Indianische Literatur
Indianische Literatur umfasst die mündlich überlieferten Erzähltraditionen und die Schriftzeugnisse der Indianer, die in den USA und Kanada leben. Die Texte können in einer der 300 bis 500 Stammessprachen formuliert sein, auf Englisch oder Französisch.
Table of contents |
2 Schriftzeugnisse 17. bis frühes 20. Jahrhundert 3 Moderne Indianische Literatur im 20./21. Jahrhundert 4 Literatur 5 Weblinks 6 Siehe auch |
Die indianischen Kulturen entwickeln keine Schrift, wenngleich es zu Felsmalereien und Nachrichtensystemen kommt, die Piktogramme benutzen, eine Art Stenogramm auf Kerbstöcken, Perlenstickereien oder Knotenschnüren.
Die orale Tradition lässt sich in zwei große Bereiche unterteilen: die religiöse Literatur und die weltliche. Während die religiösen Texte Kontinuität wahren sollen, aber auch nicht immer wortwörtlich reproduziert werden, gibt es bei den weltlichen eine große Vielfalt, abhängig von individueller Kreativität.
Zur religiösen Literatur und Mythologie der Indianer gehören je nach Stamm verschiedene Mythen, Legenden, Kultdramen und heilige Gesänge. Sie behandeln die Schöpfung der Welt, das Höchste Wesen und seine Helfer und Gegenspieler, Naturkräfte. Oft dürfen sie nur von bestimmten Personen erzählt und an auserwählte Menschen weitergegeben werden. Der Schöpfungsmythos der keressprachigen Pueblo-Indianer berichtet, wie die Muttergöttin Iyatiku ihre Kinder, die Pueblo, durch vier unterirdische Zonen hinauf in die Menschenwelt schickt. Die kalifornischen Miwok halten Großvater Kojote für den Schöpfer der Menschen, die er aus Vogelfedern erschafft. Für die Irokesen fällt die Mutter aller Menschen vom Himmel auf die von der Schildkröte aus dem Meer gezogene Erde. Dieser Mythos darf nur von der Mutter auf die Tochter vererbt werden. Zentrale Bedeutung in den Mythen haben der Kojote, der Bison, Tricksterfiguren. Anlässe für das Anstimmen heiliger Gesänge sind Initiationen von Jungen oder Mädchen ins Erwachsenenalter, Jagd oder Ernte, Hochzeit, Tod, Krieg und Friedensabkommen.
Zu den weltlichen Traditionen gehören Märchen, Lieder für alle Gelegenheiten (Wiegenlieder, Arbeitslieder zum Beispiel bei der Maisernte, Liebeslieder) und Reden.
Einer der großen Rhetoriker der Seneca wie der Indianer allgemmein war Red Jacket (um 1756-1830), den die Franzosen seiner Zeit bewunderten.
Über den jeweiligen Stamm hinaus an die Weißen vermittelt werden die oralen Traditionen zunächst durch Missionare (französische Jesuiten in Kanada), Militärs oder Händler wie den Engländer William Henry, der 1755 Gefangener der Irokesen war. Die frühen Zeugnisse geben die Indianertradition oft entstellt oder mit polemischen Kommentaren wieder. Nach 1800 zeichnen zunehmend Indianer ihre Traditionen schriftlich auf, oft als Teil einer Autobiographie. Nun interessieren sich auch weiße Wissenschaftler für die Indianische Literatur als wertvolle Kulturzeugnisse und Teil der Weltliteratur. Die ersten Übersetzungen indianischer Lyrik publiziert ab 1839 Henry Rowe Schoolcraft im Rahmen ethnographischer Werke. Sie dienen Henry Wadsworth Longfellow als Grundlage für sein Epos über den Kulturheros Hiawatha als Erfinder einer Indianerschrift. Wichtige frühe Sammlungen: D. G. Brinton, Library of Aboriginal American Literature, 8 Bände (1882-90), ders., American Hero-Myths (1882); E. Petitot, Traditions Indienne du Canada du Nord-Ouest(1886); Natalie Curtis, The Indians' Book (1907)
In der Gegenwart lebt die Erzähl- und Redetradition nicht nur durch Feste und Rituale wie das Potlatch fort, sondern wird durch indianereigene Medien gefördert. So gibt es rund 30 Radiosender wie den Reservatssender KTNN in Arizona, der den Navajos gehört.
Mit Einsetzen der Kolonialisierung entstehen vereinzelt indianische Schriftsysteme bei den nordkanadischen Völkern (Carrier-Schrift). 1819 erfindet der Cherokee Sequoyah (um 1770-1843) eine Silbenschrift aus 85 Zeichen, die bis 1903 in den stammeseigenen Schulen unterrichtet wird.
Indianisches Schreiben bewegt sich zwischen Anpassung an die Kultur der weißen Eroberer und Kampf. Die Autoren möchten die vielen indianischen Splittergruppen einigen und setzen sich ein für Landbesitz, Menschenrechte für die so genannten zweibeinigen Panther, letztlich das schiere Überleben im amerikanischen Holocaust. Indianer eignen sich dazu die Waffen des weißen Mannes an, einschließlich Schrift, Zeitungen und Literatur.
So erscheint schon 1828-34 der Cherokee Phoenix, eine Wochenzeitung. Der Herausgeber Elias Boudinot (1804-39) verfasste die Artikel in Cherokee und Englisch und hatte Abonnenten auch in Europa. Boudinet diskutiert die Umsiedlung der Cherokee und anderer Stämme nach Oklahoma, ohne sie verhindern zu können. In der Kurzgeschichte Poor Sarah, or The Indian Woman (1833) propagiert Boudinot die Notwendigkeit der Schulbildung. Der Yavapai Carlos Montezuma (1866-1923) war studierter Arzt und gab von 1916-23 den Wassaja heraus, ein Kampfblatt, das den Indianern Respekt verschaffte.
Zeugnisse der Assimilation stammen aus den Reihen von Indianern, welche Missionsschulen besuchen: Predigten, Briefe, Tagebücher und Lebensgeschichten. Samson Occom (1723-92), ein Mohegan publiziert als erster eine Predigt A Sermon Preached at the Execution of Moses Paul, an Indian (1772). Postum erscheint Occoms Autobiographie, in der er die weiße Indianerpolitik kritisiert.
Nach dem Ende des Amerikanisch-Englischen Krieges interessieren sich gerade die US-Amerikaner zunehmend für Indianer als Gegner wie als Vorbild oder Mitmenschen. Besonders Indianer-Autobiographien sind gefragt. Teils werden sie von Weißen schriftlich fixiert, wie die von Black Hawk (1833), Geronimo (1906) oder Crashing Thunder (1926, von Paul Radin). Teils werden solche Autobiographien auch von Indianern autonom verfasst. William Apes, ein Pequot, beschreibt in A Son of the Forest 1829 Indianer als Repräsentanten von Natur und Natürlichkeit, deren Leben von Gewalt und Kulturverlust gezeichnet ist. Meist zeigen diese Lebensgeschichten weniger das Individuum, als den Repräsentanten des Indianervolks.
Vom Tuscarora David Cusick stammt die erste Stammesgeschichte: Sketches of the Ancient History of the Six Nations (1825-27)
Hendrick Aupaumut (Mahican): A Short Narration of My Last Journey to the Western Country (1827); historische Essais
Maris Bryant Pierce (Seneca): Adress on the Present Condition and Prospects of the Aboriginals Inhabitants of North America... (1838)
Den ersten Roman eines Indianers liefert Yellow Bird alias John Rollin Ridges mit Life and Adventures of Joaquin Murieta (1854).
George Copway, ein kanadischer Ojibwa, betätigte sich als Zeitungsherausgeber, Sachbuchautor und Dichter.
Sarah Winnemucca (Paiute) verfasste die Autobiographie Life among the Piutes: Their Wrongs and Claims (1883).
Emily Pauline Johnson (kanadische Mohawk) veranstaltet dramatische Lesungen in Kanada, USA und Europa. Ihre Kurzgeschichten stellen häufig Frauen insZentrum und erscheinen 1913 in The Mocassin Maker. Johnson publiziert etliche Gedichtbände: The White Wampun (1895), Canadian Born (1903) und Flint and Feather (1917, Postum).
Der Roman Queen of the Woods (1899) wird dem Potawatomi Simon Pkagon zugeschrieben, von dem die Rede The Red Man's Greeting (1892 anlässlich der Weltausstellung in Chicago) stammt.
Im beginnenden 20. Jahrhundert publizieren indianische Intellektuelle ihre Lebensgeschichten, um die Stereotypen des Indianerbildes aufzuheben. Unter ihnen sind die Sioux Charles Eastman und Luther Standing Bear, der Omaha Francis La Flesche und der indianisch-afroamerikanische Autor Buffalo Child Long Lance besonders hervorzuheben.
Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Stimmung günstiger für Indianer und das Engagement ihrer Repräsentanten trägt Früchte:
In der indianischen Literatur wird die Autobiographie weiter gepflegt. Es entwickelt sich daneben ein größeres Spektrum an Gattungen: Lyrik, Erzählungen, Romane und Dramen. Die Autoren behandeln mehr und mehr über die Stammesgeschichte und die Indianerthematik hinaus allgemeine gesellschaftliche Themen und versuchen sich in modernen Gattungen wie dem Kriminalroman. Todd Downing verfasst bereits in den 30er Jahren Krimis. Bekannt wird Martin Cruz Smith vor allem mit Gorky Park (1981).
Bis heute nichts von ihrer Popularität eingebüßt hat die Lebensgeschichte von Black Elk alias John G. Neihardt Black Elk Speaks, Being the Lifestory of a Holy Man of the Oglala Sioux (1932). Das Werk schildert die gescheiterte Suche nach einer Offenbarung unter dem Druck zur Anpassung an die US-Kultur.
Als erster indianischer Dramatiker verfasst Lynn Riggs Greene Grow the Lilacs (1931). Das Stück bildet die Basis für das Musical Oklahoma das 1943 am Broadway begeistert. Ein weiterer Braodway-Erfolg wurde Riggs' Borned in Texas (= Roadside, 1930). Das Drama The Cherokee Night (1936) dreht sich um Indianer in Oklahoma. Später schreiben auch Gerald Vizenor, Leslie Marmon Silko, James Welch und Linda Hogan Dramen. Als bekanntester indianischer Bühnenautor gilt inzwischen Hanay Geiogamah mit Foghorn, 49 und Body Indian (1980).
Mourning Dove publizierte den Roman Cogewea, the Half-Blood (1927), die Indianerin Christine Quintasket teilt sich die Autorschaft wohl mit einem weißen Förderer.
Sundown, ein Roman des Naturwissenschaftlers John Joseph Mathews von 1934, bleibt mit seinem Protagonisten bis in die 80er Jahre hinein exemplarisch. Er schildert einen jungen Halbindianer, der seine Identität finden muss. Entscheidet er sich zunächst für die weiße Welt, so wendet er sich schließlich doch wieder seinen indianischen Wurzeln zu. Eine ähnliche Problematik findet sich immer wieder auch bei Angehörigen anderer nordamerikanischer Ethnien wie den Afroamerikanern oder Juden. Noch Philip Roth behandelt die Konfliktsituation am Beispiel von Coleman Silk in Der menschliche Makel (2000).
Um 1970 kommt es zu einer Native American Renaissance. Den Boom leiten die Lyriker Simon J. Ortiz, Duane Niatum und James Welch ein.
N. Scott Momaday, maßgeblich für die literarische Renaissance, wird für seinen Erstlingsroman House made of Dawn (1968) mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Er hat mit einem weiteren Werk, Im Sternbild des Bären auch in Deutschland Erfolg.
Die Grenzen zwischen Autobiographie, Ficton und Lyrik verwischen sich im Werk vieler Autoren wie bei Momaday (The Names, 1976), Leslie Marmon Silko (Storyteller, 1981), Gerald Vizenor (Interior Landscapes: Autobiographical Myths and Metaphers, 1990) oder Ray A. Young Bear (Black Eagle Child, 1992).
Ein wortgewandter Autor ist Hyemeyohsts Storm, dessen früher historischer Roman Sieben Pfeile (1972) unter den Cheyenne umstritten ist. 1994 publizierte Storm die Autobiographie Lightning Bolt.
Neben Dramen und Lyrik schreibt die Laguna Pueblo Leslie Marmon Silko auch Romane. Ceremony (1977) führt Thought Woman, eine mythische Schöpferfigur, als Erzählerin ein. Der Roman Almanac of the Dead (1991) stellt eine Moralgeschichte Nord- und Südamerikas dar.
Die Romane von James Welch Winter in the Blood (1974) und The Death of Jim Loney (1979) verbinden realistische Schilderungen mit schwarzem Humor. In The Indian Lawyer (1990) gestaltet er einen Gesellschaftsroman zum modernen Amerika, in dem er Liebe, Politik und Kriminalität verknüpft.
Paula Gunn Allen formuliert feministische Positionen in ihren Werken wie The Woman Who Owned the Shadows (1983).
Louise Erdrich bricht mit den Mustern indianischer Bildungsromane und entwickelt einen eigenen Kosmos des phantastischen Realismus, in dem sich Indianer und Weiße begegnen. Erdichs Protagonisten können sich auf keine Tradition stützen, müssen sich selbst erfinden.
Weitere zeitgenössische Roman-Autoren und Werke:
Linda Hogan (Mean Spirit, 1990), Louis Owen (Wolfsong, 1991), Thomas King (Medicine River, 1990; Running Water, 1993), Gerald Vizenor (Darkness in Saint Louis Bearheart, 1978; The Trickster of Liberty, 1988)
Indigene Sprachen Nordamerikas, Liste berühmter Indianer, Liste englischsprachiger Schriftsteller, Liste amerikanischer Schriftsteller, Englischsprachige Literatur, US-amerikanische LiteraturMündlich überlieferte Traditionen
Schriftzeugnisse 17. bis frühes 20. Jahrhundert
Moderne Indianische Literatur im 20./21. Jahrhundert
In den USA wie in Kanada kommt es allerdings in den 60er und 70er zu Rückschlägen, weil man Privilegien der Indianer abschaffen möchte. Kanada erklärt gelegentlich einen Stamm schlichtweg für nicht mehr existent, um das Reservat nicht länger unterstützen zu müssen. Indianer reagieren mit verstärkten Protesten.Literatur
Weblinks
Siehe auch