Deutscher Herbst
Als Deutscher Herbst wird der Komplex der Ereignisse um die Entführung Hanns-Martin Schleyers und des Lufthansa-Flugzeugs "Landshut" durch Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) und der PFLP im Herbst 1977 bezeichnet.Am 5. September 1977 wird der Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer in Köln auf der Fahrt von einem Kommando der RAF überfallen. Sein Chauffeur und die Personenschützer werden sofort erschossen, Schleyer selbst wird zunächst in einem Hochhaus in der Peripherie Kölns gefangen gehalten. Er wird dazu gezwungen, per Video an die sozial-liberale deutsche Regierung unter Helmut Schmidt zu appellieren, dass die inhaftierte erste Generation der RAF gegen ihn ausgetauscht wird.
Da die Regierung - anders als bei der Entführung von Peter Lorenz zwei Jahre zuvor - nicht zu einem Gefangenenaustausch bereit ist und damit dem gesellschaftlichen Konsens folgt, versucht die RAF, den Druck durch die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch verbündete Terroristen der PFLP (Kommando Martyr Halime) zu erhöhen. Nach einer Odyssee des Flugzeuges durch die arabische Welt und der Ermordung des Kapitäns Jürgen Schumann landen die Terroristen in Mogadischu.
Nach politischen Verhandlungen unter der Leitung von Hans-Jürgen Wischnewski mit dem somalischen Machthaber Siad Barre wird der Bundesrepublik erlaubt, das Flugzeug dort zu stürmen. Am 18. Oktober geschieht dies durch die GSG 9, eine speziell für solche Zwecke gegründete Spezialeinheit des Bundesgrenzschutzes. Alle Geiseln an Bord werden unverletzt befreit, von den vier Terroristen (Zohair Akache alias Kapitän Mahmud, Souhaila Andrawes, N.N., N.N.) überlebt nur einer.
Als Reaktion darauf wird Hanns-Martin Schleyer, der zwischendurch über die Niederlande nach Belgien gebracht worden war, von seinen Entführern erschossen. Zur gleichen Zeit begehen die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nach offiziellen Angaben Selbstmord. Ihre Mitgefangene Irmgard Möller überlebt mit vier Messerstichen in der Brust. Sie behauptet fortan, dass es sich um eine Exekution von Seiten des Staates und nicht um einen Selbstmord gehandelt hätte. Obwohl alle Untersuchungen zu einem gegenteiligen Schluss kamen, hat sich diese Verschwörungstheorie in linksradikalen Kreisen bis heute gehalten.
Mit dem Deutschen Herbst entstand die Linie der Bundesrepublik Deutschland, "sich nicht erpressen zu lassen" (Mit "Terroristen" ist nicht zu verhandeln).
Neben den beschriebenen Ereignissen steht der Begriff "Deutscher Herbst" auch für eine von vielen Medien (allen voran der "Bildzeitung" und anderer Publikationen des Axel Springer-Verlags) mit ausgelöste Art von politischer Hysterie in der bundesdeutschen Gesellschaft, der die Furcht vor weiteren linksterroristischen Anschlägen zugrunde lag. Viele auch nicht terroristische politisch links orientierte Gruppen und Einzelpersonen, die teilweise zu einer vernünftigeren Haltung mahnten und etwa nach den Ursachen des Terrorismus fragten, wobei auch Verantwortlichkeiten der Politik, der Wirtschaft und der Massenmedien kritisch hinterfragt wurden, wurden als angebliche Sympathisanten der Terroristen denunziert und oftmals gesellschaftlich ausgegrenzt. Vereinzelt wurden entsprechend denunzierte Personen mit in die staatliche Verfolgung einbezogen und hatten unter verschiedenartigen Repressionen zu leiden. Zeitweise wurden auch linke und linksliberale Intellektuelle wie beispielsweise der Schriftsteller und Romancier Heinrich Böll zum sogenannten "Sympathisantensumpf" gerechnet. Böll hatte in seinem Roman "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" schon 1974 den entsprechenden Zeitgeist und die Rolle der Boulevardpresse als Vorreiterin einer Art moderner Hexenjagd gegen vermeintliche Terrorsympathisanten thematisiert. Der Roman wurde später von Volker Schlöndorff verfilmt. Schlöndorff gehörte neben anderen Regisseuren des "Neuen Deutschen Films" wie Rainer Werner Fassbinder u.a. zu den Machern des Films "Deutschland im Herbst", der ebenfalls die Terrorismushysterie am Ende der 1970er Jahre in verschiedenen Kurzfilmen und Reportagen künstlerisch-kritisch thematisierte.
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