Wilhelm I. (Deutsches Reich)
Wilhelm I. Friedrich Ludwig (* 22. März 1797, Berlin - † 9. März 1888) war Deutscher Kaiser und König von Preußen. In der Revolution von 1848 erhielt er den Beinamen "Kartätschenprinz" (s. u.). Nachdem er für den kranken Friedrich Wilhelm IV. 1858 die Regentschaft übernommen hatte, wurde er 1861 preußischer König. Am 18. Januar 1871 wurde er nach siegreicher Beendigung des Deutsch-Französischen Krieges im Spiegelsaal zu Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen, Reichskanzler wurde Otto von Bismarck. Wilhelm I. starb im Dreikaiserjahr am 9. März 1888. Sein Nachfolger wurde sein Sohn, Kaiser Friedrich III
Frühe Jahre
Wilhelm war der zweite Sohn Friedrich Wilhelms III (1770-1840) und der Königin Luise, Tochter des Herzogs Karl II. von Mecklenburg-Strelitz. Seine Erziehung wurde durch Johann Friedrich Gottlieb Delbrück übernommen, der zuvor Rektor des Magdeburger Pädagogiums gewesen war.
Am 1. Januar 1807, Preußen hatte bei Jena und Auerstedt gerade eine schwere Niederlage gegen Napoleon einstecken müssen, ernannte ihn sein Vater (im Alter von 10 Jahren) zum Offizier.
1814 begleitete er, zum Hauptmann ernannt, seinen Vater auf den Feldzug in Frankreich, erwarb sich bei Bar sur Aube am 26. Februar das Eiserne Kreuz, zog am 31. März mit in Paris ein, folgte seinem Vater auch beim Besuch in England und führte, am 8. Juni 1815 konfirmiert und zum Major befördert, ein Bataillon des 1. Garderegiments von neuem nach Frankreich, wo indes der Krieg schon zu Ende war. Am 1. Januar 1816 erhielt er das Kommando des Stettiner Gardelandwehrbataillons, 1818 als Generalmajor das Kommando einer Gardeinfanteriebrigade, am 1. Mai 1820 den Oberbefehl über die 1. Gardedivision und 1825, als Generalleutnant, die Führung des Gardekorps.
Auch in Staatsangelegenheiten wurde er vom König zur Beratung herangezogen. Wiederholt wurde er in Staats- und Familienangelegenheiten an den Petersburger Hof gesandt.
Nachdem er 1826 auf die Heirat mit der Prinzessin Elise Radziwill verzichtet hatte, weil sie Streit über die Erbfolge in der Dynastie hervorzurufen drohte, vermählte er sich am 11. Juni 1829 mit der Prinzessin Auguste von Sachsen-Weimar, die Tochter des Großherzogs von Sachsen-Weimar, deren Schwester Maria die Gemahlin seines jüngern Bruders Karl, war. Dieselbe gebar ihm am 18. Oktober 1831 den Prinzen Friedrich Wilhelm und am 3. Dezember 1838 die Prinzessin Luise.
Prinz von Preußen
Nach dem Tod seines Vaters (1840) erhielt er als präsumtiver Thronfolger seines Bruders Friedrich Wilhelm IV den Titel "Prinz von Preußen" und wurde bald darauf zum General der Infanterie befördert.
Im März 1848 plädierte Prinz Wilhelm unter dem Druck der Ereignisse der Märzrevolution zwar für die Bewilligung einer konstitutionellen Verfassung, wollte aber dennoch die Barrikadenrevolution vom 18. März 1848 in Berlin mit militärischer Gewalt niederschlagen lassen. Er plädierte dafür, das Militär aus der Stadt abzuziehen und sie von außen mit Kanonen (Kartätschen) sturmreif zu schießen. Deswegen wurde er "Kartätschenprinz" genannt. Nach den Forschungen von Rüdiger Hachtmann von 1997 blieb dem preußischen Militär am 19. März angesichts der heftigen Barrikadenkämpfe nur der Weg des Rückzugs, wollte es unter dem zermürbenden Straßenkampf nicht nach und nach aufgerieben, politisiert oder nervlich zerrüttet werden. Prinz Wilhelm war wegen seines Plädoyers für eine militärische Lösung bei den Anhängern der Revolution derart verhasst, dass er vom klug taktierenden König den Befehl erhielt, umgehend nach London zu reisen. Am 20. März wurde das Berliner Palais des Prinzen durch einen einfachen Mann vor Brandstiftung und Zerstörung gerettet, der auf die Wand die Worte "National-Eigentum" schrieb.
Der Prinz floh aus Berlin und reiste nun unter fremdem Namen am 21. März nach London, wo er mit dem Prinzen Albert, R. Peel, J. Russell, Palmerston und anderen Staatsmännern verkehrte und seine politischen Anschauungen klärte. An den deutschen Einheitsbestrebungen nahm er lebhaften Anteil.
Anfang Juni kehrte er nach Berlin zurück. Der Postillion Heinrich Dickmann[1] fuhr den Prinzen Wilhelm ein Stück des Weges durch das Ruhrgebiet. Der spätere Kaiser reiste über Wesel, Duisburg und Hannover. Am 30. Mai hatte sich der Prinz in Brüssel öffentlich und schriftlich zur konstitutionellen Regierungsform für Preußen bekannt und so auf die Demonstration von 10.000 Berlinern gegen seine Rückkehr reagiert. Zum Abgeordneten in die preußische Nationalversammlung gewählt, nahm er zwar das Mandat an, aber, nachdem er in einer kurzen Rede seine konstitutionellen Grundsätze dargelegt hatte, kündigte er die Niederlegung seines Abgeordnetenmandats an und kehrte nach Potsdam zurück. Im September ernannte der König auf seinen Vorschlag einige Minister des neuen gegenrevolutionären Ministeriums des Generals von Pfuel.
Am 8. Juni 1849 wurde er zum Kommandierenden der "Operationsarmee in Baden und in der Pfalz" ernannt. Nachdem er in Mainz einem Attentat glücklich entgangen war, unterwarf er in wenigen Wochen die Truppen der Aufständischen in der Pfalz und in Baden (vgl. Badische Revolution). Mit der Einnahme Rastatts, der letzten Bastion der Revolutionäre, durch Truppen unter seiner Führung, wurde zugleich auch die Märzrevolution in Deutschland insgesamt, endgültig niedergeschlagen. Am 19. August zog er zusammen mit dem Großherzog von Baden feierlich in Karlsruhe ein.
Am 12. Oktober zog er an der Spitze von Truppen, die in Baden gekämpft hatten, in Berlin ein und wurde zum Militärgouverneur am Rhein und in Westfalen ernannt, nahm er seinen Wohnsitz in Koblenz; 1854 ward er zugleich Generaloberst der Infanterie mit dem Rang eines Feldmarschalls und Gouverneur der Festung Mainz.
Die Neue Ära
Die früher dem Prinzen ungünstige Stimmung war infolge seiner Zurückhaltung von den Ausschweifungen der politischen und kirchlichen Reaktion und des Junkertums so sehr in das Gegenteil umgeschlagen, dass er, besonders seit den Verwicklungen mit Österreich und seit dem Krimkrieg, als Hauptvertreter der Machtstellung Preußens galt, und dass alle Hoffnungen der patriotischen und liberalen Partei sich ihm zuwandten, als er während der Krankheit des Königs 23. Oktober 1857 als dessen Stellvertreter und ab 7. Oktober 1858 als Regent an die Spitze der Regierung trat. Nachdem er am 26. Oktober den Eid auf die Verfassung geleistet hatte, berief er am 5. November das liberale Ministerium Hohenzollern ("neue Ära") und legte am 8. November in einem Erlass an dieses seine Regierungsgrundsätze und Ziele dar.
Zwar betonte er, dass von einem Bruch mit der Vergangenheit nicht die Rede sein könne, erklärte sich aber entschieden gegen alle Scheinheiligkeit und Heuchelei; ebenso sprach er sich dagegen aus, dass Preußen sich in der auswärtigen Politik fremden Einflüssen hingebe, vielmehr müsse es durch eine weise Gesetzgebung, Hebung aller sittlichen Elemente und Ergreifung von Einigungsmomenten in Deutschland Eroberungen zu machen suchen. Diese Stellen fanden im Volk und bei dem neu gewählten überwiegend liberalen Abgeordnetenhaus den Beifall, da die kirchliche Reaktion und die russische Politik Friedrich Wilhelms IV. am meisten verstimmt hatten, und wurden fast allein beachtet; viel zu wenig dagegen die Worte des Prinzen, in denen er von der notwendigen Heeresreform und den dazu erforderlichen Geldmitteln sprach, da Preußens Heer mächtig und angesehen sein müsse, wenn Preußen seine Aufgabe erfüllen solle.
Dies sah der Prinz in der Tat als seine Hauptaufgabe an, und der Verlauf der Ereignisse von 1859, wo die Mobilmachung auf große Schwierigkeiten stieß und viele Mängel im Heerwesen aufdeckte, konnte ihn nur darin bestärken. Leider konnte sich die Majorität des Abgeordnetenhauses nicht entschließen, die Mehrkosten der durchgreifenden Heeresreorganisation, welche 1860 vorgelegt wurde, im Vertrauen auf des Prinzen konstitutionelle und deutsch-nationale Gesinnung und Politik definitiv zu bewilligen.
Obwohl Wilhelm schwer darunter litt, dass ihm die Herzen des Volkes entfremdet wurden, blieb er in der Verteidigung der Rechte der Krone standhaft. Während unter diesen Umständen die Reformen im Innern völlig stockten, ja vielfach ein schroffes Polizeiregiment zur Herrschaft kam, verfolgte der König unter Bismarcks Beirat eine entschiedene Politik in der deutschen Frage.
Der König ging widerstrebend auf Bismarcks Politik ein, welche 1866 zum Entscheidungskampf mit Österreich führte. In diesem übernahm der König selbst den Oberbefehl über das Heer und errang den Sieg bei Königgrätz. Bei den Friedensverhandlungen verzichtete er nur ungern auf die Annexion Sachsens, um Bismarcks deutsche Einigungspläne nicht zu durchkreuzen, und bot dem Landtag durch das Indemnitätsgesetz die Hand zum Frieden.
Durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 1. Juli 1867 wurde Wilhelm Präsident desselben. Im Innern lenkte er mehr und mehr wieder in die liberale Bahn ein. Die verhassten Minister der Konfliktsperiode wurden entlassen und machten Anhängern einer freisinnigen Reform Platz. Die Entwicklung des Norddeutschen Bundes wurde unterbrochen durch den Krieg mit Frankreich 1870. Wilhelm übernahm wieder den Oberbefehl über die gesamte in Frankreich einrückende Armee, befehligte selbst bei Gravelotte und die Schlacht bei Sedan und leitete von Oktober 1870 bis März 1871 mit unermüdlicher Arbeitskraft von Versailles aus die militärischen Operationen auf verschiedenen Kriegsschauplätzen und die politischen Verhandlungen über die Herstellung des Deutschen Reichs.
Durch die Kaiserproklamation, welche am 18. Januar 1871 im Versailler Schlossee stattfand, nahm Wilhelm für sich und seine Nachfolger an der Krone Preußen den Titel eines "deutschen Kaisers" an und versprach, "allzeit Mehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiet nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung". Am 16. Juni 1871 hielt er seinen glänzenden Einzug in Berlin. Rastlos widmete er sich wieder den Regierungsgeschäften, sowohl der Vollendung der militärischen Organisation des Deutschen Reichs (u. a. Gründung Kaiserliche Marine 1871) als der innern Reform des preußischen Staatswesens.
Den äußeren Frieden bemühte er sich durch Versöhnung der Gegensätze und Feindschaften der Nachbarmächte zu sichern. Zu diesem Zweck brachte er im September 1872 in Berlin im sogenannten Dreikaisertreffen den Dreikaiserbund zwischen Deutschland, Russland und Österreich zu Stande, welcher die beiden letzteren Mächte einander annäherte und sich die Aufrechterhaltung des Friedens zur Aufgabe machte.
Demselben Zweck sollten die Besuche dienen, welchen sich der Kaiser 1873 in Petersburg und Wien, 1875 in Mailand unterzog, wie er es sich denn stets angelegen sein ließ, durch den Eindruck persönlichen Verkehrs auf Besuchen in neu erworbenen Landesteilen beschwichtigend und versöhnend für die Einigung der deutschen Nation zu wirken.
Unter sorgfältigster Pflege der Ärzte erholte sich Wilhelm I. allmählich von der schweren Verwundung und kehrte nach längerem Aufenthalt in Baden und Wiesbaden am 5. Dezember nach Berlin zurück, wo er die Regierung wieder übernahm. Im Juli wurde dann im ganzen Reich die sogenannte Wilhelmsspende aus kleinen Gaben gesammelt; sie ergab 1,8 Mill. Mark. von 12 Mill. Gebern.
Ungeachtet seiner tief verwurzelten Sympathien für Russland gab Wilhelm 1879 seine Zustimmung zum Bündnis mit Österreich.
Vergebens versuchte sein Enkel, Kaiser Wilhelm II, für ihn die Bezeichnung "Wilhelm der Große" durchzusetzen. Es gibt Kaiser-Wilhelm-Denkmale, so z.B. das Reiterstandbild in Nürnberg von Wilhelm von Ruemann (1905) oder das Denkmal 'Deutsches Eck' in Koblenz (1897).
Siehe auch: Liste der preußischen Könige, Liste der Herrscher namens WilhelmKönig von Preußen
Erstes Attentat
Am 14. Juli 1861 verübte der Student Oskar Becker in Baden-Baden ein Attentat auf Wilhelm, der nach Friedrich Wilhelms Tod (2. Januar 1861) wirklich König geworden war, verwundete ihn aber nur leicht. Krönung
Die Krönung (18. Oktober 1861), sie stellte einen Kompromiß zwischen der von Wilhelm bevorzugten Erbhuldigung und der von der Verfassung vorgeschriebenen Eidesleistung des König im Parlament dar, verstärkte das Misstrauen gegen die konstitutionellen Ansichten des Königs; die Neuwahlen am 6. Dezember 1861 fielen fortschrittlich aus, und mit dem Rücktritt des Ministeriums der Neuen Ära (17. März 1862), das der König fallen ließ, weil es die gesetzliche Genehmigung der tatsächlich bereits durchgeführten Heeresreorganisation nicht erreichen konnte, begann der Verfassungskonflikt, in dem der König sein eigenstes Werk, die Reorganisation, mit Standhaftigkeit festhielt und für das Ministerium Bismarck, so verhasst es war, in seinen Konflikten mit dem Abgeordnetenhaus mit seiner ganzen königlichen Autorität, obwohl erfolglos, eintrat; ja, der König verlor selbst rasch seine frühere Popularität, wie sich besonders bei den 50jährigen Erinnerungsfesten an die Befreiungskriege und an die Vereinigung verschiedener Provinzen mit Preußen 1863 bis 1865 zeigte.Deutscher Kaiser
Zweites Attentat
Der Leipziger Klempnergeselle Max Hödel, Mitglied der Sozialdemokraten, gab am 11. Mai 1878, als der Kaiser mit der Großherzogin von Baden in offenem Wagen durch die Linden fuhr, mit einem Revolver mehrere, das Ziel verfehlende, Schüsse auf ihn ab. Drittes Attentat
Noch war die Aufregung über das zweite Attentat nicht abgeklungen, als drei Wochen später, am 2. Juni (einem Sonntag), der Kaiser allein in den Tiergarten fuhr. An fast gleicher Stelle feuerte ein Schütze aus einem Fenster des Hauses Nr. 18 Unter den Linden zwei Schüsse auf den Kaiser, die ihn mit 30 Schrotkörnern in Kopf und Arme schwer verwundeten. Der Täter Karl Nobiling, ein junger promovierter Landwirt, wurde durch einen Selbstmordversuch schwer verletzt, gefasst. Obwohl der Kaiser so krank wurde, dass er am 4. Juni den Kronprinzen zum Stellvertreter ernennen musste, bewahrte er dennoch eine unerschütterliche Seelenruhe und Gleichmut. Die Erregung über das zweite Attentat nutzte Bismarck dazu, im Reichstag das Sozialistengesetz durchzusetzen, indem er wider besseren Wissens verbreiten ließ, der Attentäter sei Sozialdemokrat gewesen. Viertes Attentat
Bei der Einweihung des Niederwalddenkmals in Rüdesheim sollte ein Anschlag mit Dynamit auf Wilhelm I. erfolgen. Wegen des feuchten Wetters versagte aber der Zünder.Tod
Wilhelm starb nach kurzer Krankheit am 9. März 1888 in Berlin und wurde am 16. März im Mausoleum zu Charlottenburg beigesetzt. Zahlreiche Denkmäler wurden ihm zu Ehren errichtet; das 2. westpreußische Grenadierregiment Nr. 7 wurde Grenadierregiment König Wilhelm I. benannt. Der Versuch seines Enkels, ihm den Titel "der Große" beizugeben, fand in der Bevölkerung sowenig Niederschlag wie in der Historiographie.Nachleben
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