Lebensborn
Der Lebensborn e.V. war im Dritten Reich ein staatlich geförderter Verein, der auf der Grundlage der nationalsozialistischen Rassen- und Gesundheitspolitik der Erhöhung der Geburtenrate dienen sollte.
Geburtenrate und NS-Fürsorge
Seit dem Ersten Weltkrieg war die Geburtenrate in Deutschland stark gesunken, von 894.978 Lebendgeburten im Jahre 1920 auf 516.793 im Jahre 1932. In keinem anderen Industrieland gab es einen vergleichbaren Einbruch in der Geburtenstatistik.
Der vor allem durch den Ersten Weltkrieg bedingte Frauenüberschuss betrug über 2 Millionen. 1937 schätzte der Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, die Zahl der Abtreibungen auf 600.000 bis 800.000 jährlich und damit deutlich über der Geburtenrate liegend. Pro Jahr stürben etwa 30.000 bis 40.000 Frauen an den Folgen einer Abtreibung, in Folge unsachgemäßer Eingriffe auf Dauer unfruchtbar würden etwa 300.000 Frauen pro Jahr.
Um diesen Entwicklungen entgegen zu steuern, hatte im März 1934 die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) das Hilfswerk Mutter und Kind gegründet, das enorme finanzielle Mittel, nämlich mehr als die Hälfte des gesamten Spendenaufkommens des Winterhilfswerks, erhielt. Das Deutsche Institut für Jugendhilfe e.V. betreute uneheliche Kinder, deren Väter die Alimente verweigerten. Eheschließungen wurden mit Darlehen in Form von Bedarfsdeckungsscheinen für Möbel und Hausrat bis zu 1.000 RM gefördert.
In diesem sozialpolitischen Kontext ist auch die Einrichtung des »Lebensborn e.V.« als konkurrierende SS-eigene Organisation zu sehen.
Ideologische Grundlagen des Lebensborns
Der »Lebensborn e.V.« war ein Lieblingsprojekt Heinrich Himmlers, dem er Modellcharakter für die Zukunft Deutschlands beimaß.
Sein bevölkerungspolitisches Denken war im wesentlichen von folgenden ideologischen Versatzstücken bestimmt:
Der »Lebensborn e.V.« folgte diesen ideologischen Vorgaben und suchte sie auf dem Gebiet der Mütterfürsorge in die Praxis umzusetzen. Zentrale Anliegen des Vereins waren die Vermeidung von Abtreibungen und damit die Erhöhung der Geburtenrate, jedoch keineswegs im Sinne der Kirchen, sondern im Sinne der »neuen Moral« einer aktiven, rassisch bestimmten nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik. Dem untergeordnet waren die vom Lebensborn in der Praxis durchgeführten Fürsorgemaßnahmen für ledige Mütter sogenannten »guten Blutes« (an »Müttern anderen Blutes«, vor allem «Erbkranke» konnten u.U. Zwangssterilisierungen vorgenommen werden - als menschenverachtende Kehrseite der «rassischen» Auslese).
Die Nationalsozialisten setzten die in den westlichen Staaten, auch in den USA und Schweden, zum Teil noch bis 1974 "wissenschaftlich" diskutierte Eugenik konsequent in die Tat um.
Vereinsgründung und Satzung
Zur vorrangigen Betreuung unehelicher Mütter wurde auf Veranlassung Himmlers am 12. Dezember 1935 der »Lebensborn e.V.« in Berlin gegründet. Der Verein war organisatorisch der SS eingegliedert, erhielt jedoch die rechtlich selbständige Form eines eingetragenen Vereins, um als juristische Person so Eigentümer von Heimen und anderem Besitz werden zu können und um auch Nicht-SS-Angehörigen den Beitritt zu ermöglichen.
Mit der Vereinsgründung wurde auch eine entsprechende Satzung mit rassistischen Vereinszielen verabschiedet.
Am 15. August 1936 eröffnete der Lebensborn sein erstes Heim »Hochland« in Steinhöring bei Ebersberg in Oberbayern. Das Heim verfügte anfangs über 30 Betten für Mütter und 55 für Kinder. Bis 1940 verdoppelte sich in etwa die Bettenzahl.
Geschäftsführer des »Lebensborn e.V.« waren zunächst SS-Sturmbannführer Guntram Pflaum und ab dem 15. Mai 1940 bis Kriegsende SS-Standartenführer Max Sollmann; ärztlicher Leiter war von Anfang an SS-Oberführer Dr. med. Gregor Ebner.
Aufnamebedingungen
Frauen, die sich um Aufnahme bewarben, sollten laut Satzung des Lebensborns ursprünglich, wie es hieß »in rassischer und erbbiologischer Hinsicht alle Bedingungen erfüllen, die in der Schutzstaffel allgemein gelten«. Entsprechend mussten die Frauen die gleichen Anforderungen erfüllen wie jeder SS-Bewerber bei der Aufnahme in die SS und bei der Heirat:
Sämtliche Unterlagen waren gleichfalls vom werdenden Vater einzureichen, der deshalb immer bekannt sein musste. Ausgenommen waren SS-Angehörige nur, wenn die Heiratsgenehmigung für die Mutter bereits vom Rasse- und Siedlungshauptamt erteilt worden war.
Die ursprünglich stark ausgrenzenden Auslesekriterien zur Aufnahme in die Heime wurden, wie auch die der gesamten SS, durch die Umstände des Krieges ziemlich reduziert, so dass schließlich die Anträge von etwa 75% aller Bewerberinnen bewilligt wurden. Die enormen Menschenverluste als Folgen des Krieges und das immer größer werdende Geburtendefizit der Deutschen bewogen dazu, die »rassische Auslese« nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen und Kompromisse einzugehen »zwischen der notwendigen Quantität und der bestmöglichen [rassischen] Qualität« (siehe auch Tonnenmentalität.
Betreuung in den Heimen
War die Aufnahme bewilligt, konnte die Frau die Zeit der Schwangerschaft auf Wunsch auch weit entfernt vom Heimatort, bis einige Wochen nach der Geburt des Kindes in einem solchen Heim des »Lebensborn e.V.« zubringen.
Als SS-eigene Organisation war der Lebensborn in der Lage, die Geheimhaltung von Entbindungen zu gewährleisten.
Eigene Standesämter und polizeiliche Meldeämter in den Lebensbornheimen sorgten dafür, dass die Heimatgemeinde einer ledigen Mutter nichts von der erfolgten Geburt erfuhr - ledige Mütter fanden mitunter wenig soziales Verständnis.
Die ärztliche Betreuung in den Lebensbornheimen war so gut, dass immer mehr Ehefrauen von SS-Führern sich nur für die Entbindung anmeldeten. Beliebt waren die Lebensbornheime im Verlauf des Krieges bei diesen SS-Ehefrauen auch deshalb, weil sie in der Regel außerhalb von Bomberangriffen bedrohter Gebieten lagen. Gegen Ende des Krieges wurden die Lebensborn-Heime etwa zur Hälfte von Frauen von SS-Angehörigen und zur Hälfte von ledigen Müttern in Anspruch genommen. Zwischen diesen beiden Gruppen kam es verschiedentlich zu erheblichen sozialen Spannungen.
Die Versorgung der Lebensborn-Heime lag auch während des Krieges über der Zuteilung für die Bevölkerung.
Die hier geborenen Kinder konnten auch in den Heimen erzogen und gegebenenfalls – soweit sie den »Rasseanforderungen« genügten – zur Adoption freigegeben werden, bevorzugt in Familien von SS-Angehörigen.
Im Laufe des Kriegs wurden insgesamt 200-250 norwegische Kinder in fünf Lufttransporten in die Heime Kohren-Sahlis, Hohehorst und Bad Polzin gebracht. Sie wurden entweder von ihren Vätern aufgenommen oder kamen in Pflege mit dem Ziel einer späteren Adoption.
In deutschen Lebensbornheimen wurden bis Kriegsende ungefähr 8.000 Kinder geboren, in Norwegen 12.000 (nach anderen Quellen 9.000).
Viele Kinder aus den Lebensbornheimen haben ihre Eltern nie wiedergefunden.
In Norwegen fand eine spezielle Diskriminerung der »tyskerbarn« und ihrer Mütter statt, für die sich Ministerpräsident Kjell Magne Bondevik 1998 entschuldigte.
Heime in Deutschland in den Grenzen von 1937 (sog. »Altreich«)
Die Gesamtzahl der in den Heimen unehelich geborenen Kinder belief sich bis zum 31. Dezember 1939 auf ungefähr 770, davon befanden sich noch 354 in Lebensbornheimen.Heime im Gebiet des heuten Österreichs (sog. Ostmark)
Heim im Gebiet des heuten Polen
Heime in anderen besetzten Gebieten
Belgien
Aufnahme fanden, dem Militärverwaltungschef Belgien/Nordfrankreich zufolge, »werdende Mütter sog. germanischen Blutes..., die von reichsdeutschen Wehrmachtsangehörigen oder fremdländischen Angehörigen deutscher Hilfsorganisationen (Waffen-SS, Wallonische (SS-) Legion, Flämische SS, NSKK und dgl.), die sog. germanischen Blutes sind« ein Kind erwarteten. Stillschweigend war der Lebensborn in Belgien offenbar dazu übergangen, auch rein ausländische Kinder zu betreuen, deren Mütter und Väter keine deutschen Staatsangehörigen waren.
Niederlande
Norwegen
Bis zum 30. September 1944 wurden 6.584 Norwegerinnen in den dortigen völlig überbelegten Lebensborn-Entbindungsheimen aufgenommen.Geburtenstatistik (außer Norwegen)
In von der Wehrmacht besetzten Gebieten wurden auch gezielt Kinder ihren Eltern weggenommen und verschleppt, nur weil sie den den unwissenschaftlichen Kriterien entsprachen oder einfach nur »nordisch« aussahen. Prozess gegen das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt
Im Nürnberger Justizgebäude wurde vor einem US-Militärgericht im Rahmen des so genannten RuSHA-Prozesses vom 1. Juli 1947 bis 10. März 1948 gegen 14 Beschuldigte verschiedener SS-Hauptämter verhandelt, darunter auch gegen vier ehemalige führende Funktionäre des »Lebensborn e.V.«. Es ergingen folgende Urteile:
Literatur
Weblinks
Siehe auch: Erziehung im Nationalsozialismus