Sozialistischer Realismus
Der Ausdruck Sozialistischer Realismus bezeichnet eine Stilrichtung der sozialistischen Kunst, die am 1932 vom Zentralkomitee der KPdSU als Richtlinie für Literatur, bildende Kunst und Musik beschlossen und die später für das gesamte sozialistische System verbindlich wurde.Der Sozialistische Realismus als offizielle Doktrin dominierte die sowjetische Kunst bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion in den späten 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Die stärksten Auswirkungen hatte er in der direkten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg; erst nach Stalins Tod 1953 wurden die Vorgaben etwas gelockert.
Sozialistischer Realismus in der Literatur
Kultureller Kontext
Die zwanziger Jahre, die Jahre nach der Revolution, waren von einer Vielfalt und Avantgarde in Kunst und Literatur der Sowjetunion geprägt. Frei von zaristischer Zensur, enthusiastisch den neuen Zeitgeist begrüßend, bildeten sich unzählige Gruppen ("групповщина") und Vereinigungen wie LEF, LCK, Proletkult, die die Arbeiterliteratur förderten und teils aggressiv vorantrieben.
Avantgardistische Strömungen in der Kultur insgesamt hatten sich zu Beginn der dreißiger Jahre jedoch beinahe überlebt und wurden auch international von Tendenzen zu Klassizismus und Ruralismus ("Blut-und-Boden-Literatur") abgelöst.
Entstehung
In seinem Dekret von 23. April 1932 Über den Umbau der literarisch-Künstlerischen Organisationen beschloss das ZK der KPdSU die Auflösung aller Gruppierungen und Organisationen und die Gründung eines (vorläufigen) Allunionsschriftstellerverbandes (WSP). Insbesondere die Gruppierungen der radikalen proletarischen Arbeiterdichtung ("Proletkult") RAPP, die sich seit 1918 gebildet hatten und ihrerseits zur Auflösung anderer Gruppen beigetragen hatten, waren davon betroffen.
Zwei Jahre wurde daraufhin der erste Allunionskongress der sowjetischen Schriftsteller im August 1934 vorbereitet, auf dem die neue Doktrin offen diskutiert wurde und der sowjetische Schriftstellerverband gegründet wurde. In seinen Statuten wurde der Sozialistische Realismus als "verbindliche künstlerische Methode" festgeschrieben. Wörtlich hieß es dort:
- Der sozialistische Realismus als Hauptmethode der sowjetischen künstlerischen Literatur und Literaturkritik, fordert vom Künstler wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Wahrheitstreue und historische Konkretheit der künstlerischen Darstellung müssen mit den Aufgaben der ideologischen Umformung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus abgestimmt werden.
Formen
Der sozialistische Realismus versuchte formal, Romantik und Realismus zu vereinen, die aus russischer Perspektive die beiden literarischen Hauptepochen des 19. Jahrhunderts darstellten. Hierbei sollte die Art der Darstellung als Methode dem Realismus entnommen werden, der positive Geist und die Emotionen hingegen der Romantik, und so eine neue, revolutionäre Romantik entstehen. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass statt der Romantik die Wurzeln des sozialistischen Realismus eher im Klassizismus zu finden seien.
In beiden Fällen wurden alte Formen wiederverwendet um neue, gesellschaftspolitisch konforme Inhalte zu transportieren, häufig auf triviale Weise. Dichter der Avantgarde, die neue sprachliche Formen und Ausdrucksmöglichkeiten der Poesie entwickelt hatten, oder naturalistische Strömungen passten nicht mehr in dieses Konzept. Einzig Majakowski, der von den proletarischen Arbeiterdichtern in den 20er Jahren noch angegriffen worden war, wurde von Bucharin und von Stalin selbst 1935 als "sowjetischer Klassiker" ausgezeichnet.
Gattungen und Motive
Typische Motive der Literatur dieser Epoche sind die Helden des Aufbaus der sowjetischen Gesellschaft. Die beispielhafte Leistung, die durch die Industrialisierung eines bis dahin überwiegend argrarisch geprägten Landes durch die Menschen erbracht werden musste, benötigten Helden eines neuen, sowjetischen Typs. Piloten, Flugpioniere und Schiffsbesatzungen waren handelnde Personen. Später wurden, um die Verteidigungsbereitschaft gegenüber dem faschistischen Ausland zu stärken, eine enge Verbindung von Schriftstellern mit der Roten Armee aufgebaut. Bereits 1930 wurde die Literaturorganisation der Roten Armee (LOKAF) gegründet, der auch Maxim Gorki angehörte. Auch in anderen Bereichen wurden Literaturschaffenden ganz konkrete gesellschaftliche Aufgaben zugewiesen.
Eine Verschmelzung von klassischen Heldenepen (wie z.B. Eugen Onegin) und bürgerlichem Roman (wie z.B. Krieg und Frieden) führte zu der für den Sozialistischen Realismus typischen Gattung des Roman-Epos (Роман-Эпопея, auch: Roman-Epopö). Hier wurden bedeutende historische Epochen mit dem Einzelschicksalen ihrer Helden verknüpft und in epischer Breite dargestellt. Alexei Tolstoi mit seinem Epos Der Leidensweg (Хождение по мукам) oder Scholochows Stiller Don (Тихий Дон) trugen zu dieser Gattung bei.
Eine weitere bedeutende Gattung des Sozialistischen Realismus, der Roman, gliederte sich in drei Nebenzweige:
- Bis in die späten 30er Jahre war der Produktionsroman die wichtigste Untergattung. Themen waren landwirtschaftliche Kolchosen, Kollektivierung und "Entkulakisierung", industrieller Aufbau, Gewinnung von Bodenschätzen, Sabotage und Klassenkampf etc. Bekannte Autoren dieser Gattung waren Michail Scholochow, Fjodor Panfjorow und Leonid Leonow.
- Der Stalinschen Maxime, dass Schriftsteller zur Erziehung des Volkes beizutragen hatten, sowie dem grundlegenden Wertewandel des gesamten Erziehungswesens unter Stalin entsprang die Gattung des Erziehungsromans. Thematisch wurde die Entwicklung des Menschen zu "sozialistischen Persönlichkeit", Patriotismus und Linientreue zur Partei behandelt. Erfolgreiche Erziehungsromane waren etwa Nikolaj Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde und Anton Makarenkos Der Weg ins Leben.
- Ohne die Blickweise des historischen Materialismus (Marx) aufzugeben, repräsentierte der historische Roman in den dreißiger Jahren eine neue Sichtweise auf die Geschichte. Statt wie in den Zwanzigern den historischen Klassenkampf in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen, wurden nun wichtige Ereignisse aus der "nationalen Vergangenheit" aufgearbeitet, wobei allerdings stets ein Bezug zur sowjetischen Gegenwart hergestellt wurde, entweder als warnende Negativbeispiele oder indem indirekt Parallelen zum aktuellen Herrschaftssystem konstruiert wurden. Bemerkenswerte Beispiele dieser Romangattung sind die die Werke von Alexei Tolstoi, Alexej Nowikow-Priboj und Sergej Sergejew-Tschenski.
Förderung und Säuberungen
Die kulturelle Umschwung war begleitet von rigoroser Zensur sowie Verfolgung und "Säuberungen" nicht systemkonformer Literaten ("Schädlinge - вредители", "Volksfeinde - враги народа"), wobei das Ausmaß der Verfolgung seinesgleichen suchte. Aufgrund von Archivfunden der Lubjanka wird geschätzt, dass insgesamt rund 2000 Schriftsteller verhaftet wurden, von denen 1500 entweder im Lager starben oder hingerichtet wurden. Typisch für eine diktatorische Herrschaft war dabei, dass Stalin bei allen Repressionen willkürlich auch einzelne Personen verschonte und sie geradezu unter seinen Schutz zu nehmen schien. Die Fokussierung der Verfolgungen auf Kulturschaffende demonstriert die immense Bedeutung, die man diesem Personenkreis beimaß. Dem gegenüber stand ein umfassendes System von wirtschaftlicher Förderung der systemkonformen Literaturschaffenden: Wohnungs- und Datschenbeschaffungen, Sanatorienaufenthalte und eine Renten- und Krankenversicherung gehörten dazu.
Alternative Literaturen
Im Klima von Repressionen, Zensur und engen künstlerischen Dogmata konnten von der offiziellen Linie abweichende Arbeiten nur im Verborgenen entstehen und existieren. Trotz der "Säuberungen" in den dreißiger Jahren schufen Dichter wie Anna Achmatowa, Ossip Mandelstam, Andrej Platonow, Michail Bulgakow und andere bleibende Werke, die in ihrer Gesamtheit eine weitverzweigte Gegenströmung zu den literarischen Produkten des Sozialistischen Realismus bilden.
Literatur
Sozialistischer Realismus in der Malerei