Teil und Ganzes
Teil und Ganzes bezeichnet Relationsbegriffe, mit deren Hilfe der Systemcharakter, die hierarchische Ordnung und die Struktur der objektiven Realität als gesetzmäßiger, d.h. notwendiger Prozess erfasst werden. Das Verhältnis Teil und Ganzes hängt auf das engste mit der Dialektik von Einheit und Vielheit, Einheit und Mannigfaltigkeit, Element, Struktur und System zusammen.
Jedes Ganze ist eine Vielheit, insofern es sich aus einer Menge von Teilen zusammensetzt, also quantitativ bestimmt ist. Jedes Ganze ist jedoch auch eine Einheit, insofern es ein der quantitativen Mannigfaltigkeit seiner Teile gegenüber relativ selbständiges Verhalten aufweist. Im Gegensatz zum Mechanizismus, der letzte unteilbare Elemente der Materie also die Existenz von Dingen annimmt, die nur Teile, nicht aber selbst auch Ganze sind, ist in der materialistischen Dialektik die These von der Dialektik von Teil und Ganzen universell:
Zur Bestimmung des Ganzen im Zusammenhang zu Vielheit, Einheit und Mannigfaltigkeit
So ist z.B. das Atom sowohl Teil als auch Ganzes; Teil in Bezug auf das Molekül, dem es angehört, Ganzes gegenüber seinen Konstitutionselementen wie Proton, Neutron, Elektron u.a. Werner Heisenberg wählte in Anlehnung daran den Titel Der Teil und das Ganze für die Aufzeichnungen vornehmlich wissenschaftstheoretischer Gespräche.
Ein Ding kann als Teil x immer nur in bezug auf ein bestimmtes System , ein bestimmtes Ganzes definiert werden (d.h. x ist ein Teil von ). Die Angabe des Bezugssystems ist unerlässlich, weil das gleiche Ding in der Regel Teil mehrerer Systeme ist, wobei die Eigenschaften, die das Ding als Teil in den verschiedenen Systemen aufweist, nicht nur von seiner eigenen Beschaffenheit, sondern auch von der Eigengesetzlichkeit des jeweiligen Systems abhängen( d.h. x wirkt in durch seiner Eigenschaft a; in System durch seine Eingenschaft b usf.).
Kein Ding kann jedoch Teil von jedem Ganzen sein, da es durch seine dingspezifischen Eigenschaften nur für bestimmte Klassen von Ganzheiten als Konstruktionselement geeignet ist (d.h. x ist ungeeignet in dem System , da es die Eigenschaft c besitzt). Die Möglichkeit der Dinge, als Teile verschiedener Klassen von Systemen aufzutreten bzw. nicht aufzutreten, beweist, dass die Dinge selbst Systeme von Eigenschaften, als Ganzheiten sind.
Wie der Teil nur in bezug auf das Ganze, so kann das Ganze nur in bezug auf seine Teile definiert werden: durch die Menge, Art und Anordnung seiner Teile sowie durch die damit gegebenen Relationen, d. h. durch die Struktur und ihre zugehörigen Funktionen. Das Ganze ist damit seinem Wesen nach mehr als die Summe der Funktionen seiner Teile, insofern durch die Strukturfunktionen Leistungen und Verhaltensweisen ermöglicht werden, die aus den Leistungen und Verhaltensweisen der isolierten Teil nicht ableitbar sind.
Es führt zu Irrtümnern bei den Annahmen der idealistischen Ganzheitsphilosophie, von dem aus der bloßen Menge der Teile nicht ableitbaren Ganzheitsverhalten nicht auf die wechselseitige Abhängigkeit der Teile als Erklärungsprinzip zurückzugreifen, sondern transzendente (d.h. ideelle) Faktoren anzunehmen, die aus den Teilen erst ein Ganzes bilden (so in der Ganzheitstheorie, im Holismus, Vitalismus).
Nicht jedes Ding, das irgendwie in einem System enthalten ist, kann deswegen schon als Teil dieses Systems betrachtet werden. Als Teile können jeweils nur diejenigen Elemente bzw. Subsysteme des Gesamtsystems bezeichnet werden, aus deren wechselseitige Anordnung und Abhängigkeit das systemspezifische Verhalten resultiert. So können Atome zwar Teile von einem Molekül sein, nicht aber im strengen Sinne Teile von z.B. menschlichen Organen, oder: Zellen sind zwar Teile von Organen, nicht aber im strengen Sinne Teile des Organismus. Aus der Nichtbeachtung der hierarchsichen Ordnung von Teil und Ganzem resultieren fehlerhafte Annahmen im Mechanizismus, wo das Atom (bzw. die jeweils gerade erkannte kleinste Einheit der Materie) Teil jedes stofflichen Gebildes ist und wo daher alle anderen Realitätsbereiche reduziert und nivelliert werden, wodurch eine materialistische Erklärung der realen Ganzheiten nicht mehr möglich wird.
Die relative Selbständigkeit des Ganzen wie auch die seiner Teile ergibt sich auch aus dem - wie bei Aristoteles festgestelltem - Merkmal von Ganzheiten, dass diese, im Gegensatz zu bloßen Mengen oder Aggregaten, ihre Qualität nicht verändern oder nicht zerstört werden, wenn sie eine in einen bestimmten Variationsbereich nicht überschreitende Menge von Teilen verlieren (oder funktionslos werden) bzw. sich um eine ebenfalls im Rahmen des Ganzheitsmaßes haltende Menge von Teilen vermehren, oder wenn der verlorene (funktionslose) bzw. hinzugefügte Teil für das Ganze nicht wesentlich ist.
So kommt es z.B. durch die Exstirpation (d.h. der Entfernung bzw. Zerstörung) bestimmter Teile des Gehirns, an die bestimmte psychische Leistungen vorwiegend gebunden sind, zwar vorübergehend zu deren Ausfall, jedoch kann nach und nach die ausgefallene Funktion durch andere Teile ersetzt werden, so dass der alte Systemzustand - wenn auch häufig wie beim menschlichen Gehirn in Abhängigkeit von den spezifischen Parametern der Person auf insgesamt niedrigerem Niveau - wiederhergestellt werden kann. In diesem Fall ist die Ganzheit durch den Verlust von Teilen nicht zerstört worden. Aber die Kompensationsfähigkeit des Gehirns hat sowohl in quantitativer Hinsicht (d.h. die Menge der entfernten bzw. zerstörten Teile kann nicht beliebig variieren) als auch in qualitativer Hinsicht (d.h. es gibt Teile, die nicht ersetzt werden können) ihre Grenze.
Der Zusammenhang zwischen den Kategorien "Ganzes" und "Maß" zeigt, dass das Verhältnis zwischen Teil und Ganzem der Dialektik von Qualität und Quantität folgt. Zur Bestimmung des Dings als Ganzes im Rahmen von Systemen
Zur Bestimmung des Ganzen durch Relationen der Struktur und Funktion der Teile
Zu den Annahmen der "Ganzheitsphilosophie"
Zur Abgrenzung von Teil und Ganzem in einer hierarchischen Anordnung
Zur Abgrenzung des Ganzen zur Menge und zum Aggregat
Zum Beispiel des Gehirns bei (Funktions-)Verlust von Teilen eines Systems