Chiralität
Chiralität (griech "Händigkeit") nennt man die Eigenschaft bestimmter Gegenstände oder Systeme, die sich wie Bild und Spiegelbild zueinander verhalten. Gängige Beispiele sind beispielsweise unsere Hände oder rechts- beziehungsweise linksgewundene Schneckenhäuser. Diese können durch eine Spiegelung nicht auf sich selbst abgebildet werden; eine Spiegelung ergibt vielmehr das jeweilige Enantiomer.
In der Physik spricht man von Chiralität (auch Helizität), wenn die Gesetzmäßigkeiten in zwei zueinander spiegelbildlichen Systemen nicht gleich sind. Beispiel: Paritätsverletzung des Betazerfalls.
In der Chemie wird Chiralität durch Stereozentren hervorgerufen. Dies sind meist asymmetrische Kohlenstoffatome, also solche, die vier unterschiedliche Substituenten tragen.
Allgemeine Formel (R1 bis R4: verschiedene Reste) Beispiel R1 R1 Cl | | | R2-C-R3 R3-C-R2 H-O-C-CH3 | | | R4 R4 H Enantiomer 1 Enantiomer 2Verbindungen mit Stereozentren (asymmetrischen C-Atomen) kommen als Stereoisomere vor, verhalten sich zwei Stereoisomere wie Bild und Spiegelbild, so bezeichnet man dieses Paar als Enantiomere. Zu ihrer Unterscheidung bedient man sich der R-S-Nomenklatur, mit der die räumliche Anordnung der Substituenten beschrieben wird.
Enantiomere unterscheiden sich nicht in ihren physikalischen Eigenschaften, mit Ausnahme ihrer optischen Aktivität. Auch ihre chemischen Eigenschaften sind identisch, bis auf ihr Reaktionsvermögen in stereoselektiven Reaktionen.
Chemisch reine Enantiomere sind optisch aktiv, drehen also die Schwingungsebene des linear polarisierten Lichts nach links oder rechts (linksdrehende Form und rechtsdrehende Form). Im Namen einer Verbindung macht man dies durch Voransetzen von "(-)-" beziehungsweise "(+)-" deutlich; zum Beispiel (-)-Weinsäure oder (+)-Milchsäure.
Ein 1:1-Gemisch der Enantiomere nennt man Racemat. Es ist optisch nicht aktiv und hat den Drehwinkel 0°, da sich die Anteile rechtsdrehender und linksdrehender Form gerade aufheben. Liegen in einem Gemisch die beiden Enantiomere nicht zu je 50 % vor, zeigt sich eine restliche optische Aktivität, deren Drehwinkel kleiner ist als der maximal mögliche des reinen Enantiomers. Aus dem Verhältnis des gemessenen Drehwinkels zum maximalen Drehwinkel des reinen Enantiomers ergibt sich der so genannte Enantiomerenüberschuss (EE - enantiomeric excess) dieses Enantiomerengemisches.
Viele biologisch wichtige Substanzen sind chiral, nicht nur die kleineren Moleküle von Aminosäuren und Zuckern, sondern auch biologische Makromoleküle wie Enzyme oder Rezeptoren. Bei einigen Substanzklassen überwiegt oft ein Chiralitätssinn, so herrschen beispielsweise bei den natürlichen Aminosäuren die linksdrehenden Formen vor. Chiralität als Folge des räumlichen Baus von Molekülen hat entscheidende Bedeutung für das Funktionieren biologischer Systeme, die alle selbst chiral sind. So sind viele Enzymreaktionen auf ein Enantiomer, entweder das linksdrehende oder das rechtsdrehende, spezialisiert, die Reaktionsgeschwindigkeit mit dem spiegelbildlichen Enantiomer als Substrat ist dann deutlich geringer. Gar nicht so selten entfaltet das "falsche" Enantiomer auch eine völlig andere biologische Wirkung. Beispielsweise schmeckt bei einer bestimmten Verbindung das eine Enantiomer süß, während sein Partner bitter ist. Auch Wirkstoffe, zum Beispiel Arneimittel können solche Effekte haben. Bei einigen Betablockern wirkt das eine Enantiomere selektiv auf das Herz, das andere an den Zellmembranen des Auges.
Veranschaulichen kann man sich das an einem alltäglichen Beispiel: Unsere Hände sind chiral, ebenso die dazugehörigen Handschuhe. Es ist klar, dass nur der rechte Handschuh zur rechten Hand passt. Versucht man den rechten Handschuh auf die linke Hand zu ziehen, so wird man damit scheitern oder nur ein sehr dürftiges Ergebnis erzielen.
Deswegen versucht man heute bei chemischen Synthesen nur noch das Enantiomer mit der gewünschten Wirkung herzustellen und als Wirksubstanz einzusetzen, während man das andere Enantiomer mit seiner möglicherweisen unerwünschten Wirkung von Anfang an ausschließen möchte (Stereoselektive Synthese).