Sigrid Undset
Sigrid Undset (* 20. Mai 1882 in Kalundborg, Dänemark; † 10. Juni 1949 in Lillehammer, Norwegen) war Schriftstellerin zwischen norwegischer Tradition, europäischer Krise der Gegenwart, römischem Katholizismus und weiblicher Emanzipationsbewegung. Sie begeistert bis heute immer wieder neue Generationen von Lesern. 1995 wurde der erste Teil ihrer berühmten Romantrilogie Kristin Lavranstochter unter der Regie von Liv Ullmann verfilmt.In Deutschland sind ihre Werke kaum bekannt, in Norwegen jedoch gehört Sigrid Undset neben Bjørnstjerne Bjørnson und Knut Hamsun zu den drei großen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts, die mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurden (in ihrem Fall:1928).
Sigrid Undset kam am 20. Mai 1882 in Kalundborg in Dänemark als älteste von drei Töchtern des international anerkannten norwegischen Archäologen Ingvald Undset und seiner dänischen Frau Charlotte zur Welt. Im Alter von zwei Jahren zog sie mit der Familie nach Oslo, wo Sigrid fortan aufwuchs. Ihre Erziehung war geprägt von der historischen und sprachlichen Bildung der Eltern, die nicht nur Sigrids Interesse an der norwegischen und europäischen Geschichte und Kultur weckten, sondern ihr auch das geistige Fundament für ihre zukünftigen Romane gaben. Als Sigrid elf Jahre alt war, starb der seit langem sehr kränkliche Vater. Zu ihm hatte sie eine sehr enge Beziehung, die sie später in der Kristin Lavranstochter literarisch verarbeitete. Da die Mutter kaum über finanzielle Mittel verfügte, konnte sie ihren Töchtern kein Studium ermöglichen. Sigrid musste als Älteste zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und nahm nach dem Besuch der Handelsschule mit 16 Jahren eine Stelle als Sekretärin bei einer deutschen Ingenieurfirma in Oslo an. Besonders glücklich war sie in ihrem Beruf, den sie aus rein finanzieller Notwendigkeit zehn Jahre ausübte, nie. So nutzte sie jede freie Minute, um sich intensiv mit der norwegischen und europäischen Geschichte und Literatur zu befassen sowie erste Versuche als Schriftstellerin zu unternehmen. Dabei entstand ein historischer Roman, den sie im Alter von 22 Jahren abschloss. Obwohl der Verlag die Veröffentlichung ablehnte, gab sie nicht auf und schaffte mit dem modernen Werk Frau Marta Oulie (1907) und dem Erzählband Ein Fremder (1908), spätestens aber mit dem Roman Jenny (1911) den endgültigen Durchbruch als anerkannte Autorin. Inzwischen hatte sie, die stets von einem unabhängigen Künstlerleben fasziniert war, längst ihren Beruf aufgegeben und ein Auslandsstipendium erhalten, das sie zu einem längeren Aufenthalt nach Rom führte. Den starken Eindruck, den die Reise, vor allem aber die ewige Stadt auf ihre persönliche Entwicklung machte, ließ Sigrid in ihr tragisches Werk Jenny einfließen. "Das ist ja eben das Wunderbare, wenn man in die Welt geht - jede Beeinflussung durch Menschen, mit denen man zufällig daheim zusammen leben muss, hört auf. Man muss mit seinen eigenen Augen sehen und selbständig denken. Wir lernen begreifen, dass es ganz von uns selbst abhängt, was diese Reise uns gibt - und was wir sehen und zu erfassen vermögen, in welche Lage wir uns bringen und unter wessen Einfluss wir uns freiwillig begeben. Man lernt verstehen, dass es von einem selbst abhängt, wieviel das Leben uns entgegenbringt" lässt sie die Malerin Jenny sagen. In Rom lernte sie auch den geschiedenen norwegischen Maler Anders Castus Svarstad kennen, den sie 1912 heiratete und ihm dann für ein halbes Jahr nach London folgte. Auch für diese weltoffene Stadt begeisterte sie sich ein Leben lang. Zwischen 1913 und 1919 brachte Sigrid Undset drei Kinder zur Welt, zwei Söhne und eine geistig behinderte Tochter. Zu Beginn der 20er Jahre scheiterte ihre Ehe, ihren Kindern jedoch gab sie in Lillehammer, wo sie das Anwesen Bjaerkebek errichten ließ , ein sicheres und liebevolles Zuhause., das sie später in Glückliche Zeiten beschreibt.
In diesen Jahren erreichte Sigrid Undset mit ihren beiden bewaltigen Mittelalterromanen, der Trilogie Kristin Lavranstochter, für die sie 1928 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, und dem vierbändigen Werk Olav Audunssohn den Höhepunkt ihrer schriftstellerischen Leistung. Die Schilderungen des Lebens der Kristin Lavranstochter und des Olav Audunssohn im Norwegen des 13. Und 14. Jahrhunderts zeugen neben den beeindruckenden Natur- und Landschaftsbeschreibungen nicht nur von einer umfassenden Kenntnis des Mittelalters in seinen politischen, sozialen und religiösen Gegebenheiten, sondern von einer einzigartigen Fähigkeit, sich in die Gedanken- und Gefühlswelt mittelalterlicher Menschen in verschiedenen Lebensabschnitten und Lebenssituationen hineinzuversetzen. Dieses Vermögen, Menschen in ihrer geistigen und seelischen Entwicklung zu beschreiben, findet sich jedoch auch in ihren Gegenwarts- und Eheromanen. Bereits in Der Frühling (1914), Harriet Waage (1917) und Frau Hjelde (1917), später dann in Ida Elisabeth (1932) und Das getreue Eheweib (1936) setzt sie sich sehr intensiv mit dem oft problematischen Zusammenleben zweier unterschiedlicher Charaktere im "modernen" Norwegen auseinander - ein konfliktreiches Thema, mit dem sie selbst Erfahrung gesammelt hatte. Ihre im Vordergrund stehenden weiblichen Romanfiguren erscheinen dabei stets als innerlich reife und für die damalige Zeit emanzipierte Persönlichkeiten, jedoch bleiben die Werke in ihrem Handlungsverlauf stets ein Plädoyer für die Hinwendung der Frau zu Familie und Kindern. Ein weiteres bedeutendes Ereignis im Leben Sigrid Undsets war ihr Übertritt zum katholischen Glauben im Jahre 1924, der im tief protestantischen Norwegen einen Skandal hervorrief. Auch diesen Schritt verarbeitete sie in ihren Büchern Gymnadenia (1929), Der brennende Busch (1930), Katharina Benincasa sowie dem Essayband Begegnungen und Trennungen (1931).
Der Ausbruch des 2. Weltkrieges beendete die große Schaffenszeit Sigrid Undsets. Sie musste vor den Deutschen aus Norwegen fliehen, da sie sich schon zu Beginn der 30er Jahre in der Widerstandsbewegung gegen Hitler und den Nationalsozialismus engagiert hatte. Sie reiste mit ihrem jüngsten Sohn Hans über Schweden, Russland und Japan nach Amerika, wie sie das Kriegsende abwartete. Obwohl ihr ältester Sohn Anders im Krieg gefallen war - nachdem sie kurz zuvor bereits ihre Tochter verloren hatte - veröffentlichte sie in Amerika das immer noch von einer positiven Lebenseinstellung zeugende Werk Wieder in die Zukunft. Zwar klagte sie dort das nationalsozialistische Deutschland als Feind ihres über alles geliebten Heimatlandes Norwegen an, blickte jedoch ohne Hass und Bitterkeit, sondern mit Mut und Optimismus in die Zukunft. "Die ideale der Demokratien sind niemals Traumgebilde gewesen, sondern Ziele. [...] Nie wollen wir uns einbilden, dass irgendeine Zukunftswelle uns je zu einem Ziel bringen könne. Den Weg nach vorwärts zu unseren Zielen können wir einzig und allein durch unsere eigenen Anstrengungen finden, durch unermüdliche, geduldige und mutige Arbeit."
Im Jahre 1945 kehrte Sigrid Undset nach Norwegen zurück, wo sie vier Jahre später starb. Sie schrieb jedoch nie wieder. Ihr einzigartiges Werk zeichnet sich durch geographische und kulturelle Sachkenntnis aus, vor allem wenn man bedenkt, dass sie sich diese ohne die Möglichkeit, ein Studium zu absolvieren, angeeignet hatte. Noch mehr jedoch überzeugt Sigrid Undset durch menschliches Einfühlungsvermögen, reife Lebenserfahrung und sprachliche Ausdruckskraft. Gerade ihre Fähigkeit, Inhalt und Erzählstil ihrer Werke - von dem norwegischer Sagas über Heiligenviten bis hin zur modernen Prosa - stets in Einklang zu bringen, ist bemerkenswert. Ihrer Bücher haben einen zeitlosen Wert bewahrt; sie lohnen, gelesen zu werden.
Table of contents |
2 Literatur |
Werke in deutscher Sprache
Historische Romane
Gegenwarts- und Eheromane
Erzählungen und Erinnerungen
Literatur