Werturteilsstreit
Der Werturteilsstreit hat in der Soziologie zwei Mal eine bedeutende Rolle gespielt und steht in einem Zusammenhang mit dem Positivismusstreit und dem Methodenstreit in der Soziologie.Die Frage, ob eine "Wissenschaft" nur konstatieren dürfe, was ist - also nur ontologische Aussagen machen dürfe -, oder auch aussagen, was sein solle - deontologische, wertende Aussagen einschließen dürfe -, spielt in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eine große Rolle. Im deutschen Hochschulsystem wird eine Deontologie im strengen Sinne nur der Theologie eingeräumt, die auch den methodischen Zugang durch Offenbarung zu lässt.
Die Forderung nach Wertfreiheit (Objektivität) wissenschaftlicher Forschung und Begriffsbildung wurde bereits 1909, bei der Gründung der "Deutschen Gesellschaft für Soziologie", heiß umstritten und verbindet sich heute (2004) am nachdrücklichsten mit dem Namen Max Webers, der zwischen "empirischer Tatsachenfeststellung" und "praktischer Wertung sozialer Tatsachen" einen klaren Trennungsstrich ziehen wollte, nicht anders als der Nestor der deutschen Soziologie Ferdinand Tönnies. Dies ist vor dem Hintergrund der Debatten mit den Kathedersozialisten in der Volkswirtschaftslehre und i. w. S. mit dem "Wissenschaftlichen Sozialismus" marxistischen Ansatzes zu verstehen.
Im Zuge der Studentenunruhen seit 1967 flammte der Werturteilsstreit in der Bundesrepublik Deutschland erneut heftig auf. Die Kampflinie lag hier zwischen orthodoxen und innovativen Marxisten und Vertretern der "Kritischen Theorie" der Frankfurter Schule einerseits und traditionalen wie modernen Erkenntnistheoretikern (oft in der Nachfolge von Karl Popper) andererseits.
In geringerem Ausmaß hat dieser Streit viele soziologische Auseinandersetzungen begleitet, gewöhnlich dann auffällig, wenn sich eine neue soziale Frage erhob, wie z. B. der 'Neokolonialismus', die 'neue Frauenfrage' und mehr.
Hier wie häufig ergab sich (mit Kurt Tucholsky): Die großen Menschheitsprobleme werden nicht gelöst, sondern einfach liegen gelassen.