Technoliberalismus
Technoliberalismus ist eine moderne Weltanschauung aus entwickelten Staaten, die in der Tradition des bürgerlichen Liberalismus die Idee der offenen Gesellschaft pflegt und seinen Freiheitsbegriff durch staatliche Eingriffe bedroht sieht. Gleichzeitig begreifen Technoliberalisten Technologie als wichtigstes politisches Instrument für gesellschaftlichen Fortschritt.Besonders stark verbreitete sich der Technoliberalismus durch das Medium Internet in den 90er Jahren. Verordnete Bürokratie und juristische Regulierung werden als Einmischung angeprangert. Dies erklärt sich historisch durch die Behinderung der Internet-Entwicklung durch Telekommunikationsregulation (besonders in Deutschland durch Postmonopol), und durch eine Wissens-, Generationen- und Interessenskluft zwischen den Experten der Informationstechnologie und den etablierten Politikern und Juristen.
Nicht gesellschaftliche Gleichheit oder Demokratie ist Kernziel des Technoliberalismus, sondern die Schaffung freier Informationsinfrastrukturen im Hinblick auf gesehene gesellschaftliche Wirkungen. Die Idee ist das Konzept der Privatautonomie den technologischen Änderungen anzupassen. Der Begriff der digitalen Kluft wird daher von Technoliberalen abgelehnt.
Der Technoliberalimus betont in neoinstitutioneller Tradition die Eigeninteressen der Juristen und der politischen Apparate, dies trat besonders in der Kritik des Patentwesens im Software-Bereich hervor.
Der Technoliberalismus weist ideologische Parallelen zum klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts auf, man denke an den Eisenbahnpionier Friedrich List, nur konzentriert er sich nicht auf die Eisenbahn, sondern auf Internet und Computer.
Der Technoliberalismus amerikanischer Ausprägung trägt libertäre Züge und ist zum Teil stark US-ideologisch gefärbt (etwa John Perry Barlow), in Europa orientiert er sich an klassischen liberalen Vorstellungen. Ein starkes Wettbewerbsrecht wird eingefordert, um monopolistischen Machtmissbrauch im Bereich elektronischer Medien zu verhindern. In seiner ökonomischen Haltung ist der Technoliberalismus mit der Lehre Walter Euckens verwandt, es wird auf Macht als zentraler wirtschaftspolitischer Größe abgestellt und elektronische Medien in den Dienst einer Entropie der Macht gestellt. Diese Sichtweise ist auch mit dem neoinstitutionellen Ansatz, wie er in Deutschland etwa durch die Organisationslehre von Alfons Picot vertreten wird, oder in der Politikwissenschaft mit dem interessenorientierten Ansatz Ulrich Wehlers verwandt. Charakteristisch ist die instrumentelle Funktion, die neue Medien für technoliberale Ziele einnehmen.
Linken Konzeptionen zur Informationsgesellschaft wie sie unter dem Stichwort Internet Governance (vergleiche auch die ICANN-Debatte), geführt werden, steht der Technoliberalismus kritisch gegenüber. Er wendet sich überraschend gegen die eingeforderte Demokratisierung der Internetverwaltung, weil er darin nur eine "Verwaltung der Machtlosigkeit" (Rebentisch) sieht, die Herrschaft durch fachfremde Einmischungen etabliere. Der US-Nutzervertreter Karl Auerbach betrachtet ICANN als eine überdimensionierte Behörde, deren Arbeit besser Systemadministratoren zu überlassen wäre. Technoliberale sehen in der Debatte zur Internet Governance eine fehlgeleitete Diskussion, weil diese von der Metapher der Internet-Regierung ausgehe und deshalb klassische Konzepte wie demokratische Vertretung und Wahlen einfordern. Dabei werde vergessen, dass Befugnisse und Macht der ICANN eher profan seien. Aufgabe sei es vielmehr zu verhindern, dass es zur Etablierung politischer Einmischung komme. Demokratie wird nur da gerechtfertigt gesehen, wo Macht zu kontrollieren ist.
Perry Barlows 1996 in Davos vorgestellte Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace verbittet sich jedwede Einmischungen der Politik an der Electronic Frontier. Dieser libertaristische Ideologieversuch wurde von Technoliberalen in Europa nicht übernommen und als widersprüchlich kritisiert. In der politischen Praxis und Zielsetzung gibt es aber nur geringe Unterschiede.
Medientheoretiker sehen die Keimzelle des Technoliberalismus in einer legendären amerikanischen Hackerkultur der 60er Jahre. Fälschlich wird der Technoliberalismus oft auch in Verbindung zu der Wired-Ideologie und der New Economy Bewegung gesetzt.
In Deutschland hat sich der technoliberale Medienkünstler Alvar C.F. Freude gegen die Sperrverfügungen des NRW-Regierungspräsidenten Jürgen Büssow gestellt. Seine Projekte Odem.org (mit Dragan Espenscheid) für die Publikationsfreiheit im Internet wurde mehrfach international ausgezeichnet. Er steht damit im Widerspruch zu Betrebungen störende Inhalte (wie Pornographie, menschenrechtsverletzende, gewaltverherrlichende Inhalte) im Internet durch technische Vorrichtungen auszufiltern.
Es gibt außerdem Autoren, die Technoliberalimus als pejorative Eindeutschung des amerikanischen Libertarianismus als Internetideologie verwenden (Paulina Borsook und andere), vergleiche http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/buch/9044/1.html.
Literatur
(Sie setzt Techno-Liberalismus, meint aber Liberarianismus)
Siehe auch: Liberalismus, Technische Revolution, Electronic Frontier, Freiheitliche informationelle Infrastruktur, Offene Gesellschaft, Offene Systeme, Netzfreiheit