalsozialisten kopierten mit ihren Braunhemd das (Lettow-Hemd). Bei der Durchführung des Genozids an den Armeniern 1915/16 durch das Osmanische Reich waren deutsche Offiziere involviert. Der Diplomat Max Erwin von Scheubner-Richter (1884-1923) hat vermutlich über die Durchführung des Genozids an den Armeniern erfahren und diese weitergegeben – Hitler wird mit dem Ausspruch "Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?" zitiert, der seine Einstellung ausdrückt, dass die systematische Ermordung der Juden historisch nicht belastend wirken würde.
1920 werden unter Anderem in Stargard erstmals auf deutschem Boden entsprechend bezeichnete Lager erbaut, die dazu dienen, Sinti und Roma und Juden, die aus Osteuropa eingewandert sind, zu verwahren und auf eine Rückführung vorzubereiten. Aufgrund der untragbaren Zustände in den Lagern werden sie 1923 aufgelöst.
Die Verherrlichung des Krieges zählt weiterhin zu den Grundelementen nationalsozialistischen Denkens. Dabei spielt die Dolchstoßlegende eine wichtige Rolle – also die von der deutschen Heeresleitung nach dem 1. Weltkrieg vertretene Behauptung, den Krieg nur aufgrund der Novemberrevolution verloren zu haben. Die Weimarer Republik und der Versailler Vertrag sind für deutsche Militaristen eine Schande, diese Einstellung wird auch von den Nationalsozialisten aufgegriffen. Mit dem Argument der Judenzählung wird diese Schande zudem jüdischen Einflüssen zugeschrieben. Diese Statistik wurde 1916 von antisemitischen Kräften angestrengt um den Anteil jüdischer Soldaten zu ermitteln. Auch wenn die (mit empirisch fraglichen Mitteln) erhobenen Daten kaum aussagekräftig sind, lässt sich heute doch sagen, dass jüdische Soldaten mit anderen Gruppen in vergleichbarem Ausmaß an Fronteinsätzen beteiligt waren und ähnliche Opferzahlen zu beklagen hatten. Die Statistik wird zwar nicht veröffentlicht, alleine die Erhebung der Daten bietet aber deutschen Militaristen wie den Nationalsozialisten Anlass von jüdischen Drückebergern zu sprechen und ihnen die militärischen Niederlagen anzulasten.
Führerhörigkeit
Im Militarismus enthalten ist der Führer- und Unterwerfungsgedanke, den die Nazis bis ins Extreme ausreizten. Dabei hat dieses Ideologem in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts relativ weite Verbreitung. Er findet sich in ganz anderen Zusammenhängen z.B. in Jugendbewegung und der Reformpädagogik. Bei Gustav Wyneken (1875-1964) ersetzt der Führungsgedanken in der Erziehung das autoritäre Lehrer-Schüler-Verhältnis durch eine emotional ? ja, erotisch ? aufgeladene Bindung. In der Massenpsychologie des Nationalsozialismus findet sich ein solches gefühlsgeladenes Verhältnis zum "Führer" wieder. Die Machtübernahme der italienischen Faschisten 1922 und ihr Duce Benito Mussolini inspiriert die Nazis nachhaltig. An die antimodernen Ideologien des Kaiserreiches knüpfen Vertreter der konservativen Revolution wie Ernst von Salomon und Ernst Jünger an, die damit ihre Ablehnung der Demokratie der Weimarer Republik begründen. Arthur Moeller van den Bruck prägte 1923 den Begriff des 3. Reicheses, das dem nach dem 1. Weltkrieg zerschlagenen 2. Deutschen Reich folgen solle. Dabei greift er neben der historischen Numerierung auf theologische Endzeittheologie zurück, nach der das 3. Reich das Weltenende darstellt. Völkische Rechts- und Sozialphilosophie mit dem Glauben an einen organischen Staat z.B. Karl Larenz oder Carl Schmitt. Demnach wären eine Einheit von Politik, Moral und Recht anzustreben und die Individuen würden ihren Platz in der Gesellschaft durch ihrer Herkunft angeboren sei. Den von ihnen postulierten Dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus begründen sie in der Tradition der Antimodernen mit einem doppelten Antisemitismus der jüdischen Weltverschwörung, die sowohl hinter dem Kapitalismus US-amerikanischer Prägung als auch hinter der sozialistischen Sowjetunion stünde.
Einschätzung
Wie weit diese Personen selbst dem Nationalsozialismus nahe gestanden haben oder ihn befürwortet hätten lässt sich zumindest bei den vor Aufkommen des Nationalsozialismus Verstorbenen nur spekulieren. Deutlich ist aber, dass ihr Gedankengut kritisch zu bewerten und mit demokratischen Ideen in der Regel nicht zu vereinbaren ist. Ob freiwillig oder nicht, sie haben einen bedeutenden Beitrag zur Ideengeschichte des Nationalsozialismus geleistet. Einzelne der Vordenker, insbesondere der konservativen Revolution haben auch die 'Neue Rechte' bzw. aktuelle Strömungen des Rechtsextremismus beeinflusst. Einzelne Vordenker, die vor oder nach 1933 versucht haben, sich den Nazis als Helfer anzudienen wie Carl Schmitt oder Martin Heidegger haben sich nach Konflikten mit der Führung wieder zurückgezogen.
Die Symbole und Begriffe des Nationalsozialismus haben ihren Ursprung in den völkischen Ideologien aus dem vorigen 50 Jahren. Ein großer Teil der von Adolf Hitler in Mein Kampf formulierten Unmenschlichkeiten hat er aus Werken abgekupfert, die zumeist im späten 19. Jahrhundert entstanden sind. Während diese Ideologeme also keineswegs originell dem Nationalsozialismus zuzuschreiben sind, ist doch die Brutalität beispiellos, mit der während der Zeit des Dritten Reiches diese Ideologie in die Realität umgesetzt wurde.