Radbruchsche Formel
Als Radbruchsche Formel wird die These Gustav Radbruchs bezeichnet, wonach sich der Richter im Konflikt zwischen positivem (gesetztem) Recht und Gerechtigkeit unter bestimmten Umständen gegen das Gesetz für die Gerechtigkeit entscheiden müsse. Eine derartige Ausnahmesituation sei dann und nur dann gegeben, wenn der- "Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als 'unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen hat" oder "wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde".
Die Radbruchsche Formel wurde von Radbruch erstmals im Jahre 1946 im Aufsatz "Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" in der Süddeutschen Juristenzeitung (SJZ 1946, 105 ff.) veröffentlicht. In der Gesamtausausgabe findet man den Aufsatz in Bd. 3, Seite 83 (90). Dieser Aufsatz ist der wohl praktisch einflußreichste rechtsphilosophische Text des 20. Jahrhunderts, da die Radbruchsche Formel mehrfach direkt Eingang in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefunden hat :
- Urteil vom 12. Juli 1951 - III ZR 168/50, BGHZ 3, 94 (Erschießung eines Deserteurs durch Angehörige des Volkssturms in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs)
- Urteil vom 3. November 1992 - 5 StR 370/92, BGHSt 39, 1 (Strafbarkeit des Schusswaffengebrauchs an der innerdeutschen Grenze)
- Urteil vom 20. März 1995 - 5 StR 111/94, BGHSt 41, 101 (Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze)
- Urteil vom 5. Juli 1995 - 3 StR 605/94, BGHSt 41, 157 (Rechtsbeugung durch DDR-Arbeitsrichter)
- Urteil vom 15. September 1995 - 5 StR 713/94, BGHSt 41, 247 (Rechtsbeugung durch Strafrichter und Staatsanwälte der DDR)
Rechtshinweis