George F. Kennan
George F. Kennan (*16. Februar 1904 in Milwaukee/Wisconsin) ist Historiker und einer der bedeutendsten Diplomaten der USA. Sein Name ist verbunden mit dem Marshallplan sowie der Containment-Politik in der Zeit des Kalten Krieges.
George F. Kennan studiert in Princeton und setzt später seine Studien in Berlin fort. Er arbeitet zwischen 1926 und 1961 für den US-amerikanischen diplomatischen Dienst, u.a. in Moskau, Berlin, Hamburg, Riga, Wien, Prag, Lissabon und London. 1947-1949 ist George F. Kennan Planungschef des Außenministeriums, entwirft den Marshallplan und wird 1954 Professor in Princeton. 1967 erhält er den Pulitzerpreis, 1982 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
1928 bietet das Außenministerium Beamten, die bereit sind, sich zu Fachleuten für Arabisch, Russisch, Chinesisch oder Japanisch ausbilden zu lassen, eine dreijährige Rückkehr an die Universität an: Kennan nutzt – wie auch Charles Bohlen ("Chip" Bohlen) - diese Chance: Zunächst wird er ins Baltikum versetzt, das bis vor kurzem zum Machtbereicht Russlands gehört hatte. Danach arbeitet er als Vizekonsul in Tallinn und nimmt dort Privatunterricht in Russisch. Zum Wintersemester 1929/30 immatrikuliert er sich in Berlin. Bereits nach einem Jahr erwirbt er das Übersetzer-Diplom im Seminar für Orientalische Studien. 1930/31 studiert er russische Geschichte an der Universität Berlin. In Berlin lernt er die Norwegerin Annelise Soerensen kennen und heiratet sie im September im norwegischen Kristiansand.
Von Herbst 1931 bis Herbst 1933 arbeitet Kennan in Riga im Russlandreferat. Er wird dort zu einem Fachmann für Wirtschaftsfragen.
Ab Winter 1933 arbeitet Kennan in Moskau. Nach dem Mord an Sergej Mironowitsch Kirow (dem potentiellen Nachfolger Josef Stalins) am 01.12.1934 beginnen die stalinschen Säuberungen mit Denunziationen und Schauprozessen. Mit einer Unterbrechung von fast einem Jahr wegen Krankheit - Kennan wird nach Wien gebracht und arbeitet nach seiner Gesundung kurze Zeit unter George Messersmith - ist er wieder in Moskau und berichtet über die Prozesse. Die Machthaber versuchen gezielt, ausländische Beobachter zu hindern, zu Sowjetbürgern Kontakte zu pflegen. Die Diplomaten behelfen sich damit, im Theater, bei Sportveranstaltungen und auf Ausflügen in die Umgebung der Hauptstadt Eindrücke zu sammeln. Während in den USA die Politik des Isolationismus unter Präsident Franklin D. Roosevelt herrscht, wird Kennan zu einem scharfen Kritiker einer möglichen Zusammenarbeit zwischen USA und UdSSR. Kennans Zeit in Moskau endet, als 1937 Joseph E. Davies zum neuen Botschafter der USA in Moskau ernannt wird, der viel weniger kritisch gegenüber Stalin eingestellt ist als sein Vorgänger Bullitt.
1937 wird die seit 1924 bestehende Russland-Abteilung des Außenministeriums aufgelöst und in die Westeuropa-Abteilung integriert. Kennan sieht darin eine Abwertung der Tätigkeit der amerikanischen Russlandkenner und der von ihm in Moskau geleisteten Arbeit und zugleich den Ausdruck des Desinteresses des offiziellen Washington gegenüber der riesigen Sowjetunion. 1938-1939 verbringt Kennan als Referatsleiter Russland im Außenministerium; das Referat besteht aus einer Person.
Kurz vor Kriegsbeginn wird Kennan nach Prag versetzt. In der architektonisch wunderschönen Residenz des Botschafters auf der Prager Kleinseite (tschechisch „mala strana“), dem Palais Schönborn, muss er erleben, wie deutsche Truppen die Tschechoslowakei auflösen und wie machtlos die internationale Staatengemeinschaft und auch sein Land dabei sind. Im März 1939 wird die amerikanische Botschaft offiziell aufgegeben. Kennan bleibt auf Anordnung des Außenministeriums allein noch ein halbes Jahr und schreibt Bericht für Bericht.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges arbeitet Kennan an der Botschaft in Berlin. Die große Verantwortung für Juden und andere, die Deutschland verlassen wollen, empfinden die Mitarbeiter der Botschaft als Zerreißprobe. Die Vertretung ist unterbesetzt, sie besitzt nicht einmal einen Wagen. In der Not kauft der Geschäftsträger Alexander Kirk aus eigenem Geld einen. Kennan empfindet die Stimmung der Berliner so, als seien sie weniger als alle anderen Deutschen vom Nazismus angesteckt. Ab 1940 wird Kennan die Aufgabe übertragen, zu Helmuth James Graf von Moltke Kontakt zu halten, einem Vertreter des militärischen Widerstands, der gelegentlich so mutig ist, tagsüber in die Botschaft zu kommen. Vier Tage nach Pearl Harbour schreit Außenminister Joachim von Ribbentrop dem Geschäftsträger im Auswärtigen Amt die Kriegserklärung ins Gesicht; die Mitarbeiter der Botschaft müssen in der Nacht ihre Wohnungen auflösen und sich mit je zwei Stück Handgepäck von der Gestapo zu Gefangenen erklären lassen.
Fünfeinhalt Monate lang sind 130 Diplomaten und Journalisten in einem ehemaligen Hotel in Bad Nauheim interniert und Kennan trägt Verantwortung für sie; man hat Probleme mit Hunger und Kälte. Kennan muss regelmäßig Beschwerden über das Essen entgegennehmen und an die deutschen Verantwortlichen weiterleiten; die Amerikaner erhalten die Rationen der deutschen Zivilbevölkerung und wünschen sich, wie Kriegsgefangene verpflegt zu werden. Am Ende werden die Amerikaner in zwei Sonderzügen nach Lissabon gebracht und gegen eine Gruppe Deutscher ausgetauscht.
Kennan verbringt dort die Zeit von September 1942 bis Oktober 1943. Die Stadt ist von Kriegsflüchtlingen überschwemmt. Seine Aufgabe: Die im Zweiten Weltkrieg neutrale portugiesische Regierung unter Ministerpräsident Dr. António de Oliveira Salazar zu überzeugen, die Azoren als Zwischenstop für die amerikanische Armee zur Verfügung zu stellen. Große Mengen von Flugzeugen für die Landung in der Normandie (Operation Overlord) sollen dort zwischenlanden. Zur gleichen Zeit finden Geheimverhandlungen zwischen Großbritannien und Portugal zum selben Thema statt und kommen zu einem positiven Ergebnis.
Kennan gelingt es, Präsident Franklin D. Roosevelt in einem Vieraugengespräch zu überzeugen, dass Salazar ein Entgegenkommen für die Zeit nach der Nutzung der Militärbasen erwartet. Kennan übergibt einen persönlichen Brief des Präsidenten an Salazar und erreicht dessen Zusammenarbeit. Kennans Vorgesetzte im Außenministerium sind über sein eigenmächtiges Handeln entsetzt; er wird aus Lissabon abgezogen.
Kennan wird Botschaftsrat und politische Berater des Botschafters in London. Die Aliierten hatten beschlossen, eine Europäische Beratende Kommission zu schaffen (Moskauer Konferenz vom Oktober 1943); die Engländer – unter Sir William Strang wollen weitgehende Kompetenzen für dieses Gremium, der amerikanische Außenminister Cordell Hull will das nicht; die Generäle sollen das Sagen haben. Man plant für die bevorstehende Niederlage Deutschlands: Es geht um Kapitulationsbedingungen und Besatzungszonen. Großbritannien macht einen Vorschlag, zu dem weder der russische noch der amerikanische Vertreter eine Alternative anzubieten haben und so nimmt man ihn an.
Kennan arbeitet unter Botschafter Averell Harriman als Gesandter in Moskau; er ist für die gesamte zivile Abteilung zuständig. Er leidet darunter, dass amerikanische Diplomaten trotz des gemeinsamen Krieges in Europa als gefährliche Feinde behandelt werden. An Wochenenden fährt Kennan beispielsweise im völlig überfüllten Vorortzug aufs Land, um alte Kirchen zu zeichnen und sich selbst ein Bild vom Leben des Zivilbevölkerung zu machen.
Er erlebt den Besuch der polnischen Exilregierung in London unter Stanislaw Mikolajczyk mit. Seine Einschätzung der russischen Position gegenüber Polen ist, dass man dort keinen eigenen Weg des Landes in der Nachkriegszeit erlauben werde; man wolle unbedingt einen Vasallen aus dem Land machen.
Er rät auch Harry Hopkins dazu, die Sowjetunion in diesem Sinne nicht zu unterstützen.
1944 finden die Gespräche von Dumbarton Oaks statt, um die Vereinten Nationen zu gründen. Kennan kritisiert die amerikanische Position als Legalismus und den falschen Glauben, einen status quo erhalten zu können. Im Winter 1944/45 erleben die Diplomaten alle paar Tage Kanonendonner und Feuerwerke, wenn irgendwo an der langen russischen Front ein Sieg zu feiern ist. Kennan muss erleben, wie überall auf dem Balkan die neu eingesetzten provisorischen Regierungen von Russland dominiert werden. 1946 entwirft Kennan sein berühmtes „langes Telegramm“. Es beantwortet die Frage des Finanzministeriums, wieso Russland sich weigere, die neu gegründete Weltbank zu unterstützen. Er antwortet mit 8000 Worten in fünf Abschnitten und stellt dar, wie er die Grundzüge des sowjetischen Verhaltens seit Kriegsende sieht. Das offizielle Washington diskutiert über diese Äußerung, da nun auch vielen anderen klar wird, dass man sich auf Josef Stalin als treuen Bundesgenossen nicht wird verlassen können.
Kennan wird an die neu gegründete Nationale Kriegsakademie versetzt. Er plant und leitet die außenpolitischen Kurse und hält darüber hinaus Vorträge für das Außenministerium im ganzen Land. Er erhält Einladungen an die Universitäten von Yale und Princeton.
Am 12. März 1947 wird die so genannte Truman-Doktrin verkündet, die beinhaltet, dass die USA den „freien“ Völkern der Welt – hier gemeint. Griechenland und der Türkei – Unterstützung zur Verfügung stellen solle. Kennan bereitet das Papier des Außenministeriums mit vor, protestiert später aber gegen die dem Präsidenten vorgelegte Rede, weil sie ihm zu bombastisch formuliert erscheint. Kennan legt vor der Kriegsakademie dar, was er für sinnvoll hält: Eine Hilfe für Griechenland liegt innerhalb der wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten der USA; eine günstige Entwicklung über das Land hinaus ist zu erwarten; würden die USA nicht handeln, könnte der Gegner außergewöhnlich leichte Erfolge erringen.
Am 28.04.1947 kommt General Marshall voller Zorn aus Europa zurück; er will verhindern, dass Europa „vor die Hunde“ gehe. Kennan wird zum Chef des Planungsstabes (policy planning staff, PPS) ernannt. Am 05.06.1947 stellt der Außenminister seinen Plan für einen Wiederaufbau Europas (European Recovery Program, ERP) bei einer Rede an der Universität Harvard vor. Dazwischen liegen wenige Wochen, in denen Kennan die Aufgabe hat, einen Plan zu skizzieren, was man für Europa tun könne. Marshall ermahnt ihn mit den denkwürdigen Worten: „Meiden Sie Belangloses!“. In wenigen Tagen sucht Kennan sich ein Team aus Mitarbeitern (u.a. Joseph Jones, Charles Hatwell Bonesteel III, Jacques Reinstein), und präsentiert am 23. Mai 1947 folgendes Modell: 1) Die europäischen Länder sollen sich einigen, wo die Schwerpunkte liegen sollen, die USA unterstützen sie dann darin, 2) der europäische Steinkohlebergbau ist zu fördern, 3) das Programm soll so angelegt sein, dass dem amerikanischen Steuerzahler klar wird, dass es für lange Zeit die letzte Hilfsmaßnahme für Europa sein wird, 4) eine spätere Rückzahlung in fast allen Fällen wird gefordert.
Kurzbiografie
Ausbildung zum Russlandspezialisten (1928-1931)
Riga (1931-1933)
Moskau (1933-1937)
Washington (1937-1939)
Prag (1939)
Berlin und Internierung (1939-1942)
Lissabon (1942-1943)
London (1944)
Moskau (1944-1945)
Washington (1946-1950)
Werke
Weblinks