Schwedische Literatur
Mittelalter und Kalmarer Union (1100 – 1527)
Wenn man von den Runensteinen absieht, die oft nur kurze Inschriften haben, gehören die Landschaftsgesetze aus dem 13.Jahrhundert zur ältesten Literatur Schwedens. Mit der Verbreitung des Christentums entsteht auch eine religiöse Literatur, die Hymnen und Übersetzungen von Teilen der Bibel umfaßt. Im 14. Jahrhundert erreicht die höfische Literatur aus dem Süden Schweden. Drei Ritterromane (Eufemiavisor) werden ins Schwedische übersetzt und mit der Erikskrönika (Erichschronik) entsteht eine – durchaus politisch motivierte - Chronik über den Machtkampf um 1300. Die größte Schriftstellerin des Mittelalters ist aber die heilige Birgitta, die in ihren Himmelska uppenbarelser (Himmlischen Offenbarungen) ihre Visionen schildert und politische und kirchliche Gegner angreift. Einer Erwähnung wert sind auch die allgemeinnordischen Balladen, die als Volksepen lange fortlebten und die Volkstradition bis in das 20. Jahrhundert beeinflussten.
Reformation und Großmachtszeit (1527 - 1721)
Am Beginn dieser Periode wurde der Grundstein für eine einheitliche schwedische Sprache gelegt. 1541 erschien die neuübersetzte Wasa-Bibel, die mit kleineren Änderungen bis 1917 herausgegeben wurde. Die religiöse Literatur im Gefolge der Reformation dominiert den gesamten Zeitraum.
Erst im 17. Jahrhundert hält die Renaissanceliteratur ihren Einzug in Schweden. Ihr Hauptvertreter ist Lars Wivallius, einer der größten Hochstapler des Jahrhunderts. Seine Gedichte greifen den volkstümlichen Knittelvers auf und sind von Freiheits- und Naturliebe geprägt. Georg Stiernhielm dagegen versucht, eine schwedische Dichtung durch Nachahmung der Antike zu begründen. Sein Hexameter-Epos Hercules (1658) hat eine Reihe von Nachfolgern beeinflußt. Ab den 70er Jahren erreicht die Barockdichtung ihren Höhepunkt. Zahlreiche Psalmen sowie Gelegenheitspoeme für Hochzeiten und Beerdigungen geben einer burlesken Lebensfreude, aber auch der Todesangst Ausdruck.
Klassizismus, Aufklärung und Vorromantik (1721 - 1809)
1732 wurde die erste Nummer der ersten Moralischen Wochenzeitschrift Schwedens, Then swänska Argus, publiziert. Herausgeber war Olof Dalin, der sich mit der Wochenzeitung vorwiegend an ein bürgerliches Publikum wandte. Dalin, dessen Dichtung ganz unter dem Einfluß des aus Frankreich kommenden Klassizismus stand, machte eine glänzende Karriere als Hofdichter. Unter den Zeitgenossen Dalins sticht Hedvig Charlotta Nordenflycht hervor, die auch seine stärkste Konkurrentin war. Ihre Lyrik ist ist teils persönlicher und gefühlvoller, teils geprägt von dem Kampf um die intellektuellen Rechte der Frauen.
Einen Platz für sich nimmt der Bänkelsänger Carl Michael Bellman ein, der mit seinen Liedern Fredmans epistlar (Fredmans Epistel) eine einzigartige Kombination von Text und Musik vorlegte, die auch heute noch fortlebt.
Die zwei prominentesten Vertreter der Aufklärung sind Johan Henric Kellgren und seine Nachfolgerin Anna Maria Lenngren. Beide erreichten ein großes Publikum, da sie Mitarbeiter der Zeitung Stockholms Posten waren, die das Organ der Aufklärung war. Vor allem Kellgren verteidigte die Aufklärung gegenüber den von Ossian, Rousseau und dem jungen Goethe beeinflußten Vorromantikern wie Thorild und Bengt Lidner.
Romantik und Realismus (1809 – 1870)
1810 erschienen zwei Literaturzeitschriften, Polyfem in Stockholm und Phosphoros in Uppsala, die sich gegen den Klassizismus im Umkreis der Schwedischen Akademie richteten und der Romantik zum Durchbruch verhalfen. Per Daniel Atterbom aus der Uppsala-Gruppe wurde zu einem der wichtigsten Vertreter der Romantik. Atterboms Freund und Professorskollege Erik Gustaf Geijer sowie nach ihm Esaias Tegnér sind Vertreter einer Nationalromantik, die in der Geschichte nach dem Altnordischen suchte. Geijer führte in seinem Gedicht Vikingen den Wikinger in die Literatur ein, der ein Vorbild für Tegnérs Frithiofs saga und eine Reihe von späteren Werken wurde. Der größte Lyriker der Romantik ist Erik Johan Stagnelius, der erst dreißigjährig starb und dessen Bedeutung erst allmählich nach seinem Tode erkannt wurde. Während der Romantik erschienen auch die ersten Romane. Hier ist vor allem Carl Jonas Love Almqvist und sein Roman Drottningens juvelsmycke (Die Juwelen der Königin) zu nennen.
Almqvist publizierte fünf Jahre später, 1839, den Roman Det går an (Das geht noch eben!), der die Institution der Ehe in Frage stellt und ein Paar schildert, dass ohne kirchliche Segnung zusammenlebt. Dieser Roman, der übrigens zum Abbruch von Almqvists Beamtenkarriere führte, ist ein Beispiel für die literarische Wende zum Realismus, der besser geeignet war, gesellschaftliche Fragen literarisch zu beleuchten. Die erfolgreichsten Romanautoren dieser Zeit waren drei Frauen: Fredrika Bremer, Sophie von Knorring und Emilie Flygare-Carlén, wovon vor allem erstere durch ihre Literatur, wie z.B. im Roman Hertha, den Emanzipationsbestrebungen der Frauen dieser Zeit ein Zeichen setzte. Die Epoche schließt Viktor Rydberg ab, dessen Literatur ein Bekenntnis zu den Ideen der französischen Revolution und des Liberalismus ist. Sein Roman Den siste Athenaren (Der letzte Athener) ist eine starke Kritik am dogmatischen Christentum.
Naturalismus und Jahrhundertwende (1870 – 1914)
August Strindberg und Selma Lagerlöf sind die beiden herausragenden Schriftsteller dieses Zeitraumes. Strindberg erreichte 1879 mit dem Roman Röda rummet (dt. Das rote Zimmer) seinen Durchbruch. Er schrieb in der Folge eine Reihe kleinerer Werke und wandte sich dann dem Theater zu. Mit Fadren (dt. Der Vater) 1887 und Fröken Julie (dt. Fräulein Julie) 1888 erreichte er ein internationales Publikum, wie auch mit seinen späteren, symbolistischen Werken Ett drömspel (dt. Ein Traumspiel) 1902 und Spöksonaten (dt. Die Gespenstersonate) 1907. Die Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf tritt mit dem Roman Gösta Berlings saga (dt. Gösta Berling) 1891 an die Öffentlichkeit. Nils Holgerssons underbara resa genom Sverige (dt. Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden) 1906-1907 wurde als Schulbuch konzipiert und ist ein Spiel mit der Geographie. Ebenfalls für die Schule gedacht war Verner von Heidenstams historisches Lesebuch Svenskarna och deras hövdingar (dt. Die Schweden und ihre Häuptlinge), das zwei Jahre später erschien. Verner von Heidenstam war zusammen mit Gustav Fröding einer der wichtigsten Lyriker der 90er Jahre.
Das fin-de-siècle repräsentiert Hjalmar Söderberg, dessen Werke von einer pessimistischen Menschensicht, aber einer stilistischen Brillanz geprägt sind. Seine Helden sind desillusionierte Tagediebe. Förvillelser (dt. Verwirrung) 1895 ist sein Erstlingsroman, Doktor Glas (dt. Doktor Glas) sein erstes Meisterwerk und ein veritabler Skandal und Den allvarsamma leken (dt. Das ernste Spiel) 1912 einer der klassischen Liebesromane der schwedischen Literatur. Der führende Lyriker dieser Zeit ist Vilhelm Ekelund, Symbolist und Modernist.
Die Zwischenkriegszeit (1914-1945)
Die Literatur nach 1914 widmet sich stärker gesellschaftlichen Fragen als die Vorgänger. Arbeiterliteratur und eine kritische Schilderung des Bürgertums gründen sich auf eigene Erfahrungen und sind in den 20er und 30er Jahren auch autobiographisch geprägt. Sigfrid Siwertz, Elin Wägner und Hjalmar Bergman schildern das zeitgenössische Schweden im Umbruch von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Sigfrid Siwertz beschreibt in seinem Familienroman Selambs (Die Selambs) verschiedene Arten von asozialem Egoismus, Elin Wägner die moderne berufstätige Frau in Norrtullsligan (dt. Die Nordzollliga) und den Kampf für das Frauenwahlrecht in Pennskaftet (Der Federhalter), Hjalmar Bergman die enge bürgerliche Gesellschaft der schwedischen Kleinstadt, etwa in Makurells in Wadköping (dt. Makurell). Autoren aus der Arbeiter- und Kleinbauernklasse, meistens Autodidakten, schildern in autobiographisch geprägten Romanen die soziale Misere dieser Schichten. Zu ihnen zählen Vilhelm Moberg, der den Kampf des Kleinbauern gegen die neue Zeit schildert, aber vor allem für seinen Auswandererzyklus, Utvandrarna (dt. Die Auswanderer), Invandrarna (dt. In der neuen Welt), Nybyggarna (dt. Die Siedler) und Sista brevet till Sverige (dt. Der letzte Brief nach Schweden) berühmt geworden ist, Ivar Lo-Johansson und Jan Fridegård, die das düstere Leben der Kleinpächter schildern, wie in Godnatt, jord (dt. Gute Nacht, Erde) von Lo-Johansson, und Moa Martinsson, die den harten Alltag von Fabriksarbeiterinnen beschreibt.
Moderne Lyrik mit Einflüssen aus dem Expressionismus, Futurismus und Surrealismus schreiben Pär Lagerkvist – Ångest (dt. Angst) kennzeichnet den Beginn moderner Lyrik in Schweden -, Birger Sjöberg, der zuvor mit seinen idyllischen und populären Fridas visor (Fridas Lieder) bekannt geworden war, Artur Lundkvist und Harry Martinsson. Die beiden letzteren waren auch Autoren der Gedichtsammlung Fem unga (Fünf Junge), die 1929 herauskam. Ihnen schlossen sich weitere Lyriker an, wie Karin Boye, deren Gedichte von Sozialismus und Psychanalyse geprägt waren und Gunnar Ekelöf, der radikalste der Modernen.
Die politische Entwicklung in Deutschland hinterließ ihre Spuren auch in der schwedischen Literatur. Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus schrieb Pär Lagerkvist die Romane Bödeln (Der Henker) 1933 und Dvärgen (Der Zwerg) 1944, die das menschliche Böse entlarven, Karin Boje den Zukunftsroman Kallocain (dt. Kallocain) 1940 und Eyvind Johnson bezog in seinem Krillon-Zyklus Stellung gegen den Nationalsozialismus.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-2000)
In den ersten Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg geschieht der eigentliche Durchbruch der Moderne in der schwedischen Literatur. Existentielle Fragen werden – vor allem in der Lyrik - in experimenteller und chaotischer Form abgehandelt. Erik Lindegren, Karl Vennberg, Werner Aspenström, Elsa Grave und Rut Hillarp gehören zu dieser Generation von Schriftstellern. Lars Forsell und Tomas Tranströmer konnten in ihrer Lyrik aus den Landgewinnen der Moderne Nutzen ziehen. Vertreter für die Prosa der unmittelbaren Nachkriegszeit sind Lars Ahlin, ein Ideendichter, der einer antinaturalistischen Ästhetik folgt, und Stig Dagerman, dessen Romane um Schuld und Angst kreisen. Inmitten allen Experimentierens lebt aber auch der realistische Roman fort, dessen Vertreter u.a. Sara Lidman, die das kleinbäuerliche Leben in Norrland in ihrem Erstling Tjärdalen (dt. Der Teermeiler) 1953 schildert, und Per Andres Fogelström mit seinen Schilderungerungen der Großstadt, etwa in Sommaren med Monika (Der Sommer mit Monika) 1951, sind.
Mitte der 60er Jahre kommt es zu einer Wende in der schwedischen Literatur. Ein neues (welt-)politisches Bewußtsein fordert eine gesellschaftskritische Literatur. Der Dokumentarroman und nichtfiktionale Texte wie Berichte und Reportagen erleben ihren Höhepunkt. Per Olov Enquist schrieb den Dokumentarroman Legionärerna (dt. Die Ausgelieferten) über die Ausweisung der Balten aus Schweden in die Sowjetunion. Jan Myrdal legt einen Rapport från en kinesisk by (Bericht aus einen chinesischen Dorf) vor. Auch andere Schriftsteller wie Pär Westberg und Sara Lidman schreiben über die Zustände in der Welt draußen. Am Beginn der 70er Jahre werden auch innenpolitische Fragen aktualisiert, vor allem die Frauenfrage, z.B. durch Gun-Britt Sundström in För Lydia (Für Lydia) und Inger Alfvén in Dotter till en dotter (Tochter einer Tochter).
In den 70er Jahren kommt es zur Rückkehr des epischen Romanes. In Romanzyklen werden unterschiedliche Regionen im Umbruch zwischen Alt und Neu geschildert. Sven Delblanc schildert in seiner Hedebysvit (Hedebyzyklus) das bäuerliche Sörmland, Kerstin Ekmans Häxringarna (dt. Hexenringe) leitet den Zyklus über das Södermanland des ausgehenden 19. Jahrhunderts ein und Sara Lidman kehrt mit ihrem fünfteiligen Jernbaneepos (Eisenbahnepos) über die Kolonisierung Västerbottens im 19. Jahrhundert literarisch in ihre Heimat zurück. Göran Tunström schildert in den Romanen Prästungen (Das Kind des Priesters) und Juloratoriet (dt. Solveigs Vermächtnis) Värmland.
Lars Norén wurde mit seinem Familiendrama Modet att döda (Mut zu töten) 1980 zum bedeutendsten Dramatiker der kommenden Jahrzehnte.
Stig Larsson tritt in den 80er Jahren mit einer postmodernistischen Prosa an die Öffentlichkeit, etwa im Roman Autisterna (dt. Die Autisten). Gleichzeitig hält die epische Erzähltradion ihre Stellung, etwa durch Torgny Lindgren (Ormens väg på hälleberget/Der Weg der Schlage auf dem Felsen und Hummelhonung/dt. Hummelhonig), Per Olov Enquist (Musikanternas uttåg/Der Auszug der Musikanten und Livläkarens besök/dt. Der Besuch des Leibarztes) und Kerstin Ekman mit ihrer Trilogie Vargskinnet (Wolfspelz).
Kriminalliteratur
Der schwedische Kriminalroman war bis zum Zweiten Weltkrieg stark von ausländischen Vorbildern beeinflusst. Erst danach bezieht sich der Kriminalroman auf ein genuin schwedisches Milieu. In den Sechzigern leiten Maj Sjöwall und Per Wahlöö eine Zusammenarbeit ein, die im international erfolgreichen zehnbändigen Zyklus om ett brott (über ein Verbrechen) resultiert. Deren Romane haben auch eine deutliche politische Dimension. In weiterer Folge widmeten sich mehr und mehr Schriftsteller dem Kriminalrom. Unter ihnen nimmt Henning Mankell einen wichtigen Platz ein, dessen Romane in Schonen spielen.
Kinderliteratur
Die erste Blütezeit der schwedischen Kinderliteratur ist um 1900. Elsa Beskow, Anna Maria Roos und Anna Wahlenberg sind deren wichtigste Vertreterinnen. 1945 gelingt Astrid Lindgren mit Pippi Långstrump (dt. Pippi Langstrumpf) der Durchbruch. Mit Pippi Långstrump, die Konventionen und Autoritäten die Stirn bietet, befreite Astrid Lindgren die Kinderliteratur von der Last eines einengenden Moralismus. Sie griff in ihrer Kinderliteratur oft auch existentielle Fragen auf, wie Leben und Tod in Bröderna Lejonhjärta (dt. Die Gebrüder Löwenherz), Mut und Angst in Mio, min Mio (dt. Mio, mein Mio), den Generationenkonflikt in Ronja Rövardotter (dt. Ronja Räubertochter) u.a. Weitere Erneuerer in den folgenden Jahrzehnten sind Maria Gripe, Gunnel Linde, Inge och Lasse Sandberg u.v.a.
Schwedische Nobelpreisträger
Siehe auch: Schweden, Liste schwedischsprachiger Schriftsteller