Kettenrüstung
Als Kettenrüstung oder Kettenpanzer bezeichnet man eine Rüstung, die aus zahlreichen ineinander vernieteten oder verflochtenen kleinen Metallringen besteht.
Erfunden wurde die Kettenrüstung höchstwahrscheinlich von den Kelten spätestens im 2. Jahrhundert v. Chr, möglicherweise aber schon wenige hundert Jahre zuvor. Im 2. Jahrhundert v.Chr. fand die Kettenrüstung auch bei den Römern unter der Bezeichnung Lorica Hamata Verwendung. Bei der römischen Kettenrüstung handelte es sich um ein kurzärmeliges Kettenhemd, das bis zu der Mitte der Oberschenkel reichen konnte und mit einem Kragenteil aus Kettengeflecht versehen war. Neben zahlreichen anderen Rüstungsarten wurde die Kettenrüstung bis zum Untergang des Weströmischen Reiches im 5. Jahrhundert n.Chr. in der römischen Armee verwendet. Die Kettenrüstungen wurden meistens aus Eisenringen gefertigt, da Bronze für das Drahtziehen und Anfertigen von Ringen weniger geeignet war. Funde legen aber nahe, dass die Römer mitunter auch Bronzeringe verwendeten.
Nach dem Zusammenbruch des Römischen Imperiums gab es lange Zeit keine nennenswerte Kriegsindustrie auf europäischem Boden, was den Wert einer Kettenrüstung noch erhöhte. Die Kettenrüstung war die bevorzugte Rüstung der wohlhabendsten Männer während des Früh- und Hochmittelalters, daneben existierten diverse Arten von Textil- und Lederrüstungen, zudem Schuppenpanzer. Im Gegensatz zur römischen Kettenrüstung bedeckte die Kettenrüstung im Verlauf des Früh- und Hochmittelalters immer größere Teile des Körpers. Die normannischen Kämpfer, die auf dem Teppich von Bayeux aus dem 11. Jahrhundert n.Chr. zu sehen sind, tragen Kettenrüstungen, die bis zu den Ellbogen und bis zu den Knien reichen und über eine Kettenhaube verfügen - genau wie die Rüstungen ihrer angelsächsischen Gegner, weshalb man nicht von einem normannischen Rüstungstyp sprechen kann. Einige auf dem Teppich abgebildete Kämpfer tragen eine Kettenrüstung, die bereits über Beinteile verfügt.
Eine komplette mittelalterliche Kettenrüstung, die einen Großteil des Körpers schützte, wog in der Regel knapp über 20 Kilogramm. Sie bestand aus mehreren zehntausend Stahlringen, die ineinander vernietet wurden, um ein Aufplatzen der Ringe - etwa durch Pfeilschüsse - zu erschweren. Deshalb war es äußerst aufwändig, eine solche Rüstung herzustellen, was sich auch im Preis widerspiegelte. Eine Kettenrüstung konnte so viel kosten wie mehrere Dutzend Rinder, weshalb es sich nur wohlhabende Adlige - und manchmal auch Geistliche - leisten konnten, eine solche Rüstung zu erwerben. Die Hersteller von Kettenrüstungen wurden in Deutschland Panzermacher oder Sarwürker genannt. Die Panzermacher waren zunftgebunden.
Eine Kettenrüstung bot einen sehr guten Schutz vor Schnittverletzungen, aber gegen wuchtige Hiebe und kraftvolle Stiche half sie nur bedingt. Deshalb wurde es im Hochmittelalter üblich, unter der Kettenrüstung eine Textilrüstung zu tragen, die man als Gambeson bezeichnete. Ohne eine solche Unterbekleidung wäre das Tragen einer Kettenrüstung relativ unangenehm gewesen. Außerdem erhöhte sich dadurch der Schutz, den eine Kettenrüstung vor Hieb- und Stichwaffen bot. Über der Kettenrüstung wurde ein Wappenrock (auch Waffenrock) getragen.
Nachteilig an einer Kettenrüstung war die Tatsache, dass ein Großteil ihres Gewichtes auf den Schultern des Trägers lastete. Außerdem bot sie auch in Verbindung mit einem Gambeson kaum einen Schutz gegen Lanzenstiche, Armbrustbolzen und Pfeile, die mit einem Langbogen abgefeuert wurden. Deshalb ging man ab der Mitte 13. Jahrhunderts dazu über, die Kettenrüstung nach und nach durch Metallplatten zu verstärken oder zu ersetzen. Diese Entwicklung war um das Jahr 1400 abgeschlossen und resultierte in dem Plattenpanzer.
Da ein Plattenpanzer aber möglichst flexibel sein musste, blieben bestimmte Körperteile wie die Achseln und der Genitalbereich ungeschützt. Deshalb trug man auch lange Zeit nach Aufkommen des Plattenpanzers ein Kettenhemd unter dem Harnisch, oder man schützte zumindest die Lücken, die der Plattenpanzer ließ, durch Kettengeflecht. Deshalb wurden bis zum Verschwinden von Plattenpanzern auch Kettenrüstungsteile verwendet. Bei dem einfachen Fußvolk war es zum Beispiel während des 16. Jahrhunderts üblich, einen Hals- und Nackenschutz aus Kettengeflecht - den so genannten Bischofskragen - zu verwenden. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam zwar ein Genitalschutz für Plattenpanzer - die so genannte Brayette - auf, diese konnte aber auf dem Rücken eines Pferdes nicht getragen werden, weshalb auch in diesem empfindlichen Bereich bis zuletzt oftmals Kette verwendet wurde. Auch in Fechtkämpfen kam es noch längere Zeit vor, dass man unter der Kleidung ein Kettenhemd trug.
Mit dem Ende des Plattenpanzers in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kam auch das Ende für die Kettenrüstung. In anderen Kulturkreisen fand die Kettenrüstung aber teilweise noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Verwendung. Während des Ersten Weltkriegs experimentierte man wieder verstärkt mit dem Einsatz von Rüstungen, darunter auch Kettenrüstungsteile. So trugen britische Tank-Besatzungen einen Gesichtsschutz aus Kette, dessen Nutzen aber äußerst gering war. Nach diesem gescheiterten Wiederbelebungsversuch verschwand die Kettenrüstung aus dem Sortiment der im Krieg verwendeten Schutzwaffen.
Eine Wiederbelebung erfuhr das "Kettenhemd" in den 1980er Jahren als Schutzausrüstung für den Oberkörper beim akademischen Fechten mit scharfen Waffen, der so genannten Mensur. Während bis dahin ein Plastron aus verstärktem Leder den Oberkörper vor zu tief angesetzten Hieben schützte, entwickelte eine Gruppe junger Corpsstudenten in Zusammenarbeit mit Textilingenieuren eine innovative Lösung, die dem Fechtarm deutlich mehr Bewegungsfreiheit bot. Die bisherigen Plastrons waren sehr dick und steif, eine Bewegung des rechten Arms auf die linke Körperseite ("Vorsetzen") staute das Material und behinderte die Bewegung.
Die neu entwickelte Lösung bestand aus einem nach klassischen Vorbildern aus einer modernen Metall-Legierung gefertigten Kettenhemd mit Unterfütterung aus der Hightech-Kunstfaser Kevlar, die auch zur Produktion von schusssicherer Bekleidung verwendet wird. So wurde die Schutzwirkung verbessert und die Bewegungsfreiheit des Paukanten erhöht, was einer technischen Verbesserung der Deckung durch leichteres "Vorsetzen" zu Gute kam.
Diese neue Lösung fand schnell weite Verbreitung und ist heute allgemein üblich.
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