Schweigespirale
Die Theorie der Schweigespirale wurde in den 70er Jahren von Elisabeth Noelle-Neumann formuliert. Sie propagiert, dass vor allem das Fernsehen erheblichen Einfluss auf die Rezipienten und damit auf die öffentliche Meinung ausüben kann. Damit steht die Schweigespirale für eine erneute Hinwendung der Medienwirkungsforschung zur Hypothese der "mächtigen Medien".Die zentrale These der Schweigespirale ist die folgende: Die kumulierte, konsonante und nach Noelle-Neumann verzerrte Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender kann im Lauf der Zeit die selektiven Wahrnehmungs- und Beeinflussungsprozesse außer Kraft und damit die so genannte Schweigespirale in Gang setzen. Diese besagt, dass die faktische Minoritätsmeinung durch das Fernsehen konsonant und kumulativ als Mehrheitsmeinung dargestellt wird. Aus Angst isoliert zu werden, unterlassen es Anhänger der eigentlichen Mehrheitsmeinung, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Dies führt Noelle-Neumann auf die soziale Natur des Menschen zurück, die ihn Isolation fürchten lässt und jeden einzelnen einem Konformitätsdruck unterwirft. Aus diesem Grund ist jeder Mensch ständig damit beschäftigt, seine Umwelt zu beobachten ("Prozess der quasi-statistischen Wahrnehmung der öffentlichen Meinung"). Dadurch erfährt er, welche Meinungen und Einstellungen öffentlich geäußert werden können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen (Konsonanzstreben).
Für den Prozess der Schweigespirale bedeutet das, dass die vermeintliche Minderheitsmeinung mit der Zeit zur tatsächlichen Minderheitsmeinung werden, da in dem Maße, wie die Anhänger der eigentlichen Mehrheitsmeinung verstummen, die Anhänger der eigentlichen Minderheitsmeinung ermutigt werden ihre Ansichten öffentlich zu äußern, ohne Isolation fürchten zu müssen. Auf diese Weise kann sich letztlich tatsächlich ein Umschwung der öffentlichen Meinung einstellen.
Als Beispiel für ihre These führte Noelle-Neumann die Wahlniederlage der CDU/CSU im Jahr 1976 an, für die das Fernsehen wahlentscheidend gewesen sei. Als Konsequenz setzte sich in den folgenden Jahren vor allem die CDU/CSU für die Einführung des Privatfernsehens ein, um ein mediales Gegengewicht zu den vermeinlich "linkslastigen" öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu schaffen. Der besonders große Einfluss, den Noelle-Neumann dem Fernsehen im Gegensatz zu anderen Medien zuschreibt, beruht darauf, dass durch die vorgebliche Suggestivität und Authentizität des Fernsehens diesem besondere Glaubwürdigkeit zukomme. Das starke Wirkungspotential des Fernsehens fasst Noelle-Neumann dabei mit den drei Begriffe Kumulation, Konsonanz und Öffentlichkeitseffekt zusammen.
Vor allem in Deutschland wurde Noelle-Neumanns Theorie der Schweigespirale kontrovers diskutiert und auch international wurde vielfach Kritik geübt. Hauptkritikpunkte sind einerseits die mangelnde empirische Fundierung der Theorie. So wurde speziell der Wahlanalyse von 1976 vorgeworfen, dass Noelle-Neumann keine Inhaltsanalyse der Fernsehberichterstattung durchgeführt hatte und ihre Einschätzung der Journalisteneinstellung einerseits vermutlich vornehmlich auf Befragungen von Printjournalisten beruhte. Bemängelt wurde zudem, dass die befragten Journalisten nicht nach ihrer politischen Präferenz bzw. ihrer Berichterstattung gefragt wurden.
Zusammengefasst ergibt sich, dass die bisher vorliegenden Befunde zur Schweigespirale widersprüchlich und alles andere als konsistent sind. Aus diesem Grund wird Noelle-Neumanns Schweigespirale von einigen Medienwissenschaftlern abgesprochen, eine Theorie zu sein.