Kapitalismus
Der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsordnung, die den Feudalismus und das bürgerlich-handwerkliche Stadtwesen (Manufakturen) im 17. Jahrhundert ablöste. Die Definition des Kapitalismus ist ein Kampffeld von Ideologien:
- Produktionsform in der verschiedene gleichberechtigte Produktionsmittel zum Einsatz kommen: Arbeit, Kapital und Boden. Der Unternehmer bekommt durch den Profit das Risiko, das er mit dem Einsatz seines Kapitals auf sich genommen hat, sowie den vorläufigen Verzicht auf das investierte Kapital abgegolten (Opportunitätskosten). In diesem Sinne erscheint er (spätestens nach der Erfindung des Geldes) bereits in der Antike.
- Ökonomische und gesellschaftliche Formation (Wirtschaftsweise), in der die Vermehrung des Kapitals (die "Selbstverwertung des Werts") sich verselbstständigt und das Primat erlangt hat über die Bereitstellung von Nutzen, Gebrauchswert.
Kapitalistische Ökonomien zeigten eine schwankende, aber eindeutige Tendenz in Richtung ökonomischen Wachstums. Manchmal befanden sich die Volkswirtschaften in zerstörerischen Perioden, wie etwa die Weltwirtschaftskrise, als Niedergang vieler Volkswirtschaften in den 1930er Jahren, und manche sehen, dass nur die Intervention von Seiten des Staates es ermöglichte, den Kollaps der kapitalistischen Ökonomien anzuhalten. Sie meinen, dass nur die staatlichen Interventionen überhaupt in den kapitalistischen Ökonomien ein Wachstum erst ermöglicht hatte, und dass ein ökonomisches Wachstum nicht dem Kapitalismus geschuldet ist, sondern dass er es verhindert. Die Ursachen seien woanders zu finden, etwa im Imperialismus oder in der wissenschaftlichen Forschung. Andere argumentieren, dass Wachstum, oder auch ein Wachstum, das von Demokratien gelenkt werde, prinzipiell schlecht sei. Wie auch immer, gut oder schlecht, trotz oder wegen Kapitalismus, die Geschichte deutet daraufhin, dass kapitalistische Ökonomien wachsen.
Kapitalistische Ökonomien zeigen eine ungleiche Verteilung des Wohlstands. Die große Mehrheit der Menschen ist Arbeitnehmer, eine Minderheit ist Unternehmer und in ihren Händen liegen die Masse des Wohlstandes und des Kapitals. Unternehmer und andere Besitzende können ihr Leben vom Verkauf oder von Zinseinkünften verschiedener Art bestreiten.
Das Hervorbringen einer Netzwerkstruktur und von Oligopolen: kapitalistische Ökonomien haben eine Vielzahl von Unternehmen und auch Leuten, die frei sind, gewisse Vereinbarungen miteinander zu machen. Die Ökonomie reagiert auf Veränderungen in der Technologie, auf Entdeckungen und andere neue Situationen, mithilfe der Firmen und ihrer Individuen, die ihre Arrangements untereinander wieder neu bewerten. Demgemäß scheinen die Kontrollmechanismen der Ökonomie, und der sie betreffende Informationsfluss, sich immer wieder zu verändern und einer Art "Survival of the fittest" zu unterliegen, die der biologischen Entitäten nicht unähnlich ist. Analysen der Netzwerke und Arrangements, der Verflechtungen im Kapitalismus, haben einen Grad von Ähnlichkeit zu anderen Netzwerken, wie etwa dem Telefonsystem oder dem Internet gezeigt. Ein Versuch diese Netzwerke zu visualisieren bietet [1]. Manche sehen die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomien als positive Adaptionen in Richtung Verbesserungen an. Andere sehen sie als absichtslos, zufällig und chaotisch.
In einer kapitalistischen Gesellschaft erhalten die meisten Individuen die finanziellen Mittel für ihren Lebensunterhalt durch entlohnte Arbeit an einem Arbeitsplatz. Allerdings kann es vorkommen, dass Menschen keinen Arbeitsplatz finden, also niemanden, der ihr Angebot von Arbeitskraft "kauft", etwa weil in ihrem Umfeld kein Bedarf vorhanden ist oder weil sie nicht gewillt sind, ihre Arbeitskraft für den von den Unternehmen gebotenen Preis (Entgelt) anzubieten.
Unbekannte und ungeprüfte Planung im gesellschaftlichen Maßstab: Obwohl es innerhalb von Unternehmen und auch anderen Organisationen einen großen Aufwand an Planung gibt, gibt es keine generelle wirtschaftsweite Richtung, keine zuverlässigen wirtschaftlichen Vorhersagen, oder ein Wissen, wie sich eine Firma kurzfristig in den nächsten Jahren orientieren soll. Während heute beinahe jede Transaktion von den Leuten geplant und bestätigt werden muss, die daran teilnehmen, erscheinen viele gesellschaftliche Phänomene, die sich von Geschehnissen eines Marktes ableiten lassen und die selten geplant, vorhergesehen oder von jemanden autorisiert wurden.
Abweichend von der allgemein verbreiteten Ansicht, dass der Kapitalismus ein sich fortwährend positiv entwickelndes, nur durch temporäre Wirtschaftskrisen beeinträchtigtes und an sich stabiles System sei, gehen Systemkritiker und auch namhafte Wirtschaftswissenschaftler davon aus, das dies nicht der Fall sei. Statt eine ewige Fortentwicklung anzunehmen, sehen sie den Kapitalismus selbst nur als temporär stabile Episode an, sogar als ein Schneeballsystem, dessen Zusammenbruch praktisch unvermeidlich sei. Empirisch untermauert sehen sie diese Ansicht z.B. durch Analyse der bestehenden Systeme vor der Französischen Revolution von 1789 und der mit dem Jahr 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise. Auch der Zusammenbruch antiker Hochkulturen wird mit dem kapitalistischen System in Verbindung gebracht.
Insbesondere wenn Kapitaleigner über den so genannten Unternehmerlohn hinaus Gewinne erwirtschaften, kommt es zu einer zunehmenden Ungleichverteilung des Kapitals. Es sammelt sich bei den Eigentümern der Firmen und ihren Kreditgebern, die von den wachsenden Gewinnen oder Zinsen einen immer kleiner werdenden Anteil für ihren Konsum ausgeben, sondern immer mehr sparen und investieren. Bei sinkendem Wachstum werden Investitionen zurückgehalten. Viele getätigte Investitionen in Produktionsanlagen werfen dann nicht mehr die erwartete Rendite ab, und für das bereits durch Verschuldung entstandene Geld gibt es kaum noch Möglichkeiten, es entsprechend der Renditeerwartungen anzulegen. Wenn der Zins sich der Nullgrenze nähert kann es sein, dass nicht mehr genügend Geld für den Kauf der produzierten Waren und Dienstleistungen bei denen verfügbar ist, die kein über das Existenzminimum hinausgehendes Vermögen besitzen.
Die große Effizienz und das große Wachstum, welches der Kapitalismus in der Aufbauzeit hervorbringt, kann insbesondere bei mangelndem Wettbewerb zur Anhäufung von Geld auf der einen Seite und parallel aufgenommenen Schulden auf der anderen Seite führen.
Wenn die Wachstumspotentiale in einer entwickelten Volkswirtschaft kleiner werden, kann es aufgrund der Zinslasten zu einer implosionsartigen Konzentration des Vermögens kommen, was zunächst zu Deflation sowie zu anschließender Hyperinflation oder Staatsbankrott führen kann.
Von Manchen wird in einer Demokratie ein Ausweg für möglich gehalten, der leider noch nie beschritten wurde:
Der friedliche Übergang zu einer Kreislauf-Marktwirtschaft durch eine konsequente Vermögenssteuer. Dadurch könnten zugleich die leistungsfeindlichen, einkommensabhängigen Steuern oder Abgaben gesenkt werden und so die Wirtschaft wieder positive Impulse erhalten.
Ein bedeutender Theoretiker des Kapitalismus ist der schottische Nationalökonom und Moralphilosoph Adam Smith mit seinem Hauptwerk "Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Nationalreichtums" (1776). Er begründet den Eigennutz als einen wichtigen Motor für Wohlstand und gerechte Verteilung und meint, dass die Selbstregulation des Marktes durch Gleichgewichtspreise mehr Vertrauen verdient ("unsichtbare Hand").
Adam Smith ging grundsätzlich vom Guten im Menschen aus.
Der Begriff des "Kapitalismus" wurde maßgeblich von Karl Marx und Friedrich Engels in der von ihnen begründeten Politischen Ökonomie geprägt. Jede Ware habe einen Doppelcharakter, sie sei sowohl Tausch- als auch Gebrauchswert. Die Vermehrung des Kapitals erfolge über die Ausbeutung fremder Arbeitskraft als Lohnarbeit, in dem diese systematisch unter Wert bezahlt werde und ihr auf diese Weise der Mehrwert vorenthalten werde. Er meinte, wie die kapitalistische Dynamik von ihrem eigenen inneren Antagonismus vorangetrieben wird - die ultimative Grenze des Kapitalismus, der kapitalistischen, sich selbst vorantreibenden Produktivität ist das Kapital selbst, das heißt, der irre Tanz ihrer bedingungslosen Produktivitätsspirale, ist letztlich nichts als eine verzweifelte Flucht nach vorn, um dem ihr selbst inhärenten und sie schwächenden Widerspruch zu entkommen.
Der Soziologe Max Weber stellte in seinem Buch Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus die These auf, dass Kapitalismus und Bürokratie aus religiösen Gründen entstanden und ihre Weiterentwicklung aus der Reformation bezogen ("protestantisches Arbeitsethos" / protestantische Ethik).
Der Ökonom Joseph Schumpeter meinte, die "Maschine Kapitalismus" funktioniere gut, ihr Antrieb sei das freie Unternehmertum; gerade der Erfolg bringe es mit sich, dass der Kapitalismus seine eigene soziale Struktur, die ihn schützt und stützt, immer wieder zerstört und neu errichtet. Er sah ihn als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung. Jedoch produziere er eine "Krise des Steuerstaats", der sein Ende bedeuten könne.
Der Kapitalismus kennt in seiner postexpansiven Phase keine Automatismen, die die Leistungsträger einer Volkswirtschaft zur Erhaltung des Breitenwohlstands motivieren. Das System neigt dann dazu, sich selbst zu verzehren.
Im weiter fortgeschrittenen Stadium entwickelt sich auch in kapitalistisch organisierten Wirtschaftsordnungen der Zentralismus zum dominanten gesellschaftlichen Ordnungsmerkmal. Die Folgen gleichen dabei denen kommunistischer Staatswirtschaften: Einschränkung der Produktvielfalt, Verlangsamung der Innovation etc. Zur Risikovermeidung tendieren die marktbeherrschenden Oligopolisten und Monopolisten bei Luxusgütern zu überhöhten Preisen, bei Basisgütern zur Unterversorgung des Marktes. Die Nachfrageseite, die der Verbraucher, versucht durch Vermeidung von Solidaritätsabgaben (Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit) die für sie negativen Folgen dieser Entwicklung abzumildern. Um diese Entwicklung einzudämmen, werden polizeistaatliche Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte benötigt. Durch die Strafandrohung, die mittels einer lückenlosen Überwachung durchgesetzt wird, steigt die Unterversorgung des Marktes bei gleichzeitigem Anwachsen von ungenutzten menschlichen und dinglichen Ressourcen.
Symptome dieser Krise sind neben dramatischen Entwicklungen wie Staatsbankrott, Börsencrashes, Standortverschiebungen allein zugunsten des "Shareholder Value", auch in einer gemilderten Form zu sehen: der Inflation. Als weiteres Zeichen wird angesehen, dass Kosten externalisiert und der Allgemeinheit aufgebürdet und Bedürfnisse nur mehr marktorientiert organisiert werden.
"Kapitalismus" und "Imperialismus" wurden zuerst von Rosa Luxemburg ("Die Akkumulation des Kapitals", 1913) analytisch verbunden, andere Theoretiker des Marxismus, die den diesbezüglichen Zusammenhang zu analysieren versuchten, waren Rudolf Hilferding ("Das Finanzkapital", 1910) oder Nikolai Bucharin ("Imperialismus und Weltwirtschaft", 1917). Am umfassendsten stellte W. I. Lenin das marxistische Verständnis des Imperialismus dar. In der Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus" (1917) definiert Lenin den Monopolkapitalismus, der noch zu Lebzeiten von Karl Marx und Friedrich Engels den Kapitalismus der freien Konkurrenz ablöste, als umfassend neues Stadium des Kapitalismus, als dessen höchstes und daher auch letztes Entwicklungsstadium. Diese Leninsch'sche Imperialismustheorie war in weiterer Folge auch Basis für die so genannte Stamokap-Theorie (staatsmonopolistischer Kapitalismus).
Allgemeine Eigenschaften kapitalistischer Ökonomien
Wachstum (im ökonomischen Sinn)
Verteilung des Wohlstands
Netzwerk und Oligopol
Beschäftigung/Arbeitslosigkeit
Planung
Krise oder Zusammenbruch?
In der Folge des Zusammenbruchs des Staats- und Wirtschaftsystems kann es zu Krieg oder Revolution kommen, woraus nach dem Zusammenbruch des Gesellschaftssystems eine weitere kapitalistische Episode hervorgehen kann.Theoretiker
Adam Smith
Karl Marx und Friedrich Engels
Max Weber
Joseph Schumpeter
Kritik
Kapitalismus und Frieden
Von Befürwortern des Kapitalismus wird die These vertreten, dass er die einzige Wirtschaftsform sei, die Frieden schaffe. Die durch Handel entstandenen Verknüpfungen untereinander würden Nationen bzw. Handelspartner schon wegen des eigenen Nutzens dazu zwingen, friedlich miteinander Handel zu treiben.Imperialismus
Zeitgenössische Welt-System-Theoretiker wie Immanuel Wallerstein sehen Imperialismus als Teil eines generellen, graduell anwachsenden Kapitalmarktes, der sein Zentrum in den Industriestaaten hat und sich von einer so genannten Peripherie unterscheidet. Er stimmt damit mit J.A. Hobson überein. Wallerstein meint, der Handel wurde das wichtigste Instrument in der Entwicklung von damals semi-peripheren Ländern, wie Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien oder andere, um sog. "Core Countries" zu werden. Wallerstein erkennt ein formales "Empire" als eine ausführende Funktion, als eine notwendige Folge, ähnlich, dem was die Händler und Kaufleute in England und Frankreich im 17 und 18. Jahrhundert antrieb. Die Expansion der industriellen Revolution hat also eine Ära der nationalen Rivalitäten hervorgebracht, das dem Imperialismus der Staaten in Afrika im 19. Jahrhundert vergleichbar ist.Zitate
Siehe auch: Kommunismus, Libertarismus, Regulationstheorie, Kulturkapitalismus, Kapital, Das Kapital, Globalisierung, Manchesterkapitalismus, Marktwirtschaft, Monopolkapitalismus, Walter BenjaminLiteratur
Weblinks