Hans-Joachim Rehse
Hans-Joachim Rehse (* 27. September 1902 in Prenden, Landkreis Barnim bei Berlin; † 5. September 1969) war ein Richter am Volksgerichtshof und ist Symbol des Scheiterns der deutschen Nachkriegsjustiz, das von ihr in der NS-Zeit verübte Unrecht aufzuarbeiten.
Rehse, Sohn eines Pfarrers, bestand 1927 und 1930 die beiden juristischen Staatsexamina mit hervorragenden Noten. In einer steilen Karriere diente er sich vom Gerichtsassessor 1931 bis zum Kammergerichtsrat 1942 hoch. Von Frühjahr 1934 bis Ende 1937 war er Hilfsarbeiter des Untersuchungsrichters bei dem Volksgerichtshof, von 1939 bis November 1941 Ermittlungsrichter und ab 10. November 1941 Hilfsrichter bei dem Volksgerichtshof.
Von 1919 bis 1921 war Rehse Mitglied des "Deutschen Bismarckbundes", der später in Bismarck-Jugend umgenannt wurde, einer Organisation, der viele später bekannte Nationalsozialisten wie. z.B. Horst Wessel angehörten, und von 1925 bis 1929 Mitglied der DNVP. Am 1. Mai 1933 trat der der NSDAP bei.
Rehse wirkte als beisitzender Richter neben den Vorsitzenden Richtern Otto Georg Thierack und später Roland Freisler im 1.Senat des Volksgerichtshofs an mindestens 231 Todesurteilen mit.
Der katholische Priester Dr. Max Josef Metzger hatte von Berlin aus an den schwedischen Erzbischof in Uppsala ein Manifest gerichtet, in dem er in getarnter Form eine demokratische Staatsordnung für Deutschland nach dem Krieg entworfen hatte. Das Manifest war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt und fiel durch einen Vertrauensbruch der Gestapo in die Hände.
In dem Todesurteil vom 14. Oktober 1943 ist unter anderem zu lesen, es handele sich hierbei um Feindbegünstigung oder Hochverrat: "Jeder Volksgenosse weiß, daß ein solches Ausscheren eines einzelnen Deutschen aus unserer Kampffront eine ungeheuerliche Schandtat ist... ein Verrat in der Richtung auf Defaitismus... ein Verrat, den unser gesundes Volksempfinden für todeswürdig hält".
Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Strafverfahren gegen die Denunziantin des Priesters bereits 1956 festgestellt, dass seine Verurteilung und die Vollstreckung des Urteils - das war die Todesstrafe - "eine vorsätzliche rechtswidrige Tötung unter dem Deckmantel der Strafrechtspflege" gewesen sei. Es habe sich dabei um die Ausnutzung gerichtlicher Formen zur widerrechtlichen Tötung gehandelt. Eine solche Rechtsanwendung diene nur noch der Vernichtung des politischen Gegners und verletze den unantastbaren rechtlichen Kernbereich. Dadurch enthülle eine derartige "Rechtsprechung" ihr wahres Wesen als Terrorinstrument.
Dieser hatte am 23. Juli 1943 auf einem gemeinsamen Weg zu einem Kollegen geäußert, es gehe nun mit dem Dritten Reich zu Ende und könne sich nur noch um die Bestrafung der Schuldigen handeln; seit dem Reichstagsbrandschwindel habe er gewußt, daß es so kommen werde.
In dem Todesurteil vom 11. Mai 1944 ist zu lesen: "Nein, mit A. mußte der Volksgerichtshof so verfahren wie mit anderen Defaitisten (§ 5 KSSVO), die unserem kämpfenden Volk mit ihrem entmutigenden Zersetzungsreden in den Rücken fallen und die sich dadurch für immmer ehrlos gemacht haben. Er mußte zum Tod verurteilt werden, damit die Siegesgewißheit und damit die Kampfkraft unserer Heimat unangetastet bleibt".
Ein anderes Todesurteil betraf den katholischen Pfarrer Müller. Dieser hatte August 1943 einem Handwerker gegenüber geäußert, die Lage sei Ernst, der Krieg könne leicht verlorengehen. Kurze Zeit später erzählte Müller dem Handwerker noch folgenden Witz: Ein Verwundeter habe als Sterbender gebeten, die noch einmal zu sehen, für die er sterben müsse; da habe man das Bild Hitlers rechts, das Görings links neben ihn gestellt; und da habe er gesagt: "Jetzt sterbe ich wie Christus".
Im Todesurteil vom 28. Juli 1944 ist zu lesen: "Wenn nach dem allen Müller seinen Witz ..... Ein solches Verhalten ist Verrat an Volk, Führer und Reich. Solcher Verrat macht für immer ehrlos. Ein solches Attentat auf unsere moralische Kraft kann - damit ähnliche Verratslüsterne abgeschreckt werden - nicht anders als mit dem Tode bestraft werden."
Noch im Jahre 1963 lehnte es das Oberlandesgericht (OLG) München ab, Rehse wegen eines Todesurteils in einem vergleichbaren Falle zu verfolgen. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH, führte es aus, dem Angeschuldigten könne nicht nachgewiesen werden, dass er mit bestimmtem Vorsatz das Recht gebeugt und ein Verbrechen wider das Leben begangen hat. Rehse sei dem damaligen Rechtsdenken verhaftet gewesen. Angesichts der Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze, die er als verbindliches Recht angesehen und die er infolge der Verblendung für richtig gehalten habe, könne ihm ein bestimmter Vorsatz nicht nachgewiesen werden.
Das Oberlandesgericht bezog sich dabei auf eine grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Dezember 1956 (1 StR 56/56 - BGHSt 10, 294, 300), wonach der "bestimmte" Vorsatz des Rechtsbeugers sich auch auf die unrichtige Rechtsanwendung beziehen müsse. Insoweit wich er von einer früheren Entscheidung ab (Urteil v. 27.5.1952 - 2 StR 45/50 - MDR 1952,693). Dort hatte es ein anderer Senat ausreichen lassen, dass der Täter wenigstens damit gerechnet habe, es also für möglich gehalten habe, dass das Todesurteil objektiv rechtswidrig gewesen sei, und trotzdem für diese Strafe gestimmt habe (sog. "bedinger Vorsatz", der geringere Anforderungen an die innere Tatseite stellt). Außerdem genügte es dem Bundesgerichtshof in jener Entscheidung, dass es für jeden unvoreingenommenen Richter offensichtlich gewesen sei, dass die Fahnenflucht der Soldaten nicht die Höchststrafe, nämlich die Todesstrafe verdient habe.
Im Ergebnis hat der Bundesgerichtshof gegenüber NS-Juristen erstaunliche Milde walten lassen, indem er ihnen ihre - vorgebliche - rechtliche Verblendung zugute gehalten hat. Andere Täter, wie beispielsweise Denunzianten, wurden demgegenüber wesentlich tatkräftiger angepackt.
Zu derartigen Argumentationsmustern hat der Frankfurter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer bemerkt: Kein Mensch werde heute aus der Bewusstseinsspaltung der Juristen klug. In den Entnazifizierungsakten sei zu lesen, dass alle samt und sonders dagegen gewesen seien. Sollen aber Richter und Staatsanwälte etwa wegen exzessiver Todesurteile zur Rechtfertigung gezogen werden, so beteuern sie, seinerzeit in ungetrübter Übereinstimmung mit ihrem Gewissen verfolgt und gerichtet zu haben, womit nach herrschendem Juristenrecht Rechtsbeugung und Totschlag entfielen.
Demgegenüber hat der Bundesgerichtshof im Falle eines Richters der damals sogenannten Sowjetzone ("SBZ"), der Zeugen Jehovas zu sehr hohen Freiheitsstrafen verurteilt hatte, ausgeführt: "Der Angeklagte ist Volljurist, von dem erwartet werden kann, dass er ein Gefühl dafür hat, ob eine Strafe in unerträglichem Missverhältnis zur Schwere der Tat und zur Schuld des Täters steht" (Urteil vom 16.2.1960 - 5 StR 473/59 - NJW 1960,974).
Rehse musste sich dann doch noch vor Gericht für einige Taten, u.a. den oben geschilderten Fall des Pfarrers Müller vor Gericht verantworten. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin lehnte sich gegen die damals gültige Behandlung von NS-Tätern in Robe auf und verurteilte Rehse am 3. Juli 1967 wegen Beihilfe zu Mord in drei Fällen und Beihilfe zum versuchten Mord in vier Fällen zu 5 Jahren Zuchthaus unter Anrechnung der vom 9. Februar 1967 an angeordneten Untersuchungshaft..
Der zuständige 5.Strafsenat des BGH unter dem Vorsitz von Werner Sarstedt bekräftigte demgegenüber in dem von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem angestrengten Revisionsverfahren die zu jener Zeit herrschende Meinung zum Tatbestand der Rechtsbeugung und fasste dies in folgende Worte: das landgerichtliche Urteil enthalte Unklarheiten und Widersprüche, "u.a. übrigens auch im Zusammenhang mit den Ausdrücken 'Rechtsblindheit' und 'Verblendung', die, im übliche Sinne verstanden, mit dem Vorsatz der Rechtsbeugung nicht vereinbar erscheinen" (Urteil v.30.4.1968 - 5 StR 670/87 - NJW 1968,1339,1340). Der BGH hob das Urteil des Schwurgerichts zur erneuten Verhandlung vor dem Landgericht Berlin auf.
Im zweiten Durchgang wurde Rehse freigesprochen.
Schwere Verfahrensverstöße seien nicht festzustellen. Die damals Angeklagten seien in ihrer Verteidiung nicht behindert worden. Auch aus den nur kurzen und ohne förmliche Abstimmung durchgeführten Beratungen (zur Urteilsfindung) lasse sich ein strafbares Verhalten Rehses nicht herleiten. Die auf die zum Tode Verurteilten angewandten Strafbestimmmungen - § 91 b StGB und § 5 der Kriegssonderstrafrechtsverordnung - seien rechtsgültig gewesen.
Im Falle Metzger sei der Tatbestand der Feindbegünstigung erfüllt (was der Volksgerichtshof jedoch gerade nicht festgestellt, sondern offen gelassen hatte - vgl. die Darstellung der Urteilsgründe im Artikel zu Max Josef Metzger).
Die Beweisführung des Volksgerichtshofs habe sich "im Rahmen sachlicher Überlegungen gehalten".
Es könne Rehse nicht nachgewiesen werden, dass er Strafvorschriften bewußt unrichtig angewandt habe.
Die Verhänging der Todesstrafe sei zwar objektiv rechtswidrig gewesen, sie habe jedoch der scharfen Bekämpfung der Wehrkraftzersetzung durch den Volksgerichtshof entsprochen, der derartige Fälle in der Regel als todeswürdig angesehen habe.
Das Schwurgericht meinte, ob die Verurteilten sich auf ein Widerstandsrecht gegen das Unrechtsregime berufen konnten, lasse sich heute nicht mehr klären.
Noch bevor der BGH sich erneut in dieser Sache äußern konnte, verstarb der Angeklagte.
Obwohl in den 60'er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die strafrechtliche Aufarbeitung des NS-Unrechts in Gang gekommen war, lehnte die Rechtsprechung auf ihrem eigenen Feld eine Aufarbeitung der Vergangenheit ab. Mit dem Rehse-Urteil war das endgültige Ende der strafrechtlichen Verfolgung aller NS-Justizjuristen eingeleitet.
Die Justiz hat die gerade in dem Urteil des BGH im Fall des Priesters Max Josef Metzger vorhandenen Ansätze, den Volksgerichtshof nicht als Gericht anzuerkennen und damit die Taten der "Richter" ohne das Richterprivileg einer engen Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes zu beurteilen, nicht genutzt. Auch Hinweise des Generalbundesanwaltes Max Güde aus dem Jahr 1960, wonach der Volksgerichtshof von vornherein ein politisches Instrument gewesen sei, in ihm hätten grundsätzlich nur dem Regime ergebene Juristen gesessen zusammen mit hohen Funktionären von Partei, SA und SS, ein maßgebender Beamter des Volksgerichtshofs, nämlich ein Oberreichsanwalt habe ihm einmal gesagt, Aufgabe des Volksgerichtshofs sei es nicht Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten, blieben unbeachtet.
Die Problematik der Rechtsbeugung stellte sich erneut im Zusammenhang mit der Bewältigung des durch DDR-Richter begangenen Unrechts. Dabei beharrte der Bundesgerichtshof darauf, dass, was die innere Tatseite anbelangt (d.h. in subjektiver Hinsicht) direkter Vorsatz erforderlich ist. Hinsichtlich der objektiven Seite der Rechtsbeugung, also ob Recht überhaupt verletzt ist unter den besonderen Verhältnissen eines Unrechtsstaates, reaktivierte der Bundesgerichtshoft die Radbruchsche Formel und gelangte damit zu einer restriktiven Interpretation des Rechtsbeugungstatbestandes. Gleichzeitig wies er daraufhin, dass angesichts dieser hohen objektiven Schranke für die Annahme von Rechtsbeugung in politischen Strafverfahren der DDR in vielen damit auch krassen Fällen die Annahme des direkten Rechtsbeugungsvorsatzes außer Frage stehe (Urteil vom 26.7.1999 - 5 StR 94/99 - NStZ 1999, 361)
Im Unterschied zur rechtliche Bewältigung des NS-Justizunrechts wurden Richter und Staatsanwälte der DDR wegen Rechtsbeugung verurteilt (vgl. BGH, Urteil v..15.9.1995 - 5 StR 713/94 - BGHSt 41,247; Beschluss v. 26. November 1997 - 5 StR 131/97 den DDR-Kritiker Rudolf Bahro betreffend).Zur Person
Mitwirkung bei Todesurteilen
Der Fall des Dr. Max Josef Metzger
Der Fall des Berliner Universitätsprofessors
Der Fall des Pfarrer Müller aus Hildesheim
Strafrechtliche Ahndung
Der Tatbestand der Rechtsbeugung
Die Urteile in Sachen Rehse
Erstes Urteil LG Berlin
Urteil des BGH
Zweites Urteil LG Berlin
Ergebnis
Exkurs: Unrecht in der DDR-Justiz