Zweisprachigkeit
Unter Zweisprachigkeit oder Bilingualismus versteht man die Fähigkeit eines Menschen, neben seiner ersten Sprache (Muttersprache) eine zweite mit ähnlich hoher Kompetenz zu gebrauchen, d. h. sich in beiden Sprachen in allen Lebenslagen und sozialen Kontexten mit derselben Effizienz auszudrücken.Dies bedeutet jedoch bei weitem nicht, auch fähig zu sein, von einer dieser Sprachen in die andere zu dolmetschen. Ein Mensch, der über Zweisprachigkeit verfügt, wird zweisprachig oder bilingual genannt.
Perfekte Zweisprachigkeit gibt es nicht (oder nur in sehr seltenen Ausnahmefällen), was mit dem Fehlen "perfekter Einsprachigkeit" korrespondieren dürfte. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen mehreren Formen von Bilingualismus: nach dem Niveau der Sprachkompetenz in den beiden Sprachen, nach dem Alter der Aneignung der zweiten Sprache, danach, ob die Person in einem zweisprachigen Umfeld lebt, nach dem Status der Sprache im sozialen Umfeld sowie nach der kulturellen Identität und dem Zugehörigkeitsgefühl des Individuums.
Von simultaner Früh-Zweisprachigkeit spricht man, wenn ein Kind in dem Moment, in dem es sprechen lernt, mit zwei Sprachen in Berührung kommt, beispielsweise wenn jeder Elternteil eine andere Sprache und im Idealfall konsequent in seiner jeweiligen Muttersprache mit dem Kind spricht.
Es erlernt beide Sprachen mit Leichtigkeit. Als Erwachsener wird sich ein solches Kind in beiden Sprachen gleich gut ausdrücken können, wenn im persönlichen Entwicklungsprozess die Motivation dazu erhalten bleibt und wenn das Individuum sich an verschiedenen sprachlichen Kontexten beteiligen kann und will.
Von konsekutiver Früh-Zweisprachigkeit spricht man, wenn ein Kind zwar aus einer einsprachigen Familie stammt, diese jedoch in einem anderssprachigen Umfeld lebt. Dies ist die häufigste Art der Zweisprachigkeit.
In dem Moment, in dem es sprechen lernt, verinnerlicht das Kind also eine einzige Sprache. Spätestens beim Schuleintritt (meist jedoch bereits früher) kommt das Kind mit der zweiten Sprache in Kontakt und lernt diese mit Leichtigkeit und großer Kompetenz.
Diese Art der Zweisprachigkeit kann sehr tief gehen, es wird jedoch immer ein gewisses Ungleichgewicht zwischen den beiden Sprachen bestehen bleiben. Der konsekutive Früh-Bilingualismus wird in manchen Fällen auch als kontextueller Bilingualismus bezeichnet.
Die subtraktive Zweisprachigkeit tritt dort auf, wo eine Person in einem kulturellen Umfeld lebt, in dem ihre erste Sprache eine Minderheitensprache ist und gleichzeitig einen geringeren Status hat als die von der Gemeinschaft gesprochene Sprache. Dies ist beispielsweise für frankophone Personen in Kanada (außerhalb von Québec) oder für Angehörige von sprachlichen Minderheiten in den europäischen Nationalstaaten der Fall (Frankreich, Italien, Deutschland, ...).
Die Anziehung, die eine statushöhere Gruppe auf ein Individuum ausübt, kann dazu führen, dass die Individuen ihre erste Sprache (Muttersprache) zugunsten der prestigeträchtigeren zweiten Sprache vernachlässigen, um sich mit ihrer Zielgruppe zu identifizieren.
Bemerkung: Diese Definition wird in der Sprachforschung benutzt, gilt jedoch in der Sozialpsychologie als umstritten und sollte deshalb mit Vorsicht benutzt werden.
Diese Art der Zweisprachigkeit kann sich entwickeln, wenn sich ein Individuum im Jugend- oder Erwachsenenalter in ein anderssprachiges soziales Umfeld begibt und sich die dortige Sprache durch den Kontakt aneignet.
Eine solche Zweisprachigkeit entwickelt sich beispielsweise immer dann, wenn eine Person in ein anderssprachiges Land emigriert. Das sprachliche Ungleichgewicht ist im Vergleich mit der Früh-Zweisprachigkeit sehr viel höher. Die Zweisprachigkeit kann jedoch so gut entwickelt werden, dass die Person in den meisten Kontexten beide Sprachen mit sehr hoher Kompetenz gebrauchen kann.
Untersuchungen etwa der Universität Wales und der Universität Magdeburg haben gezeigt, dass Zweisprachigkeit fast nur Vorteile bringt. Untersuchungen an den Universitäten Neuchâtel (Schweiz), Lausanne (Schweiz), Lüttich (Belgien) und Montréal (Kanada) mit konsekutiv und simultan bilingualen Kindern und Jugendlichen kommen zu dem Schluss, dass Zweisprachigkeit in vielen Fällen nicht bedeutet, dass die Personen beide Sprachen perfekt beherrschen, sondern dass sie sich zwar in beiden Sprachen ausdrücken können, jedoch manchmal keine von beiden wirklich gut beherrschen. Es besteht die Situation des "Switching", d. h. des Wechsels von einer in die andere Sprache.
Die Zweisprachigkeit wird deshalb oft als einer der Hauptgründe für die oft relativ schlechten schulischen Leistungen von Immigrantenkindern gesehen. Diesen Problemen (Bilingual Language Disability) kann jedoch mit einer gezielten schulischen Förderung begegnet werden, so dass die Zweisprachigkeit im Endeffekt zu einer erhöhten Sprachkompetenz der Kinder führt.
Ob Emotionalität nur in der wirklichen Muttersprache ausgedrückt werden kann, ist umstritten.
Die Mehrsprachigkeitsforschung hat sich bisher wenig mit der Bedeutung der Mehrsprachigkeit für das sprechende Subjekt beschäftigt, sondern hauptsächlich die Wirkung der Mehrsprachigkeit auf die verschiedenen Anteile des sprachlichen Systems untersucht.
Verschiedene Staaten gehen unterschiedlich mit der Zwei- oder Mehrsprachigkeit ihrer Einwohnerinnen und Einwohner um. So wenden beispielsweise die USA eine sehr restriktive Politik an, indem sie echte Zweisprachigkeit zu unterbinden versuchen (siehe z. B. Marta Laureano). Im Gegensatz dazu wird in Kanada, Belgien oder der Schweiz die Mehrsprachigkeit aktiv gefördert.
In den letzten Jahren hat sich – ausgehend vom angelsächsischen Bereich – eine nicht unumstrittene Tendenz gezeigt, jede Person mit einigermaßen brauchbaren Fremdsprachenkenntnissen als "bilingual" bzw. "multilingual" zu bezeichnen.
Definitionen
Simultaner Früh-Bilingualismus
Konsekutiver Früh-Bilingualismus
Subtraktiver Bilingualismus
Erwachsene Zweisprachigkeit
Zweisprachigkeit in der Forschung
Politik und Zweisprachigkeit
Verwandte Themen
Literatur