Theorie mittlerer Reichweite
Theorien mittlerer Reichweite sind nach Robert K. Merton die Art von Theorien, die in der Soziologie bevorzugt angestrebt werden sollten.Damit wird einerseits der Ehrgeiz etlicher Soziolog/inn/en gestutzt, die 'endlos weit reichende' Theorie nach dem Muster der klassischen Naturwissenschaften anstreben, oder doch wenigstens Theorien, die 'für alle Gesellschaften' gültig seien. Dagegen spricht nach Merton (a), dass man zwar manche Gesellschaften über lange Zeiträume hinweg als z. B. stark religiös verfasste theoretisch und empirisch fruchtbar untersuchen kann, aber eben nicht immer, und (b), dass einem die Mechanismen der self-fulfilling und der self-destroying prophecy daran hindern (vgl. seine Selbsterfüllende Prophezeiung). Damit grenzt sich Merton in den USA z. B. von den hohen Ansprüchen eines Talcott Parsons in Gestalt seines Strukturfunktionalismus ab.
Anderseits solle man, wenn man dieses anspruchsvolle Programm 'ewig' gültiger Theorien nicht erfüllen kann, auch nicht ins andere Extrem verfallen, nur noch soziale Fakten zu erheben und von Fall zu Fall social problems zu erörtern. Damit grenzt sich Merton von der sehr auf Anwendung bedachten und die 'Theorie' praktisch verachtenden soziologischen Ausbildungspraxis der Hochschulen seines Landes ab.
Musterbeispiele von erkenntnisförderlichen "Theorien mittlerer Reichweite" könnten Max Webers Ableitung des europäisch-nordamerikanischen Kapitalismus aus dem 'Geist' des Protestantismus oder Franz Borkenaus Ableitung des gleichen sozialen Prozesses aus den Organisationsproblemen zur Seefahrt genötigter Völker ausgangs der Völkerwanderung abgeben.