Tizian
Tizian (* 1477; † 27. August 1576), eigentlich Tiziano Vecellio, war der Hauptmeister der venezianischen Malerschule und Vollender einer neuen koloristischen Richtung.
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Tizian wurde 1477 in Pieve di Cadore im Friaul geboren und kam schon als
zehnjähriger Knabe nach Venedig, um sich dort der Malerei zu widmen. Als
seine Lehrer werden der Mosaikmaler Zuccato, dann Gentile Bellini genannt; doch
muss er später auch bei Giovanni Bellini gelernt und sich nach Giorgione
weitergebildet haben. Man erfährt zuerst von seiner Tätigkeit um 1508-09, wo er
neben Giorgione die jetzt verschwundenen Fresken am Fondaco dei Tedeschi in
Venedig ausführte (die Fresken waren bereits im 17. Jh. stark beschädigt,
Fragmente haben sich im Palazzo Ducale und in der Galerie dell'Academia in
Venedig erhalten). 1511 malte er Fresken in der Scuola del Santo
in Padua. 1512 kehrte er nach Venedig zurück. Es entstanden
einige Gemälde mit religiösen Inhalten.
Nachdem er einen Antrag, in die Dienste Leos X zu treten,
zurückgewiesen hatte, nahm ihn der Rat gegen Verleihung eines einträglichen
Maklerpatents in seinen Dienst. In der Folge kam Tizian in intime Beziehungen
zu Alfons I. von Ferrara (1516 reiste er das erste Mal dahin), für den er
dessen Porträt (Verbleib unbekannt, ein Porträt von 1523? befindet sich heute
in Metropolitan Museum in New York), ferner das Venusfest
(1518-19) und das Bacchanal (1518-19, beide im
Prado in Madrid) und Ariadne auf Naxos (in der Nationalgalerie zu London) malte. In Ferrara schloss er auch Freundschaft mit Ariost, den er
mehrfach porträtierte. Auch zu Federigo von Mantua trat er um 1523 in nahe
Beziehungen; er malte für ihn die Grablegung (Paris, Louvre).
1516-1518 entstand eines seiner Hauptwerke, die Himmelfahrt Maria
(so genannte Assunta) jetzt in Santa Maria Gloriosa dei Frari, zuvor in der Akademie
von Venedig, 1523 das Altarbild für die Kirche San Niccolò
(Madonna mit sechs männlichen Heiligen, jetzt im Vatikan) und 1519-1526 ein andres Meisterwerk dieser Periode, die Madonna des
Hauses Pesaro (Santa Maria Gloriosa dei Frari in Venedig). In
das Jahr 1527 fällt seine Bekanntschaft mit Pietro Aretino, dessen Porträt er
für Federigo Gonzaga malte. 1530 schuf er den Märtyrertod Petri für San
Giovanni e Paolo (1867 durch Feuersbrunst zerstört).
1532 begab er sich im Auftrag Federigo Gonzagas nach Bologna, wo gerade Kaiser
Karl V weilte; ihn malte er zweimal. Tizian wurde hierauf
10. Mai 1533 zum Hofmaler Karls und zum Grafen des lateranischen Palastes sowie
zum Ritter vom Goldenen Sporn ernannt. Der hierauf folgenden Zeit entstammen
die Bildnisse Franz' I. und Isabellas d'Este; etwas später fallen die der
Geliebten Tizians (Wien, Schloss Belvedere), dann die von Eleonore Gonzaga und ihrem
Gatten Francesco Maria (Florenz, Uffizien). Nachdem er 1537 seiner
Fahrlässigkeit wegen in betreff des versprochenen Bildes sein Maklerpatent zu
gunsten Pordenones verloren hatte, malte er in Fresko die dem Rat schon lange versprochene, nur noch in Fontanas Stich erhaltene Schlacht bei Cadore (im
großen Ratssaal). 1539 nach Pordenones Tod erhielt er sein Maklerpatent zurück,
1541 wurde er nach Mailand zu Karl V. berufen.
Seit 1542 bemühte sich Papst Paul III Tizian nach Rom zu ziehen; 1545
endlich folgte der Künstler dem Ruf; er wurde in Rom glänzend
aufgenommen. Damals malte er das Porträt des Papstes, dann 1545/46 die berühmte
Danae (Nationalmuseum zu Neapel, ursprünglich für den
Palazzo del Giardino in Parma bestimmt), von der es sehr viele Repliken und
Kopien gibt. Auf der Rückreise nach Venedig besuchte er Florenz.
1548 wurde er nach Augsburg zu Karl V. berufen und malte dort Porträts (das
Karls V. in Madrid, das zu München etc.). Er kehrte bald wieder nach Venedig
zurück, wurde aber 1550 abermals nach Augsburg berufen, um das Porträt Philipps
II. von Spanien zu malen. Für diesen war er auch nach seiner Rückkehr nach
Venedig 1551 außerordentlich viel beschäftigt. 1566 wurde er in die
florentinische Akademie aufgenommen. Er starb 27. August 1576 in Venedig, fast
100 Jahre alt, an der Pest und wurde in der Kirche Santa Maria de' Frari
beigesetzt.
Der durch die flandrische Schule beeinflusste koloristische Realismus der
Venezianer gelangte durch Tizian auf seine Höhe. In seiner Auffassung nicht so
durchgeistigt und ideal wie Raffael und Michelangelo, hat er vor den Römern und
Toscanern die unvergleichliche malerische Kraft voraus und kommt Raffael in der
Schönheitsfülle gleich, Michelangelo in der dramatischen Lebendigkeit der
Komposition nahe. Tizian ist der größte Kolorist der Italiener und versteht
seinen Figuren zugleich den vornehmen Charakter zu geben, der seine eignen
Lebensgewohnheiten und die seiner Stadtgenossen kennzeichnet. Obwohl er sich
nicht an die Antike anschloss, so ist er doch zu einer verhältnismäßig ähnlichen
Wirkung gelangt, indem sich die Ruhe des Daseins, die edle, in sich befriedigte
Existenz in seinen Werken ebenso spiegelt. Ganz vermochte er sich übrigens
nicht den Einwirkungen der anderen italienischen Schulen zu entziehen, und
zwischen seinen spätesten Arbeiten, worunter die Dornenkrönung Christi in
München hervorragt, und seinen frühern, deren edelstes Erzeugnis der
Zinsgroschen in Dresden ist, besteht ein beträchtlicher Unterschied. Er wurde
später bewegter in der Haltung der Figuren, leidenschaftlicher im Ausdruck der
Köpfe, energischer im Vortrag. Seine Historienbilder tragen mehr oder weniger
etwas Porträtmäßiges, freilich in großartiger Auffassung, an sich; es gibt
darunter einige, die zu den edelsten und unvergänglichsten Erzeugnissen der Kunst
gehören, während andre sich mit einer mehr äußerlichen Wirkung begnügen. Die
höchste Befriedigung gewähren seine Bildnisse, die die vornehme Erscheinung
der venezianischen Welt mit vollster Treue widerspiegeln und den vollkommensten
Ausdruck des venezianischen, von höchster Prachtliebe und sinnlicher Glut
erfüllten Lebens darstellen. Zugleich war er als Landschaftsmaler sehr
bedeutend, die Landschaft spielt in vielen seiner Gemälde in ihrer
großartig-poetischen Auffassung eine Hauptrolle. Poussin und Claude Lorrain
haben sich nach seinem Vorbild entwickelt.
Die Zahl seiner Schöpfungen ist außerordentlich groß, besonders aus den letzten
40 Jahren seines Lebens, wo er zahlreiche Schüler zu Hilfe nahm. Aus der ersten
Periode seines Schaffens, die etwa bis 1511 reicht und seine Jugendentwickelung
umfasst, sind noch zu nennen: die Kirschenmadonna, in der kaiserlichen Galerie
zu Wien, nebst zwei anderen Madonnen, und die irdische und himmlische Liebe, in
der Galerie Borghese in Rom, Tizians schönstes allegorisches Bild,
ausgezeichnet in der Behandlung des Nackten. Von hervorragenden Schöpfungen der
zweiten, etwa bis 1530 reichenden Periode muss noch die Auferstehung, in der
Kirche San Nazaroe Celso in Brescia (1522) erwähnt werden, die Ruhe auf der
Flucht und die Madonna mit dem Kaninchen, im Louvre in Paris;
das Bildnis der Isabella von Este im Kunsthistorischen Museum in Wien ; das Bildnis der Eleonora Gonzaga von Urbino im Palazzo Pitti in
Florenz, weltberühmt unter dem Namen La Bella di Tiziano, das
herrlichste Frauenporträt des Meisters; die so genannte Venus von Urbino, in
den Uffizien in Florenz, und die so genannte Geliebte Tizians
bei der Toilette, im Louvre in Paris.
Zu den Hauptwerken der letzten Periode seines Schaffens zählen noch das
Martyrium des heilige Laurentius, in der Jesuitenkirche in Venedig; der
Tempelgang Mariä, in der dortigen Akademie; die Ausstellung Christi, in der
kaiserlichen Galerie in Wien; die Dornenkrönung, im Louvre; das Abendmahl, im
Escorial; Venus mit Amor, in den Uffizien in Florenz; die so genannte Madrider Venus
(eine ruhende Schöne mit ihrem Geliebten); die Danae, im Museum in Neapel;
Jupiter und Antiope, im Louvre; das Reiterbildnis Karls V., in der Galerie in
Madrid (1548 in Augsburg begonnen); Papst Paul III (1545, im Museum in
Neapel); der Admiral Giovanni Moro, im Berliner Museum.
Von Tizians Selbstbildnissen sind diejenigen in den Staatlichen Museen in
Berlin (1562? ) und im Prado in Madrid (1567 )
sehr schön. Die Bildnisse seiner Tochter Lavinia sind nicht sicher
auszumachen; eines hat sich möglicherweise in der Dresdener Galerie
(1565) erhalten. Die "Junge Frau mit Fruchtschüssel" (um 1555,
Staatliche Museen in Berlin) wurde lange Zeit für Lavinia
gehalten.
[Dieser Artikel basiert hauptsächlich auf dem Artikel aus Meyers Konversationslexikon von 1889.]
Leben und Schaffen
Zu Tizians Malweise
Literatur