Steuerwagen
Ein Steuerwagen ist ein Reisezugwagen mit Führerstand, von dem aus die am Zugende schiebende Lokomotive beziehungsweise der Triebwagen gesteuert werden kann.Mit Steuerwagen kann der Einsatz von Reisezügen rationeller gestaltet werden , da die Lok an den Endbahnhöfen nicht mehr von einem Zugende an das andere umgesetzt werden muss, was eine gewisse Infrastruktur vor Ort (Weichenverbindungen), Personal (Rangierer) und auch ausreichende Zeit voraussetzt, und daher kostenintensiv ist. Ein mit Steuerwagen fahrender Zug (Wendezug) kann hingegen in kurzer Zeit die Fahrtrichtung ändern, indem der Lokführer einfach den Führerstand wechselt.
Erste Versuche mit Steuerwagen und für den Wendezugbetrieb umgerüsteten Dampfloks wurden bereits vor dem Zweiten Weltkrieg von der damaligen Deutschen Reichsbahn (DRG) durchgeführt. Die Steuerbefehle des Lokführers wurden dabei mit einem den Maschinentelegrafen auf Schiffen ähnlichen Gerät vom Steuerwagen an die Lok signalisiert, wo sie der reglerberechtigte Heizer umgehend quittieren und ausführen musste. Da diese indirekte Steuerung unpraktisch und als nicht ausreichend sicher erachtet wurde (da der Lokführer die Bremse, aber der Heizer hinten im Zug die Antriebsleistung kontrollierte, bestand bei Notfällen die Gefahr, dass die Lokomotive ungehindert weiterschob, während der restliche Zug bremste, und so den Zug zum entgleisen bringen oder gar ineinander drücken könnte). Aus diesen Gründen blieben dampfgeführte Wendezüge bis auf wenige Einsatzbereiche (z.B. S-Bahn Hamburg) die Ausnahme.
Vielversprechender erschienen die Versuche mit Elektrolokomotiven (damals auf einer umgebauten Lok des Typs E 04), da hier der Lokführer die Lok direkt ansteuern konnte. Durch den Zweiten Weltkrieg konnte das Versuchsprogramm trotz guter Erfolge nicht abgeschlossen werden. Erst nach dem Krieg konnte sich der Wendezugbetrieb - zunächst im Bereich der Deutschen Bundesbahn - langsam durchsetzen, als Loks und Wagen mit entsprechender serienmäßiger Ausrüstung zur Verfügung standen.
Die Signalübertragung erfolgte in Deutschland analog über ein 36-poliges (Bundesbahn) bzw. 34-poliges (Deutsche Reichsbahn der DDR) Wendezugsteuerkabel. Nach der Wiedervereinigung wurde Kompatibilität hergestellt, indem neu beschaffte Loks und Steuerwagen nun generell die digitale Übertragung (zeitmultiplexe Wendezugsteuerung, ZWS) beherrschen. Ebenfalls neu war die Möglichkeit, mit den neu beschafften Steuerwagen (Bild siehe oben) sowohl Elektroloks als auch Dieselloks steuern zu können (bei älteren Steuerwagen der Bauart Karlsruhe musste dazu in der Werkstatt der Führertisch ausgetaucht werden). Die Signalisierung der ZWS geschieht über zwei Adern des an jedem Fahrzeug vorhandenen UIC-Kabels. Ältere Lokomotiven wurden teilweise mit neuen ZWS-Steuerungen nachgerüstet, besonders in Westdeutschland behielten jedoch viele ihre konventionelle Wendezugsteuerung, weshalb die dortigen ZWS-Steuerwagen auch noch die konventionelle Betriebsart beherrschen.
Die Länge von geschobenen Zügen war ursprünglich aus Gründen der Seitenführungsdynamik auf 10 Wagen beschränkt, und es durften nicht mehr als 120 km/h (seit 1980 140 km/h) gefahren werden. Dies war kein Problem, da Wendezüge zunächst ausschließlich Nahverkehrszüge waren, die selten länger als 6 Wagen waren. Erst seit Mitte der 1990er Jahre gibt es in Deutschland auch Fernverkehrszüge mit Steuerwagen, die bis zu 14 Wagen lang sind und 200 km/h erreichen. Eine Sonderstellung nimmt der ICE 2 ein, der dank einer Sondergenehmigung des Eisenbahn-Bundesamtes auf den Neubaustrecken bis zu 280 km/h fahren darf (hier hatte man anfangs große Probleme mit Seitenwind, der bei langsameren Wendezügen normalerweise keine Schwierigkeiten bereitet oder zumindest durch Erhöhung der Achslast beherrschbar ist, bei hohen Geschwindigkeiten jedoch zu gefährlichen Schwingungen des Wagenkastens führen kann. Aus diesem Grund musste die Strecke Hannover-Berlin beispielsweise mit Windwarnanlagen ausgerüstet werden, die den ICE 2 bei böig auftretendem Seitenwind automatisch auf 200 km/h herunterbremsen).