Différance
Der vom französischen Philosophen Jacques Derrida geprägte Neologismus Différance ist ein Schlüsselwort des Dekonstruktivismus, das bereits in seiner äußeren Form den Gedanken veranschaulicht, den es repräsentiert: die Differenz, die aus dem permanenten Aufschub entsteht.Différance ist die substantivierte Form der Verben différencier (frz "einen Unterschied setzen") und différer (hier: "aufschieben"). Durch Veränderung des Suffix zum passivischen -ance entsteht ein Abstraktum, das sich selbst einerseits erklärt, andererseits ad absurdum führt. Das die Bedeutung tragende a ist zwar lesbar, nicht aber hörbar; es wird gleichsam "nicht realisiert" und verweist darin auf den Rückbezug jeder Kommunikation auf jene paradoxe "Ur-Schrift", die die Bedeutung jeder kulturellen und geistigen Handlung erzeugt. Der zweifache Akt der Dekonstruktion im Spannungsfeld von zeitlicher und räumlicher Verschiebung wird damit symbolisch nachgezeichnet.
Ferdinand de Saussures Auffassung, es gäbe in der Sprache nur Differenzen ohne positive Einzelglieder, wird in Différance radikalisiert. Das System sprachlicher Differenzierungen ist damit nicht mehr an Signifikate gebunden, wie z. B. an das Bedeutung tragende Phonem. Vielmehr wird aus der Vorstellung von Arbitrarität, d. h. der Willkürlichkeit von Zeichen, hier der Prozess von fortwährendem Sich-Unterscheiden (durch Aufschub, Zurückweisung, Umwege usw.) und von gegenseitigen Verweisen der Signifikanten, ein Spiel der Differänzen ohne erkennbares Zentrum und klar auszumachende Hierarchien. Bedeutung ist darin immer relational, niemals sich selbst konstituierend, da Différance sowohl die Wurzel von Unterschieden als auch Vorbedingung aller Bedeutungen und Strukturen ist.
Derrida steht mit seinem Gedanken in der Tradition Martin Heideggers wie auch Ludwig Wittgensteins. Darum ist Différance nach seiner eigener Zielsetzung auch weder nur strukturalistisch noch nur genetisch zu interpretieren, diese Unterscheidung wäre wiederum eine Wirkung von Différance. Eine besondere Tragweite erlangte Différance so als Ausgangspunkt für die Selbstkritik des Feminismus und den daraus entwickelten Ansatz der Gender Studies, da der Glaube an eine gemeinsame weibliche Identität bzw. an "das Weibliche" als Ergebnis von Denken in dichotomen Logikmodellen durch die Dekonstruktion grundlegend in Frage gestellt wurde.
Siehe auch: Dekonstruktivismus, Intertextualität, Julia Kristeva
Literatur
Weblinks