Unterscheidung von Geistern und Phantomen (nach Salvador Dalí)
Die strikte Unterscheidung von Geistern und Phantomen, die Salvador Dalí vornimmt, wird üblicherweise zu den surrealistischen Scherzen des katalanischen Künstlers gezählt und von daher nicht ernst genommen. Dabei bestimmt diese Unterscheidung das Dalísche Weltbild existenziell und ist als psychologische "Theorie" zur Bewertung der Charakteristika von sowohl weltlichen wie metaphysischen Phänomenen inzwischen immerhin eingermaßen anerkannt. Dabei verkennt man ihren Wert, wenn man sie nur als eine solche verstünde. Sie ist in der modellhaften Darstellung des Unterschieds von Geistern und Phantomen ferner nicht als auf Polarität zugespitztes Denkmuster zu begreifen und auch nicht zu verstehen als dialektisches Gegensatzpaar im Sinne Hegels.Die Unterscheidung zwischen Geistern und Phantomen, so wie sie Dalí vorgenommen hat, ist jedermann sofort einsichtig, der die Kriterien vernimmt, die der Künstler hierbei ansetzt. Jedoch wird häufig der Fehler gemacht, Dalí meine mit ihr ungefähr folgendes: Begegnet einem ein übernatürliches Phänomen, dann könne man mit Hilfe der Dalíschen Unterscheidung, dieses als Geist oder als Phantom kategorisieren. Das ist formal genommen richtig. Das Entscheidende jedoch ist, dass Dali alle Erscheinungen, die in der Welt vorkommen (Baum, Haus, Ich, Stern, Philosophie, Comicfigur, Stilrichtung, Kaffeetasse, Gedanke usw. usw.) mit Hilfe dieser Unterscheidung "klassifiziert".
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Nach diesen Charakteristika wären also z.B. eine Zitrone, eine CD, ein bunt angezogener Popstar Geister, dagegen ein durchsichtiges Hemd, eine Glasscheibe (transparent) oder ein Kaminkehrer (dunkel, schattenhaft) Phantome. Wichtig ist nun noch zu wissen, dass ein Geist eher Mühe hat, bei seiner Bestrebung, ins Sichtbare zu drängen und von daher auch (meist unfreiwillig) phantomhafte Charakterzüge besitzt oder gewinnt (z.B. wenn er vergeht und ins Unsichtbare schwindet: Zunahme an Transparenz). Umgekehrt dasselbe bei Phantomen: indem sie überhaupt gesehen werden können und eine gewisse Dichtigkeit also "mitbringen" müssen, besitzen sie durchaus (auch eher unfreiwillig) geisterhafte Züge.
Es ist nun, unabhängig von dieser Möglichkeit, Geister und Phantome beliebig im Alltagsleben entdecken und "klassifizieren" zu können, von hoher Interessantheit, die Bilder Salvador Dalís unter diesen Hinsichten zu betrachten, und sich hierbei darüber klar werden zu können, in welchem Ausmaß des Künstlers Sichtweise dieser Unterscheidung von Geister und Gespenster unterworfen ist. Man denke hierbei beispielsweise an das geister-hafte Porträt, das Dalí von Pablo Picasso malte oder im Gegenzug an die phantom-hafte Darstellung Wilhelm Tells.
Von Bedeutung ist die Kenntnis der Dalíschen Unterscheidung auch in ganz banaler Hinsicht. Übersetzer der Titel von Dalí-Bildern ins Deutsche, die die Unterscheidung nicht kennen, übersetzen oft beliebig Phantom, wenn Dalí deutlich Geist sagt und umgekehrt.Die Charakteristika
Geister
Hell, bunt, irisierend, schillernd, "schrill", zu Tages und Nachtzeiten auftretend, Stofflichkeit, Wille zur Sichtbarkeit (zum gesehen werden), schlierig schillernde Rillen (wie z.B. bei Schallplatten); der Geist zeigt nur seine Oberfläche (man denke hierbei beispielsweise an das berühmte Bettlaken).Phantome
Dunkel, schattenhaft, fahl, geheimnisvoll, zu Dämmerzeiten auftretend, Entstofflichung, Wille zur Unsichtbarkeit (zum nicht wahrgenommen werden konnen; das Phantom besitzt eine gewisse Transparenz, man kann gewissermaßen durch es hindurch auf den Hintergrund blicken).
Das Gespenst, wie wir es in Deutschland kennen, wäre demnach eine Art Mittelding zwischen beiden, ein Zwitter.