Schießbefehl
DDR
Unter dem Schießbefehl wird im allgemeinen Sprachgebrauch der Befehl 101 zum Schußwaffengebrauch bei der täglichen Vergatterung der auf Wache ziehenden Soldaten der Grenztruppen der DDR verstanden. Die dort wohl übliche Kurzformel (Autor war nicht dabei) lautete beim Tagesbefehl "Grenzdurchbrüche sind zu verhindern und Grenzverletzer sind zu vernichten!"In der Praxis wurde laut Postenordnung der sich unerlaubt im Bereich der Grenzanlagen der DDR aufhaltende Flüchtling vom Posten laut angerufen:
- "Halt, stehenbleiben, oder ich schieße!",
- danach wurde ein Warnschuß mit der Schußwaffe abgegeben (meist eine Maschinenpistole Typ Kalaschnikow AK-47),
- falls der Flüchtling danach nicht stehenblieb, sollte dann ein gezielter Schuß, möglichst auf die Beine abgegeben werden, um ihn zu stoppen.
Der Schütze wurde anschließend belobigt und auf Sonderurlaub geschickt, die Schüsse an der Grenze jedoch nach Möglichkeit streng geheim gehalten. Hatte der Flüchtling die Grenze hingegen erfolgreich überwunden, drohten den Grenzsoldaten disziplinarische Maßnahmen bis hin zur Bestrafung im berüchtigten Militärgefängnis Schwedt/Oder. Viele Grenzsoldaten behalfen sich mit dem "Danebenschiessen". Es fand hinterher immer einer förmliche Untersuchung der "Grenzverletzung" durch die Militärstaatsanwaltschaft und Dienststellen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) statt. Bei der Angabe der Todesursache auf dem Totenschein wurde verschleiernde Angaben gemacht und beim Begräbnis den Familienangehörigen strenge Auflagen erteilt, so durften sie z.B. keine Todesanzeige in der Tageszeitung veröffentlichen.
Im Vorfeld der Grenzanlagen waren zahlreiche Warnschilder aufgestellt, die vor dem Betreten der Grenze warnten. Laut Grenzgesetz war das Betreten der Staatsgrenze der DDR nur an den dafür vorgesehenen Grenzübergangssstellen (GÜST) vorgesehen. Die Grenzverletzung war nach dem DDR-StGB strafbar. Dies sind die formalen Aspekte, die natürlich nicht vergessen lassen dürfen, dass spätestens nach dem Mauerbau 1961 die Reisefreiheit für Besuchsreisen bzw. ständige Ausreisen nach dem Westen (BRD, Westberlin) sehr eingeschränkt war und somit vielen jüngere Menschen nur die verzweifelte Flucht über die innerdeutsche Grenze blieb. Insgesamt wurden ca. 260 Menschen bei Fluchtversuchen über die Berliner Mauer nach Westberlin, die innerdeutsche Grenze oder die Ostsee getötet. Eine unbekannte Anzahl wurde schwer verletzt und anschließend inhaftiert. Letzter Mauertoter war 1989 Chris Gueffroy. Vor hohen Feiertagen oder Staatsbesuchen wurde auch zeitweise der Schießbefehl an der Grenze ausgesetzt, um negative Nachrichten zu vermeiden.
Nachweisliche Todesschützen der DDR-Grenztruppen wurden nach der Wiedervereinigung vor bundesdeutschen Gerichten in den Mauerschützen-Prozessen strafrechtlich verurteilt. Gegen die für das Grenzregime verantwortlichen Kommandeure der Grenztruppen und die Mitglieder im Nationalen Verteidigungsrat (NVR) der DDR wurden ebenfalls Prozesse geführt. Die Richter waren der Ansicht, dass auch die einfachen Grenzsoldaten damals hätten erkennen können und müssen, dass die DDR-Grenzgesetze aufgrund übergeordneter Menschenrechte rechtswidrig waren und sie sich dem Schießbefehl ihrer Grenzoffiziere hätten verweigern müssen.
Zu Opfern des Grenzsystems wurden neben erschossenenen Flüchtlingen auch vereinzelt von Flüchtigen erschossene Grenzsoldaten.