Stottern
Stottern (auch Balbuties) ist eine erworbene, komplexe, hochgradig vernetzte Sprechstörung mit neurotischen Anteilen. Es wird aber auch eine neurologische Disposition angenommen. Sie führt dazu, dass der Redefluss eines Betroffenen ab und an (je nach Form des Stotterns) blockiert wird (tonisches Stottern) oder immer nur Wortfragmente wiederholt werden (klonisches Stottern). Als Mischform ist das tonisch-klonische Stottern bekannt.In der ICD 10 trägt das Stottern die Nummer F98.5.
Table of contents |
2 Verlauf des Phänomens 3 Ursachen-Forschung 4 Grundlegende therapeutische Ansätze 5 Berühmte Stotterer 6 Weblinks |
Phänomenologie
Es gibt in den meisten Sprachen einen nahezu gleichbleibenden Anteil von ca. 1% stotternden Erwachsenen, davon ca. 80% Männer und 20% Frauen. Die ungleiche Verteilung ist nicht ganz geklärt, wahrscheinlich liegt sie an verschiedenen Entwicklungsverschiebungen bezogen auf die Festigung der Feinmotorik des Sprechaktes und die Überlagerung mit Störungen der Weiterentwicklung der kindlichen Persönlichkeit.
Interessant ist die Häufigkeit des "temporären" Stotterns bei Kindern: Hier ist sich die Literatur nicht einig: Manche Studien sagen 50% aller Jungen stottern kurzfristig, andere tendieren zu 33% oder 20%. Bei Mädchen ist der Prozentsatz geringer, aber höher, als das 80-20-Verhältnis vermuten lässt, die Zahlen gehen von 10%-25% der Mädchen.
Es ist zwischen genuinem "Stottern", "Poltern" und "Stammeln" zu unterscheiden:
- Stottern bezeichnet das unmittelbare "Stocken" vor oder in einem Wort.
- Poltern äußert sich in überstürztem Sprechen, Verschlucken von Lauten oder hastiger, undeutlicher Aussprache
- Beim Stammeln fehlen einzelne Sprachlaute, die durch andere ersetzt oder verzerrt werden. Hierzu zählen Lispeln und die falsche "R"-Aussprache.
Verlauf des Phänomens
Der Verlauf des Stotterns zu Beginn der Störung ist individuell sehr verschieden. Schweregrad und Häufigkeit der Symptomatik können phasenweisen Schwankungen unterworfen sein.Bei kindlichem Stottern liegt die Remissionsrate bei etwa 60 - 80 %, wobei die Remissionswahrscheinlichkeit bei Mädchen höher ist als bei Jungen. Im Jugendalter stottern daher etwa dreimal mehr Jungen als Mädchen. Mit zunehmender Störungsdauer nimmt die Remissionswahrscheinlichkeit ab. Nach der Pubertät ist keine Remission mehr zu erwarten.
Ursachen-Forschung
Grundsätzlich ist es sinnvoll, bei komplexen Verhaltensmustern zwischen "auslösenden Ursachen" und "aufrechterhaltenden Ursachen" zu unterscheiden:
Ein bei Laien und Freunden häufig auftretendes Missverständnis ist, dass man doch nur die Ursachen entdecken, also die Auslöser "verarbeiten" müsste, dann würde doch das Stottern von alleine aufhören. Dieses Missverständnis verkennt die starke Vernetzung des Stotter-Komplexes mit der Persönlichkeit des Betroffenen.Grundlegende therapeutische Ansätze
Wie definiert man Heilung?
Im Vorgriff auf ein Konfliktfeld der Stottertherapie ist es nötig, den Heilungsbegriff zu klären:
Modifikations-Ansatz:
Dieser verhaltenstherapeutische Ansatz basiert auf der Annahme, dass Stottern grundsätzlich nicht heilbar ist, da die neuronale Grundstruktur des Sprechens eines Erwachsenen mit ihren motorischen, psychogenen und teilweise neurotischen Einflüssen soweit ausgeprägt ist, dass grundlegende Änderungen unmöglich sind.
Der Ansatz zielt von daher primär darauf ab, die stotternde Sprechweise anzunehmen, mit ihr leben und sie explizit modifizieren zu lernen. Die Vorgehensweise ist verhaltenstherapeutisch angelegt und umfasst Aspekte wie
Dieser Ansatz wurde in den 30er Jahren an der University of Iowa entwickelt. Hauptvertreter ist der US-Amerikaner Charles Van Riper (1905 bis 1994), der als einer der Begründer der Logopädie (speech-language pathology) den den USA gelten kann. Ein Großteil seiner Schriften befasst sich mit dem Thema Stottern.
Sprechtechnischer Ansatz: Demgegenüber steht ein Ansatz, der im Hinblick auf Anleihen aus Gesangs-, Atem- und Stimmtechnik auf das Erlernen einer "neuen" Sprechweise richtet. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Mehrheit der Stotterer beim Singen oder beim Sprechen im Chor keine Probleme hat, werden klangvolleres Sprechen, Tongebung, Atemtechnik und rhethorische Aspekte eingeübt. Die Begründer sind hier u.a. Oscar Hausdörfer, R. Muirden, E. Richter u.v.a.m.
Viele weitere Therapien und therapeutische Ansätze verabsolutieren Teilaspekte wie Atemtechnik, Stimmgebrauch und Klangerzeugung oder arbeiten mit Hilfsmitteln wie Hypnose. Allerdings ist die Fachwelt uneins über die Wirksamkeit der Ansätze, wiewohl in der medialen Öffentlichkeit immer wieder "geheilte" Klienten vorgeführt werden.
Darüberhinaus sind zwar einige Therapien mit exorbitanten Kosten verbunden und versprechen vollständige Heilung, schieben die Verantwortung für den Erfolg der Therapie allerdings vollständig dem Klienten zu. Da es allerdings eine Binsenweisheit bei komplexen Verhaltensstörungen ist, dass der Klient in vielerlei Hinsicht sein eigener Arzt ist, hilft dies selten im Alltag und bei den - für Stotterer absolut normalen - Rückfällen.
Berühmte Stotterer
Für den Laien ist u.U. interessant, dass - bei 1% Anteil der Bevölkerung und gleichzeitig einer Normalverteilung auf alle Bevölkerungsgruppen - es viele berühmte Persönlichkeiten gab und gibt, die stottern. Die folgende Liste ist daher unvollständig:
Winston Churchill, King George VI (Vater von Queen Elizabeth), Isaac Newton, Marilyn Monroe, Bruce Willis (mittlerweile "geheilt"), Demosthenes, vermutlich Apostel Paulus, möglicherweise Moses, James Earl Jones (Stimme von "Darth Vader").
Weblinks