Einsamkeit
Der Begriff Einsamkeit bezeichnet die Empfindung, von anderen Menschen getrennt und abgeschieden zu sein. Die Bewertung dieses Sachverhalts kann sehr unterschiedlich ausfallen, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihn betrachtet:Während die Soziologie in der Einsamkeit einerseits eine Normabweichung und einen Mangel untersucht (vergleiche dazu das umgangssprachliche Wort allein (gelassen), anderseits eine Form selbstgewollten Single-Daseins erforscht (in seiner erlesenen Form beispielsweise als Lebensform des Gelehrten - Helmut Schelsky nannte seine Universitätsstudie Einsamkeit und Freiheit), heben die Geisteswissenschaften an der Einsamkeit gern auch positive Züge hervor, im Sinne einer geistigen oder künstlerischen Absonderungs- und Sammlungs-Strategie, die notwendig sein kann, um die Gedanken zu ordnen oder Kreativität zu entwickeln. Ob überhaupt Einsamkeit möglich ist (und wenn ja, in welcher Form), ist eine Frage, die notwendig auch historisch erhellt werden muss. Während in früheren Jahrhunderten die Einbindung des Einzelnen in die Gemeinschaft eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit war, hat sich dieser Automatismus im Zuge der Industrialisierung in eine Frage verwandelt, die individuell gestellt werden kann und beantwortet werden muss. Die Möglichkeit von Einsamkeit hat somit den Prozess der Individualisierung zur Voraussetzung, den in seiner radikalen Form allein die westlichen Industriegesellschaften durchlaufen haben.
Table of contents |
2 Einsamkeit in Kunst und Literatur 3 Selbsthilfe 4 Literatur |
Einsamkeit als sozialpsychologische Kategorie
In der Sozialpsychologie wird Einsamkeit entweder als Synonym für soziale Isolation verwendet, oder als die Bezeichnung der subjektiven Auffassung, an einem Mangel an sozialen Kontakten zu leiden (unabhängig davon, ob ein solcher Mangel objektiv nachvollziehbar ist oder nicht).
Puls (siehe Literatur), der in seiner Arbeit den Verursachungsprozess von sozialer Isolation nachzeichnet, versteht unter Einsamkeit das subjektive Innewerden sozialer Isolation. Für ihn stellen Einsamkeitsgefühle die Vorstufe zu Depression und negativen Bewältigungsstrategien wie Alkoholismus dar; zudem wirken sie in einer Rückkopplungsbeziehung verstärkend auf solche Faktoren ein, die die soziale Isolation (als Vorstufe zur Einsamkeit) weiter verfestigen.
Puls zufolge ist ein so genanntes "interaktives Dilemma der Einsamkeit" zu beobachten: Ob gewollt oder nicht, bilden sich unter dem Einfluss der Einsamkeit soziale Einstellungen, Verhaltensweisen und Gefühle heraus, die vom gesellschaftlichen Standard abweichen. Beim Versuch, eine Beziehung zu einem anderen Menschen aufzubauen, erweist sich dies als in doppelter Hinsicht fatal:
- Zum einen neigen einsame Personen formal zu einem selbstbezogenen Kommunikationsstil und gehen in unzureichendem Maße auf die kommunikativen Bedürfnisse ihres Gegenübers ein.
- Zum anderen vertreten sie inhaltlich häufig Einstellungen zum gesellschaftlichen Miteinander, die vom Standpunkt der Normalität aus betrachtet als destruktiv oder zynisch erscheinen können. Dies wiederum verhindert, dass es im Verlauf der Kommunikation zum Aufbau von Sympathie und Attraktion kommt, da die hierfür erforderliche Ähnlichkeit in zentralen Einstellungen der Kommunikationspartner nicht gegeben ist.
Einsamkeit in Kunst und Literatur
In der Aufklärung wird Einsamkeit oft positiv gewertet als Rückzug des Menschen aus dem hektischen Alltag zum Zwecke geistiger Aktivität und Selbstbesinnung. Die Epoche der Empfindsamkeit und die Romantik sieht im Einsamen mehr den schwermütig-melancholischen, in seine eigene Innerlichkeit sich zurückziehenden Menschen, der sich den derben Zumutungen einer verständnislosen und oberflächlichen Außenwelt zu entziehen sucht. Gerade durch diesen Rückzug eröffnet sich aber zugleich die Möglichkeit des aufmerksamen, differenzierten In-sich-Hineinhörens im Dienste der Selbstvergewisserung über das eigene Ich.Während im 19. Jahrhundert Einsamkeit in ihrer Funktion zur Herausbildung des Individuums als wichtige Aufwertung des Einzelnen gegenüber seiner in der älteren Ständegesellschaft vorherrschenden festen Rolleneinbindung gefeiert wird, relativiert sich diese Anfangseuphorie im 20. Jahrhundert, in dem die negative Kehrseite der zunehmenden Individualisierung immer deutlicher sichtbar wird. Die mit zunehmender Individualisierung abnehmende Bindekraft einer den Einzelnen zwar einengenden, aber zugleich auch schützenden und entlastenden Gemeinschaft wird vermehrt als Problem dargestellt. Wichtige Repräsentanten dieser wachsenden Skepsis sind Werke von Heinrich Böll oder Wolfgang Borchardt, in denen Kriegsheimkehrer im Mittelpunkt stehen, für die schwer zu entscheiden ist, ob nun das "Gemeinschaftserlebnis" Krieg oder die Erfahrung von Einsamkeit und Leere bei der Heimkehr die verheerendere Wirkung auf den Menschen hat. Thomas Mann beschreibt in Doktor Faustus das Leben eines Musikers, der durch die Hingabe an seine Kunst in immer größere Distanz zu seiner Umwelt gerät und schließlich dem Wahnsinn anheimfällt.
In der Malerei nimmt vor allem das Werk Edward Hoppers einen herausragenden Rang in Bezug auf die Darstellung von Einsamkeit ein. Hopper hat seinen realistischen Stil zeitlebens fast unverändert in den Dienst der malerischen Schilderung von Alltags- und Landschaftsszenen gestellt, die thematisch allesamt eng dem Amerika der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verhaftet sind und in der Pinselführung vom leicht verwischten, unscharfen Frühwerk zu immer präziseren, fast photorealistischen, aber zugleich im Detail reduzierten Tableaus fortschreiten. Beherrschendes Motiv sind stets einsame, entrückte, erschöpfte Menschen, menschenleere Architektur, oft in drückend-heißer, lähmender Sommeratmosphäre, und nahezu leblose Nachtszenen. Berühmte Beispiele sind "Mädchen an der Nähmaschine" (1921), "House by the Railroad" (1925), "Sunday" (1926), "Automat" (1927), "Lighthouse Hill" (1927), "The City" (1927), "Hotel Room" (1931), "Gas" (1940), "Office at Night" (1940), "Nighthawks" (1942), "Hotel Lobby" (1943), "Summertime" (1943), "Pennsylvania Coal Town" (1947), "Sunlight in a Cafeteria" (1958). Die Darstellungen Hoppers sind durch die vollständige Abwesenheit eines kritischen oder gar anklagenden Gestus gekennzeichnet; sie zeigen sachlich, fast lakonisch, wie Menschen den Bezug zueinander verloren haben.