Unbestimmter Rechtsbegriff
Der unbestimmte Rechtsbegriff bezeichnet im Verwaltungsrecht ein Merkmal innerhalb einer gesetzlichen Bestimmung, das aus sprachlicher Sicht für sich betrachtet keinen eindeutigen Inhalt zu haben scheint, das gewissermassen "unscharf" ist. Erst durch Auslegung gewinnt der unbestimmte Rechtsbegriff an Schärfe. Die Auslegung schliesst dabei stets eine Bewertung aller Umstände des Einzelfalls ein, in dem der Begriff konkret angewandt werden soll.
- Beispiele: Unbestimmte Rechtsbegriffe sind etwa die "Unzuverlässigkeit" (z.B. des Gewerbetreibenden, § 35 Gewerbeordnung), die "öffentlichen und privaten Belange" (die bei der Bauleitplanung gegeneinander abzuwägen sind, § 1 Abs. 6 Baugesetzbuch), die "erheblichen" Nachteile und "erheblichen" Belästigungen (§ 5 Abs. 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz), oder das "öffentliche Interesse", der "Härtefall", die "Eignung" oder der "wichtige Grund".
In wenigen Ausnahmefällen ist davon abweichend innerhalb bestimmter Grenzen die Verwaltung abschließend befugt, die richtige Auslegung zu bestimmen. In diesen Fällen steht der Behörde ein so genannter Beurteilungsspielraum zu. Das sind vor allem solche Fälle, in denen Behörden Entscheidungen zu treffen haben, die so stark situationsabhängig sind, dass sich diese Situationsgebundenheit im gerichtlichen Verfahren nicht rekonstruieren und nachvollziehen lässt. Ein solcher Beurteilungsspielraum ist insbesondere anerkannt bei bestimmten
- Prüfungs- und prüfungsähnlichen Entscheidungen (Staatsexamina, Versetzung in die nächste Klasse, Abitur, u.ä.),
- beamtenrechtlichen Beurteilungen,
- Prognoseentscheidungen und Risikobeurteilungen insbesondere im Umweltrecht,
- Wertungsentscheidungen weisungsfreier, mit Interessenvertretern oder Sachverständigen besetzter Ausschüsse und Gremien.
- Bei der Überprüfung von Prüfungsentscheidungen etwa kann das Gericht daher nur prüfen, ob die Behörde von dem zutreffenden "Sachverhalt" ausgegangen ist, ob sie alle relevanten Verfahrensvorschriften eingehalten, anerkannte Bewertungsmaßstäbe angewandt und frei von sachfremden Erwägungen entschieden hat.
Dennoch sind unbestimmte Rechtsbegriffe mit dem Gebot der Bestimmtheit gesetzlicher Bestimmungen, das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt, grundsätzlich vereinbar, solange sich nur der Begriff durch Auslegung ausreichend präzisieren lässt. Im übrigen besteht für unbestimmte Rechtsbegriffe in Rechtsnormen ein praktisches Bedürfnis. Denn Rechtsnormen können naturgemäß nicht jeden Einzelfall, für den sie gelten sollen, vorweg ausdrücklich regeln, sondern sind darauf angewiesen, den Bereich, für den sie gelten sollen, abstrakt zu beschreiben. Abstraktheit bringt aber zwangsläufig Unschärfe im Detail mit sich.
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