Sozialpolitik
Sozialpolitik ist ein Teilbereich der Politik, der in verschiedene gesellschaftliche Bereiche eingreift (Interventionsstaat), mit dem Ziel durch eine Angleichung der Lebenschancen und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung die staatliche Politik trotz des Trends zu wachsender sozialer Ungleichheit in der Industriegesellschaft zu legitimieren und zu stabilisieren.
Sozialpolitik hat im Kernbereich die klassischen Systeme der Sozialversicherung gegen viele Lebensrisiken der abhängig Beschäftigten herausgebildet: Krankheit, Alter, Unfall, Arbeitslosigkeit und relativ neu Pflegebedürftigkeit. Hinzu kommen vielerlei Maßnahmen, die sozialen Ausgleich etwa durch Kinderfreibeträge, Erziehungsgeld, Sozialhilfe und Wohngeld herstellen sollen. Außerhalb der direkten Einkommensumverteilung befasst sich Sozialpolitik weitergehend auch mit Gesetzen zum Arbeitsschutz sowie im Bereich der Sozialfürsorge (früher: Armenfürsorge) zur Jugendhilfe, zur Eingliederung Behinderter in die Gesellschaft etc.
In den Jahren des Kaiserreichs, insbesondere im 1. Weltkrieg, entwickelte sich die Zuständigkeit für die Sozialpolitik aus dem Bereich der Innenministerien heraus zu eigenen Behörden bzw. Ministerien. Die Sozialpolitik war nur nicht mehr allein ein Teil staatlichen Handelns mit dem Ziel der Prävention gegen soziale Unruhen.
Auf dieser Grundlage und begünstigt durch einen wirtschaftlichen Aufschwung (Wirtschaftswunder) wurde von der Gründung bis in die Mitte der 1970ger Jahre hinein in der Bundesrepublik Deutschland das Netz der sozialen Sicherungen weiter ausgebaut. 1957 wurde durch die Reform der Rentenversicherung (jährliche Erhöhung der Renten entsprechend der Erhöhung der Bruttolöhne) der Zirkel von Alter gleich Armut durchbrochen.
In der bundesdeutschen (im Gegensatz zur österreichischen) Diskussion gänzlich ausgeblendet bleibt die Frage, ob die Parität in den Selbstverwaltungsorganen der gesetzlichen Sozialversicherungen noch zeitgemäß ist. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung werden in zunehmenden Maße (derzeit mehr als 10%) durch verschiedene Formen der Zuzahlung finanziert und die gesetzliche Rentenversicherung durch große Beträge aus dem Bundeshaushalt, ohne dass dies nach dem Prinzip "Wer zahlt bestimmt!" zu Veränderungen geführt hätte.
Die deutsche Sozialpolitik ist nur ein Beispiel für die Herausbildung des Wohlfahrtsstaates in den entwickelten Industrieländern. In vielen Ländern wurden (und werden) die sozialen Sicherungssysteme gegen die Wechselfälle des Lebens aus ihrer geschichtlichen Entwicklung heraus nicht über Beiträge, sondern über den Staatshaushalt finanziert (Beispiele: skandinavische Länder). Andere Länder gehen erst in den letzten Jahren zur Beitragsfinanzierung über (z. B. Italien). Wie sich dies alles im Rahmen der EU in der Zukunft harmonisierend gestalten wird, steht noch in den Sternen. Die USA entschlossen sich erst in der Weltwirtschaftskrise angesichts hunderttausender verelendeter Veteranen des 1. Weltkriegs zu ersten Ansätzen des Aufbaus von sozialen Sicherungssystemen (New Deal). In den Zeiten des real existierenden Sozialismus stellten sich in solchen Staaten wie der DDR viele Fragen völlig anders. Dritte-Welt-Staaten haben z. T. noch gar nicht mit dem Aufbau solcher Systeme begonnen (rühmliche Ausnahme: Kuba), sondern können nicht mehr tun, als ihre Armen nicht verhungern zu lassen.
1854 Knappschaftsgesetz
1883 Krankenversicherung
1884 Unfallversicherung
1889 Invaliditäts- und Altersversicherung
1891 Einführung der Selbstversicherung
1903 Kinderschutzgesetz
1912 Witwenrentengesetz
1923 Reichsknappschaftsgesetz
1927 Arbeitslosenversicherung
Bereiche
Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland (Überblick)
Industrialisierung, Urbanisierung und Soziale Frage
Durch die Industrialisierung und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen entstand die Notwendigkeit, soziale Sicherung und soziokulturelle Integration der Bevölkerung zunehmend durch staatliches Handeln herstellen zu müssen. Die Abwanderung großer Teile der ländlichen Bevölkerung von der dörflichen Gemeinschaft in die Städte (= Pauperismus) als abhängige Lohnarbeiter bargen bei Wirtschaftskrisen die Gefahr massenhafter Verelendung, die von der traditionellen Armenfürsorge der rasch wachsenden Städte (Urbanisierung) nicht aufgefangen werden konnte. Zudem waren die Arbeitsbedingungen in den Fabriken so, dass viele der Proletarier relativ früh oder nach Arbeitsunfällen aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden mußten. Diese Soziale Frage sowie das Anwachsen der Sozialdemokratie führten dazu, dass sich Sozialpolitik im Kaiserreich zunächst auf die Arbeiter konzentrierte, erst in der Bundesrepublik Deutschland wurden auch Teile der Selbstständigen in die gesetzlichen Versicherungssysteme einbezogen. Der Beginn im Kaiserreich
Um den direkten Eingriff in die innerbetriebliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen (Arbeitsschutz) zu vermeiden, wurde von Bismarck das System der Sozialversicherungen (Krankenversicherung, Invaliden- und Rentenversicherung sowie Unfallversicherung) reichsgesetzlich geregelt. Beiträge für die Versicherung im Krankheitsfall und für das Ausscheiden aus dem Arbeitsleben zahlten Beschäftigte und Unternehmer zu gleichen Teilen, Beiträge für die Berufsgenossenschaften die Unternehmer alleine. Entsprechend werden bis heute die Selbstverwaltungsorgane gewählt, obwohl im Falle der Krankenversicherung durch so genannte Zuzahlungen (Praxisgebühr, Medikamentenzuzahlung) die Parität in der Finanzierung aufgehoben worden ist (vgl u.a. Agenda 2010). Der Arbeitsschutz wurde vor allem mit Blick auf die Bevölkerungspolitik (Schutz von Schwangeren sowie Kindern und Jugendlichen) ausgebaut. Weimarer Republik
In der Weimarer Republik kam es zu einem Ausbau der Sozialversicherungen sowie zur Erweiterung sozialer Dienste und Institutionen im Bereich der Krankenfürsorge, Bildung und Schulwesen und im Bereich der Wohnungspolitik. Die Inflation, die zur Verarmung von Menschen führte, die geglaubt hatten, durch Ersparnisse für ihr Alter vorgesorgt zu haben, machte die Einrichtung einer Kleinrentnerversicherung notwendig. Dagegen hatte die Sozialversicherung der Rentnerinnen und Rentner, wenn auch mit dramatischen Einschnitten im Verlauf der Inflation selber, die ersten Jahre der Weimarer Republik schadlos überstanden. 1927 wurde nach langen Debatten - die bereits im Kaiserreich anfingen - die Arbeitslosenversicherung reichsgesetzlich geregelt. Durch die Deflationspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning als Antwort auf die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise wurden große Teile des Sozialversicherungssystems in ihrer Substanz gefährdet, die Leistungen für Kranke, Invaliden und Rentner wurden durch eine Politik des Sparens drastisch verringert. Obwohl die Arbeitgeber seit 1928 gegen die "Überlastung" durch die Beiträge als Teil des Bruttolohns Sturm gelaufen waren, überlebte das System der Sozialversicherungen auch diese Zeit.Drittes Reich
Die nationalsozialistischen Regierungen haben das System nicht demontiert, sondern in wenigen Teilen ausgebaut, ideologisch umgedeutet und instrumentalisiert. Aus ihrer Zeit stammen z. B. die gesetzlichen Regelungen hinsichtlich des 1. Mai als Feiertag (Tag der Arbeit) und des Anspruchs auf Jahresurlaub, die bis heute gelten.Bundesrepublik Deutschland
Im Grundgesetz wird das Sozialstaatsgebot generell in Artikel 20 Abs.I festgeschrieben; sozialstaatliche Grundsätze lassen sich auch aus einzelnen Geboten wie Schutz der Menschenwürde, Sozialbindung des Eigentums, Schutz von Ehe und Familie etc. ableiten.Aktuelle Probleme im Zeichen der Globalisierung
Sinkende Wachstumsraten des Wirtschaft und damit geringere Spielräume zur Umverteilung, ausgelöst durch zu zögerliche Anpassung an den internationalen Wettbewerb sowie die zunehmende Mobilität von Geldvermögen, Unternehmen und Gutverdienern, die sich der Abgabenlast durch Abwanderung ins steuergünstigere Ausland (Steuerflucht) im Zuge der Globalisierung entziehen, führen zu einem Sozialabbau (siehe auch: Agenda 2010). Das Thema der "Überlastung" der unternehmerischen Tätigkeit taucht im Rahmen der Diskussion um die Lohnnebenkosten wieder auf (s. oben den Abschnitt über die Weimarer Republik). Für die Politik des Sparens wird auf den Mißbrauch sozialer Leistungen hingewiesen. Sozialpolitik im internationalen Vergleich
Chronik
Weblinks