Eugenik
Eugenik (gr. eugenes wohlgeboren) ist die historische Bezeichnung für die Anwendung der Erkenntnisse der Humangenetik auf Bevölkerungen. Der Begriff wurde 1883 vom britischen Anthropologen Francis Galton (1822-1911), ein Vetter ersten Grades von Charles Darwin, geprägt. Galton verstand unter Eugenik eine Wissenschaft, deren Ziel es ist, durch "gute Zucht" erbschädigende Einflüsse auszuschalten.Durch Begünstigen der Fortpflanzung "Gesunder" durch frühen Eheschluss und der Unterstützung hoher Kinderzahlen einerseits sowie das Verhindern der Fortpflanzung "Kranker" durch Empfängnisverhütung andererseits sollten die Erbanlagen in der Bevölkerung langfristig "verbessert" und erblich bedingte Krankheiten vermindert werden.
Das eugenische Konzept beruht einseitig auf frühen humangenetischen Entdeckungen und sozialdarwinistischen Überlegungen, soziale Faktoren und kulturelle Traditionen wurden vernachlässigt.
Einer der frühesten Propagandisten der Eugenik war Alexander Graham Bell, gemeinhin bekannter als angeblicher erster Erfinder des Telefons. Bell erforschte zwischen 1882 und 1892 die Häufung von Taubheit auf der Insel Martha's Vineyard nahe Boston, USA. Aus seinen Untersuchungen zog er - in Unkenntnis der nur wenige Jahre später von Gregor Mendel formulierten Vererbungsgesetze - Schlüsse, die heute als falsch angesehen werden. Er empfahl in der Monographie „Memoir upon the Formation of a Deaf Variety of the Human Race“ ein Eheverbot unter "Taubstummen, die eugenische Kontrolle von USA-Immigranten und warnte vor Internaten an den "Taubstummen"-Schulen" als mögliche Brutstätten einer tauben Menschenrasse. Spätere Arbeiten von Rassenhygienikern stützten sich bis weit in das 20. Jahrhundert ungeprüft auf Bells Angaben. Als Folge wurden zahlreiche taube Menschen ohne ihr Wissen und ohne ihr Einverständnis sterilisiert. Dabei soll Bell durchaus die methodischen Schwächen seiner Untersuchungen gekannt haben.
1896 wurde im Bundesstaat Connecticut, USA, ein Gesetz erlassen, das "Epileptikern, Schwachsinnigen und Geistesschwachen" die Heirat verbot. Später wurde dieses Verbot mit Zwangssterilisationen durchgesetzt. Schätzungen zufolge sind in den USA über 100.000 Menschen im Rahmen dieses Programms sterilisiert worden. Dabei handelte es sich nicht immer um einen offenen Zwang, häufig wurden die Menschen im Unklaren über die Folgen des Eingriffs gelassen.
1903 beschloss die American Breeders Association (Vereinigung der amerikanischen Rinderzüchter), einen Ausschuss einzurichten, das so genannte Eugenik-Komitee. Dieses Komitee kam zu dem Schluss, dass mindestens 10 Millionen Menschen, rund 10 % der damaligen Bevölkerung der USA, an der Fortpflanzung gehindert werden sollten.
1907 wurde das erste Gesetz, das die Zwangssterilisation aus eugenischen Gründen erlaubte, in Indiana erlassen - weitere 32 US-Bundesstaaten folgten mit ähnlichen Gesetzen. Insgesamt wurden rund 60.000 Menschen Opfer des Hygienewahns der Eugeniker in den USA.
1921 fand der zweite internationale Eugenik-Kongress unter der Schirmherrschaft des American Museum of Natural History in New York statt. Horonarpräsident war Alexander Graham Bell, der auch mit den Organisatoren das Ziel verfolgte, Gesetze zur Verhinderung der Ausweitung von "defekten Rassen" einzuführen.
Vor dem 2. Weltkrieg wurden die Einreisebestimmungen in die USA dermassen verschärft, dass dieser Immigration Act verhinderte, dass vor den Nazis flüchtende Juden in den USA Einlass finden konnten.
Die Eugenik war unter dem Begriff "Rassenhygiene" ein wichtiger Teil der nationalsozialistischen Ideologie und führte in Deutschland zu Zwangsmaßnahmen gegen Bevölkerungsgruppen, denen erbliche Minderwertigkeit zugeschrieben wurde. Im Namen der Eugenik wurden Zwangssterilisationen vorgenommen, Behinderte wurden ungeachtet des rezessiven Erbgangs vieler erblich bedingter Erkrankungen getötet. Dieses Vorgehen mündete schließlich in die eugenisch "gerechtfertigte" systematische Vernichtung "lebensunwerten" Lebens.
Während die Eugenik in Deutschland mit der Befreiung von den Nationalsozialisten ihr Ende fand, wurde sie in den USA noch bis ins Jahr 1974 weiter angewendet und Menschen zwangssterilisiert. Richtete sich das Programm anfangs vorrangig gegen Kranke und Behinderte, waren später vermehrt Verbrecher und schließlich vorrangig Schwarze betroffen. Im Jahr 2002 entschuldigten sich die Gouverneure der US-Bundesstaaten Virginia und Oregon bei den Opfern.
Die Eugenik hat zudem eine lange sozialdemokratische Tradition, die nicht mit der nationalsozialistischen gleichgesetzt werden darf. Schon vor dem 1. Weltkrieg setzten sich sozialdemokratische Ärzte für die Vermeidung belastenden oder gesundheitlich beschädigten Nachwuchses ein. Sie propagierten Empfängnisverhütung (auch durch Sterilisation) und Abtreibungen. Beides war strafbar. Bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden geistig Behinderte ohne ihre Zustimmung sterilisiert (z. B. in Schweden). Heute hat sich die vorgeburtliche Eugenik mit Hilfe der Abtreibung in vielen Ländern der Welt etabliert, und in Deutschland wurde aufgrund der Verfassungswidrigkeit die eugenische Indikation aus dem deutschen StGB gestrichen, jedoch unter dem Begriff medizinische Indikation fortgeführt.
Gilbert Keith Chesterton merkte zur Eugenik an: Wären die "gezüchteten" Menschen geistig wirklich "Gesunde", so würden sie als allererstes ein solches menschenfeindliches Zuchtprogramm abschaffen.