Ultramontanismus
Ultramontanismus (von lat ultra montes, jenseits der Berge, also aus Rom) ist die Bezeichnung für eine papsttreue und streng nach dem Vatikan orientierte Haltung.
Der Name geht auf das lateinische ultramontani zurück, einem im Mittelalter aufkommenden Sammelbegriff, der die in Italien dort lebenden deutschen Studenten, in Deutschland und Frankreich die Parteigänger des Papstes bezeichnete.
Als Beweise für die Wahrheit der göttlichen Vorsehung, des Glaubens und der Kirche dienten der ultramontanen Mission insbesondere der Marienkult und die Popularisierung von Wallfahrtsorten wie Lourdes und der Reliquienverehrung, was einerseits Verzückung, andererseits wilde Proteste hervorrief.
So polarisierten sich die Positionen der mitteleuropäischen Gesellschaften, die vom Erstarken der Wissenschaft und Technik und damit der Aufklärung geprägt waren. Da sich die Protagonisten des liberalen Katholizismus eher elitär, aber die des Ultramontanismus eher sozial gaben, genoss diese Erweckungsbewegung in der nachrevolutionären Zeit und der Phase des beginnenden Kapitalismus durchaus eine gewisse Popularität.
Im Zeitalter des Nationalismus wurde der römisch-katholische universale Anspruch für unvereinbar mit der Sache des Vaterlandes gehalten. So wurde das Attribut ultramontan abschätzig für national unzuverlässige "vaterlandslose" Gesinnung verwendet.
Einen Höhepunkt fand der Ultramontanismus 1870 im Ersten Vatikanum, das die Bedeutung des Papstamtes durch die päpstliche Unfehlbarkeit und sein universales Jurisdiktionsprimat außerordentlich steigerte und zur Abspaltung der Alt-Katholischen Kirchen in mehreren europäischen Ländern führte.
Im deutschen Kulturkampf kam es zu einem scharfen Konflikt zwischen dem Papst und Bismarck um die gesetzliche und kulturelle Souveränität des deutschen Reiches. Zeitweise siegten die Anti-Ultramontanen, aber schließlich erlangte das 1871 gegründete Zentrum eine so starke politische Basis, dass die meisten neuen zivilen Gesetze (Schulaufsicht, Priesterausbildung, Zivilehe) wieder abgeschafft oder zumindest stark gemildert wurden.
Von Nationalsozialisten wird der Begriff Ultramontanismus generell als Negativbegriff für undeutsch unterschiedslos auf alle Katholiken angewandt.
Seit 1950 ist das Wort außer in Fachkreisen aus der deutschen Sprache verschwunden, aber geistig-politisch wirkt der Ultramontanismus bis in die Gegenwart hinein. Hierzu zählt in gewisser Hinsicht die CDU als Nachfolgepartei des Zentrums, aber auch römisch-katholische Gewerkschaften, Studentenverbindungen (CV und KV), Jugendwerke und ähnliche Organisationen.
Zur Herausbildug des Begriffs im Mittelalter
Die Entwicklung des Ultramontanismus vor 1870
Frankreich
Ursprünglich wurde mit dem Begriff eher abwertend (z.B. 1763 von Johann Nikolaus von Hontheim) eine Strömung der katholischen Kirche des 18. Jahrhunderts bezeichnet, die zuerst in Frankreich als Antwort auf den Gallikanismus und später den Bedeutungsverlust nach der Französischen Revolution entstanden war. Sie strebte an, den Vorrang des Papstes zu erhalten oder sogar zu verstärken und bekämpfte Aufklärung, Liberalismus und Protestantismus. Im Lyoner Missionsverein arbeiteten Laien und Kleriker eng zusammen im Kampf gegen die revolutionäre Forderung nach Menschenrechten, Volkssouveränität und Nation, indem ihr ein universalistischer Ansatz entgegengesetzt wurde, der die "göttlichen Gesetze" über die des Staates stellte. In gewisser Hinsicht hatte die Schwächung der französischen katholischen Kirche durch die mit der Revolution einhergehende Säkularisierung die innerkatholische nationale Gegenmacht zu Rom vernichtet und damit dem Ultramontanismus den Weg erleichtert.Belgien
So nahm auch nach der belgischen Revolution von 1830 die Volksmission durch den katholischen Reveil stark zu. "Das dahinter stehende Konzept zielte auf die religiöse Erlösung der Gesellschaft und war getragen von romantischen Gedankengängen....(wie) Mittelaltersehnsucht und Papstverehrung." (Dr. Vincent Viaene, Leuven, auf der 16. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung im November 2002)Polen
Die Wiederbelebung frommer Traditionen nach dem Novemberaufstand 1830/31, ursprünglich aus dem Exil gesteuert, forcierte die Unterordnung des Klerus unter die Bischöfe und damit den Papst und wandte sich entschieden gegen die Gleichberechtigung anderer religiöser Gruppierungen. Damit war der Ultramontanismus auch ein wichtiger Motor bei der Ausbildung eines kirchenoffiziell getragenen Antisemitismus.Deutschland
In Deutschland setzte der im 19. Jahrhundert erstarkende Ultramontanismus gegen den Reformkatholizismus die romkonforme Neubesetzung von Bischofsstühlen durch. Hierdurch kam als Gegenbewegung in der Zeit des Vormärz und der Märzrevolution 1848 eine Deutsch-katholische Bewegung in Gang.
Der Ultramontanismus bildete nach 1815 eine geistig-politische Bewegung, die auf die Restauration der Macht des Vatikanss und der katholischen Monarchien hinarbeitete und deren durch die Aufklärung, die Französische Revolution, die Napoleonischen Kriege und insbesondere durch die Ausbreitung bürgerlicher Lebensweisen und Denkweisen bedrohte Stellung zu festigen suchte. Die Verfechter des Ultramontanismus verlangten die Anerkennung des Papstes als höchste weltliche Autorität; sie postulierten das Recht seiner Einmischung in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens sowie in die inneren Angelegenheiten der Staaten.
Diese Ansprüche führten zu Auseinandersetzungen zwischen Preußen und dem Vatikan (siehe Kölner Kirchenstreit), in denen die preußische Regierung den Standtpunkt einnahm, "die Religion soll die Weltlichkeit stützen, ohne dass sich die Weltlichkeit der Religion unterwirft". Die Anhänger des Ultramontanismus forderten für den Papst auch die letzte Entscheidungsbefugnis in den Fragen der Wissenschaft. Weiterhin traten sie für die Vorherrschaft der katholischen Habsburger-Monarchie in Deutschland ein. Nach 1871 sammelten sich unter dem Banner des Ultramontanismus antipreußische, partikularistische und förderalistische Kräfte, die ihre ökonomischen Sonderinteressen durch die Reichseinigung und die Führung durch Preußen bedroht sahen.Frömmigkeitspropaganda und nationalistische Polemik
Erstes Vatikanisches Konzil und Kulturkampf im Deutschen Reich
Ultramontanismus im 20. und 21. Jahrhundert
Literatur
siehe auch: Liste fundamentalistischer Bewegungen