Georg Simmel - Der Streit
In seinem Kapitel "Der Streit" der "Soziologie" von 1908 setzt sich der Soziologe Georg Simmel mit den sozialen Konflikten auseinander:Wenn jede soziale Wechselwirkung eine Vergesellschaftungsform ist, so muss laut Simmel auch der Kampf - "eine der lebhaftesten Wechselwirkungen unter Menschen" - eine Vergesellschaftungsform sein. Das eigentlich "Dissoziierende" sind die Ursachen des Kampfes, Hass und Neid, Not und Begier. Der Kampf ist eine "Abhilfsbewegung gegen den auseinanderführenden Dualismus" und dient, so wie die heftigsten Ausbrüche einer schweren Krankheit, lediglich der Genesung. Der Kampf als Auflösung gegensätzlicher Spannungen hat in der Gesellschaft seine Daseinsberechtigung insoweit erfahren, als er immer eine adäquate Gewichtung zu den vorhandenen "positiven Sozialkräften" darstelle. Simmel findet positive Aspekte des Streits auch in der Konkurrenz, die sich vielleicht nicht aus der Perspektive des Einzelnen, jedoch insgesamt positiv auswirken kann.
Antagonismen haben eine "positive und integrierende Rolle" dadurch, dass sie die Struktur der Gesellschaft mit beeinflussen. Simmel erklärt es auch anhand der Institution Ehe, wo ein verträgliches Quantum an Unstimmigkeiten das Band überhaupt zusammenhält oder an Hand des indischen Kastenwesens: Hier gehört Feindschaft zu einer Art Reproduktionsfaktor der bestehenden Gesellschaftsstruktur, sie dient hier der Abgrenzung zum einen und als identitätsstiftendes Merkmal zum anderen. Das Vorhandensein von Konflikten wirkt reinigend. Opposition bewirkt Wechselwirksamkeit und trägt dadurch auch zu einem Gleichgewicht bei, zumindest gibt die Opposition uns das Gefühl nicht vollständig unterdrückt zu sein.
Wirksam wurde sein Ansatz im soziologischen Werk von Lewis A. Coser wieder aufgenommen.