Gulag
Gulag (russisch Главное Управление Лагерей, Glavnoje Upravlenije Ispravitelno-trudovych Lagerej) steht für Hauptverwaltung der Lager.Es handelte sich um eine Behörde der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Josef W. Stalin, der damalige Diktator der Sowjetunion, forderte 1929 eine effizientere Nutzung der Arbeitskräfte in den Arbeitslagern, deren erste schon unmittelbar nach der Errichtung der Sowjetunion als Gefängnisse mit Arbeitspflicht für politische Gegner und bestimmte soziale Grupppen errichtet worden waren. Stalin ließ sie unter der Direktion der Behörde Gulag zunächst für hundertausende, später für Millionen politischer und sozialer Gegner sowie für Angehörige bestimmter Minderheiten ausbauen.
Durch das trotz ständiger Überwachung durch den sowjetischen Geheimdienst von Alexander Solschenizyn heimlich geschriebene und in den Westen geschmuggelte Sachbuch Der Archipel Gulag wurde die Bezeichnung für die Behörde zum Begriff für das Repressionssystem der Sowjetunion als Ganzes oder das Teilsystem der Straflager.
Die Massenvernichtung wurde unter Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow gestoppt, das umfassende System der Repression und der Straflager nach einer kurzen Periode des so genannten Tauwetters in vermindertem Umfang aber wieder aufgebaut. Beendet wurden die politischen Verfolgungen erst unter Gorbatschow.
Mit Ausnahme einiger Lager für Wissenschaftler (von Solschenizyn in dem Roman Der erste Kreis der Hölle aus eigener Erfahrung beschrieben), denen jeder Vernichtungscharakter fehlte, kam es im Lagersystem nie zu jener effizienten Nutzung der Arbeitskraft, die Stalin neben den Repressions- und Vernichtungszielen angestrebt hatte. Die Methode, z.B. einen großen Kanal von halbverhungerten, im Winter von halberfrorenen Häftlingen mit Spitzhacke, Schaufel und Spaten ausheben zu lassen, war wirtschaftlich völlig ineffizient.
Effizient war allein die Vernichtungswirkung. Die Lebensbedingungen, aber auch die Ineffizienz der Lager wurden an einem Einzelschicksal beispielhaft beschrieben in Solschnizyns Novelle Ein Tag im Leben des Iwan Dennissowitsch, die während der Periode des Tauwetters in der sowjetischen Literaturzeitschrift Literaturnaja Gazeta erschien.
Solschenizyns begriffsbildendes Buch Der Archipel Gulag wirkte in den angelsächsischen und romanischen Ländern sehr stark. Solschenizyn liefert darin eine sehr umfassende Schilderung des Systems der politischen Verfolgungen, Verhaftungen, der Untersuchungsgefängnisse, der Verhöre, der Folter, der Verurteilungen und der Straflager selbst, die in weiten Teilen den Charakter von Massenvernichtungslagern durch Hunger, Kälte, Überanstrengung, unhygienische Zustände und mangelnde medizinische Versorgung hatten.
In Amerika und England verstärkte dieser umfassende Bericht die Ablehnung des kommunistischen Systems sowjetischer Prägung und des Kommunismus überhaupt. In den romanischen Ländern, insbesondere in Frankreich, wo bedeutende Wissenschaftler, Intellektuelle und Künstler kommunistische Parteien als Mitglieder oder Symphatisanten unterstützt hatten, wandten sich diese vielfach von diesen Parteien und in Frankreich teilweise von den Ideen des Sozialismus ganz ab. Lange vor dem Ende der Sowjetunion wurden durch diese Bewegung die ehemals starken kommunistischen Parteien in Italien, Frankreich und Spanien fortlaufend geschwächt. Die verbliebenen Kommunisten führten schwere ideologische Kämpfe darum, ob das bis dahin nahezu kritiklos unterstützte Modell Sowjetunion weiterhin bedingungslos unterstützt werden sollte, oder ob der Kommunismus (insbesondere die Vergesellschaftung der Produktionsmittel) unter Erhaltung der Menschenrechte und damit in Distanz zum Sowjetmodell (so genannte Diktatur des Proletariats unter Führung der Kommunistischen Partei als Avantgarde der Arbeiterklasse) angestrebt werden sollte.
Die letztere, Eurokommunismus genannte, Bewegung setzte sich in Italien unter dem Parteiführer Enrico Berlinguer durch, die orthodoxe Richtung konnte in Frankreich und Spanien Fuß fassen, wo die Masse der kommunistischen Wähler lange vor den unübersehbaren schweren wirtschaftlichen Krisen der kommunistischen Staaten Osteuropas zu den sozialistischen Parteien abwanderte.
Die Aufarbeitung der Gulag-Geschichte wird von der 1989 gegründeten russischen Gesellschaft Memorial betrieben. Ihr Vorsitzender ist der russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow. Sein Vorgänger war der sowjetische Dissident Andrej Sacharow. Memorial sammelte die Berichte mehrerer tausend Gulag-Gefangener, untersuchte Massengräber. Seit 1990 wertet sie auch offizielle Dokumente aus den russischen Staatsarchiven aus. Zu Memorial gehören regionale Memorial-Gesellschaften in allen Teilen Russland.
Siehe auch StalinismusLiteratur
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