Leibeigenschaft
Die Leibeigenschaft bezeichnet eine im Mittelalter weit verbreitete persönliche Abhängigkeit von Bauern von ihrem Grundherren; die Erbuntertänigkeit stellt eine besonders strenge Variante dar. Die leibeigenen Bauern bewirtschafteten Höfe, die ihren Grundherren gehörten und mussten dafür Pacht (Gült) zahlen. Daneben mussten sie ihm einen Zehnt leisten und waren zu Frondiensten verpflichtet. Im Gegensatz zu Hörigen, bei denen die Abgaben- und Fronpflichten an das bewirtschaftete Gut gebunden sind, sind sie bei Leibeigenen personengebunden. Der Umfang der Dienste war aber im Gegensatz zur Sklaverei begrenzt und genau festgeschrieben. Außerdem durften Leibeigene, im Gegensatz zu Sklaven, Privateigentum besitzen, wenn auch keine Immobilien. Zu beachten ist, dass sich die Leibeigenschaft im Westen des Deutschen Reiches bis ins 19. Jahrhundert hinein prinzipiell anders gestaltete als in den östlichen Gebieten. Zunächst wird hier auf die Verhältnisse in Südwestdeutschland Bezug genommen.Die Leibeigenschaft ist grundsätzlich als gegenseitige Verpflichtung zu begreifen. Der Leibherr gewährt dem Leibeigenen militärischen und juristischen Schutz; letzteres bedeutet, dass er bei Ladung vor fremde Gerichte einen Rechtsbeistand stellen muß. Dafür entrichtet der Leibeigene Abgaben an den Leibherren. Jährlich wird eine Leibhenne als Zeichen der Anerkennung der Leibeigenschaft fällig, dazu im Todesfall von männlichen Leibeigenen das Besthaupt (bestes Stück Vieh) und von weiblichen Leibeigenen das Bestkleid. Diese Todfallabgaben wurden im 15 und 16. Jahrhundert zunehmend in Geldabgaben umgewandelt. Im südwestdeutschen Raum waren als Todfallabgabe an den Leibherren 1,5% von Vermögen üblich. Es gab aber Herrschaften, in denen bis zum Ende des Alten Reiches noch Naturalabgaben oder ein Äquivalent dafür erhoben wurden. Die Herrschaften konnten Leibeigene kaufen, verkaufen und tauschen. Dies bedeutet aber nichts anderes, als daß die gegenseitigen Verpflichtungen auf die neue Leibherrschaft übergingen, denn der Leibeigene blieb in der Regel auf seinem angestammten Hof. Lediglich bezüglich der Heiratsbeschränkungen machte sich der Besitzwechsel bemerkbar.
Der Leibeigene war der Jurisdiktion seines Grundherren unterstellt, dieser bestimmte auch, wen er heiraten durfte, und nur nach seiner Genehmigung war ihm erlaubt, die Hofstelle zu verlassen. Flüchtige wurden gesucht und in der Regel mit Gewalt wieder zurückgebracht. Nur wenn es einem Bauern gelang, das Territorium einer Stadt zu erreichen und dort dauerhaft Aufnahme zu finden, entkam er der Rechtsprechung des Grundherren. Aus diesem Zusammenhang stammt auch der Satz Stadtluft macht frei. Umgekehrt durfte ein Leibeigener jedoch auch nicht gegen seinen Willen aus seiner Heimat entfernt werden. Schon im 9. Jahrhundert begann die Grundherrschaft und die Leibeigenschaft zunehmend zusammenzufließen, aber erst der Erlaß von Friedrich I, der am 6. Mai 1524 den lokalen Herrschern die Hand- und Halsgerichtsbarkeit über deren Untertanen zusprach, gab ihr auch eine rechtliche Grundlage. Im 16. Jahrhundert setzte sich die Leibeigenschaft fast überall durch, und in manchen deutschen Territorien wurden viele vorher freie und hörige Bauern in die Leibeigenschaft gedrängt.
In Südwestdeutschland lässt sich beobachten, dass die Leibeigenschaft im Mittelalter als eher loser Verbund zu denken ist. Erst seit dem 15. Jahrhundert nahmen die Herrschaften im Zusammenhang mit dem Territorialisierungsprozess ihre Rechte aus der Leibeigenschaft stärker wahr. Sie versuchten zunehmend, Grundherrschaft und Leibherrschaft durch Kauf und Tausch von Leibeigenen sowie durch verschärfte Heiratsbeschränkungen (Verbot der "ungenossamen Ehe") flächendeckend in Einklag zu bringen. Vor allem diese Heiratsbeschränkungen schürten den Unmut und waren mit eine wichtige Ursache für den Deutschen Bauernkrieg von 1524-1526.
Im 17 und 18. Jahrhundert, als die Heiratsbeschränkungen faktisch kaum mehr existierten, gab es kaum mehr Widerstand gegen die Leibeigenschaft. Es konnte sogar vorkommen, dass Leibeigene Angebote zur Ablösung ihrer Leibeigenschaft ausschlugen, obwohl sie dazu finanziell ohne weiteres in der Lage gewesen wären. Vor allem in Gebieten mit starker territorialer Zersplitterung, z.B. in Oberschwaben, erwies sich der juristische Schutz als wichtige Absicherung. Da die Leibeigenschaft eine gegenseitige Verpflichtung war, konnte sie nicht gegen den Willen des Leibeigenen aufgekündigt werden. Wenn jemand nicht in der Lage war, die Todfallabgaben aufzubringen, zeigten sich die Herrschaften in aller Regel kulant, indem sie Nachlässe gewährten, ganz verzichteten oder die Todfallabgabe durch eine symbolische Handlung (z.B. Wallfahrt) abgelten ließen.
Erst mit der Bauernbefreiung Anfang des 19. Jahrhunderts ging die Verbreitung der Leibeigenschaft zurück. Die Forschung ist sich weitgehend darüber einig, dass die Forderungen nach Befreiung von der Leibeigenschaft nicht wegen der Verpflichtungen der Leibeigenen erhoben wurden. Vielmehr widersprach die Vorstellung einer persönlichen Bindung dem Menschenbild der Aufklärung. Deshalb wurde die Leibeigenschaft in vielen deutschen Staaten zwischen dem Ende des 18 und dem Beginn des 19. Jahrhunderts aufgehoben. In Württemberg erfolgte die Aufhebung 1817 sogar entschädigungslos. In Ostdeutschland wurde die Leibeigenschaft 1807 durch Erlaß des Königs von Preußen mit Wirkung zum Martinstag 1810 abgeschafft.