Ganzes
Ganzes bildet eine Menge von qualitativ identischen (homogenen) oder/und qualitativ verschiedenen (heterogenen) relativ selbständigen Teilen (Elementen), die ein einheitliches System bilden. Die Teile stehen mehr oder weniger in Wechselwirkung und üben innerhalb des Ganzen eine spezifische Funktion aus.
Das Ganze bildet deshalb das Korrelat zum Teil, aus Teilen bestehend und in Teile zerlegbar, ohne sich vollständig auf die Summe seiner Teile zurückführen zu lassen. Die Kategorie "Ganzes" ist ein Relationsbegriff, der nur in bezug auf sein Korrelat "Teil" sinnvoll ist.
G.W.F. Hegel hat die Dialektik von Teil und Ganzes genial erkannt. Nach seiner Auffassung bildet einmal das Ganze die Voraussetzung der Teile, zum anderen aber liegt die Existenz des Ganzen darin begründet, dass "es die Teile zur Voraussetzung hat" (in: Hegel, Wissenschaft der Logik, 2. Teil).
Das Ganze kann also niemals mechanisch aus Teilen zusammengefügt werden, denn die Teile sind nur durch das Ganze das, was sie sind. Auf der anderen Seite sind aber auch die Teile nach der Auffassung Hegels relativ selbständige Ganzes, die im Widerspruch zum Ganzen und zu anderen Teilen stehen.
Nach seiner Auffassung ist das Ganze einerseits mehr als die Summe seiner Teile, es besitzt diesen gegenüber eine relative Stabilität, das heißt, wird ein Teil vom Ganzen getrennt, dann kann das Ganze erhalten bleiben, der Teil hört in jedem Fall auf, ein Teil zu sein. Andererseits hat das Ganze seine Voraussetzung in Teilen.
Auf diese Gedanken Hegels eingehend, schreibt Friedrich Engels:
"Weder die mechanische Zusammensetzung aus Knochen, Blut, Knorpel, Muskeln, Geweben etc., noch die chemische aus den Elementen, drücken ein Tier aus.... Der Organismus ist weder einfach noch zusammengesetzt..."
Die Dialektik von Teil und Ganzem enthält zwei Aspekte:
Im ersten Aspekt liegt die Betonung bei den Teilen, die die Voraussetzung des Ganzen bilden. Wird dieser Gedanke vereinseitigt, so erscheint das Ganze aus selbständigen Teilen zusammengefügt, wie der Mechanismus eines Uhrwerks.
Im zweiten Aspekt liegt die Betonung bei der besonderen Qualität des Ganzen gegenüber seinen Teilen. Es wird hervorgehoben, dass die Teile eben nicht mechanisch aneinandergefügt sind, sondern bedingt durch das Ganze eine bestimmte Funktion ausüben. Das Ganze ist demnach mehr als die Summe seiner Teile.
Es gibt in der objektiven Realität Erscheinugen, bei denen das quantitative Nebeneinander der Teile überwiegt (zum Beispiel Steine, ein Haufen Sand, ein physikalisches Gemenge) und die deshalb als mechanisches Ganzes bezeichnet werden können.
Zum anderen gibt es Erscheinungen mit einer komplizierten inneren Struktur(Atome, Moleküle, chemische Verbindungen, Organismen, gesellschaftliche Systeme, wissenschaftliche Theorien, Gemälde, Melodien und anderes). Diese Systeme bezeichnen wir als Ganzheiten. Ein angenommenes "reines" mechanisches Ganzes hätte seinen Teilen gegenüber keinerlei Selbständigkeit.
Als Summe seiner Teile büßt es bereits seine Vollständigkeit ein, wenn ein Teil von ihm gelöst wird. Der Teil aber bleibt bei der Herauslösung unverändert das, was er war. Er besitzt dem angenommenen "reinen" mechanischen Ganzen gegenüber absolute Selbständigkeit (siehe Absolutes (Philosophie).
Ganz anders verhält es sich bei einer angenommenen "reinen" Ganzheit. Sie ist ihren Elementen gegenüber absolut selbständig, denn sie ist in der Lage, unter bestimmten Bedingungen die Funktionen eines ihrer Elemente durch die eines anderen zu ersetzen.
Der Teil beziehungsweise das Element einer Ganzheit enthält wiederum mehr als ein Teil eines mechanischen Ganzes, denn seine Besonderheit ist seine Funktion im ganzheitlichen System. Dabei ist der Teil der angonommenen "reinen" Ganzheit absolut unselbständig, denn wird er aus dem ganzheitlichen System gelöst, dann verliert er sein wesentliches Merkmal - seine Funktion - und ist deshalb nicht mehr das, was es war.
In der materiellen Welt gibt es weder absolut mechanisches Ganzes noch absolute Ganzheiten. Eine jede Erscheinung ist vielmehr sowohl eine Gesamtheit von Teilen als auch eine Funktionseinheit von Elementen. Wenn auch das quantitative Nebeneinander der Teile in mechanischen Ganzheiten überwiegt, so sind doch die Systembeziehungen ebenfalls wirksam.
Umgekehrt gilt auch für die Ganzheit die Abhängigkeit von der Anzahl der Elemente. Selbst das ausgeprägteste ganzheitliche System besitzt nicht eine solche Selbständigkeit, dass beliebig viele Elemente entfernt werden können. Eine Veränderung der für ein solches System wesentlichen Teile kann zu einer grundlegenden Veränderung führen, ja kann sogar seine Auflösung bedeuten.
Die Elemente wiederum stehen funktionsbedingt untereinander und gegenüber dem Gesamtsystem in widersprüchlichen Beziehungen, sie müssen also sowohl untereinander als auch gegenüber der Ganzheit relative Selbständigkeit aufweisen. Erst aus der Wechselwirkung relativ selbständiger Teilsysteme ergibt sich die neue Qualität des Gesamtsystems.Zur Definition
Zum Ganzen bei Hegel
Eine Bemerkung von Friedrich Engels dazu
Zur Dialektik von Teil und Ganzem
Zu den Aspekten von Teilen und Ganzes
Zur Struktur und Ganzheit in den Erscheinungen
Zu den Besonderheiten bei der Herauslösung eines Teils
Zum Urteil der Ganzheit unter der Berücksichtigung realer Systeme