Satz des Pythagoras
Der Satz ist theoretischer Ausdruck der von indischen, babylonischen und ägyptischen Baumeistern und Priestern entwickelten praktischen Kunst, bei Abmessungen von Feldern und Bauten mit Hilfe von Seilen präzise rechte Winkel zu erzielen. Schon eine kleine Abweichung vom rechten Winkel führt bei Bauwerken zu katastrophalen Ergebnissen, insbesondere bei großen Konstruktionen wie Pyramiden konnten sich die historischen Ingenieure nicht die geringste Abweichung erlauben.
Um die auch heute noch verblüffende Präzision ihrer Bauten zu erreichen, hatte die ägyptische Priesterschaft mit den so genannten Harpedonapten eine eigene Zunft: die Seilspanner. Mit einem Kunstgriff erzielten die Seilspanner genaue rechte Winkel, indem sie 12 gleiche Teile eines langen Seils durch Knoten im Verhältnis 5:3:4 unterteilten und aus dem Seil mit Hilfe von Pflöcken ein Dreieck bildeten – es muss und wird sich auf diese Weise immer ein rechter Winkel ergeben (Pythagoräisches Tripel). Diese Methode wandten die Seilspanner ferner an, wenn die Schlammfelder nach dem Rückgang der Nilfluten neu abzumessen waren. Auch die indischen Priester bestimmten ihre rechten Winkel, beispielsweise für den Bau ihrer Altäre, nach der gleichen Methode, unterteilten ihre Dreiecke jedoch im Seitenverhältnis 39:15:36. Es kann gezeigt werden, dass die Seillängen die Gleichung erfüllen, wenn a und b den rechten Winkel einschließen. Tatsächlich ergeben sich mit
Die ältesten bekannten mathematischen Aufzeichnungen mit Pythagoräischen Tripeln und sogar ihrer Quadratur finden sich auf babylonischen Tontafeln, die in die Zeit der Hammurabi-Dynastie datiert werden (1829 bis 1530 v. Chr). Die Grundlagen des Satzes waren also lange vor dem griechischen Mathematiker und Philosophen Pythagoras von Samos bekannt. Die Benennung des Satzes nach Pythagoras stammt von Euklid, der in seinem berühmtesten Werk Elemente das mathematische Wissen seiner Zeit zusammengetragen und dabei diesen Satz Pythagoras zugeschrieben hatte. Pythagoras, der viele Jahre in Ägypten verbrachte, und seiner asketischen, aristokratisch-elitären Schule fällt allerdings wahrscheinlich das Verdienst zu, diesen Satz um 540 v. Chr. für die westlichen Kulturen neu entdeckt, in seine verallgemeinerte, abstrakte Formel gebracht und weiterentwickelt zu haben. Zwar enthielt beispielsweise das älteste bekannte Rechenbuch der Welt, das ägyptische Rechenbuch des Ahmes (auch Papyrus Rhind) aus dem 17. Jahrhundert v. Chr. bereits komplizierte Aufgaben, es fehlte jedoch jede Verallgemeinerung, Regel, Definition. Bei Pythagoras wurde aus der Praxis Wissenschaft. Wie der Neuplatoniker Proklos um 470 n. Chr. beschrieb:
...verwandelte Pythagoras die Beschäftigung mit diesem Wissenszweige in eine wirkliche Wissenschaft, indem er die Grundlage derselben von höherem Gesichtspunkt aus betrachtete und die Theoreme derselben immaterieller und intellektueller erforschte.
Dabei stand für die Pythagoräer nicht die Mathematik, wie wir sie heute begrifflich verstehen, im Vordergrund. Vielmehr war die Mathematik Teil der Philosophie in der Tradition der Vorsokratiker Thales von Milet und Anaximander; wie diese hofften auch die Pythagoräer, die innere Harmonie der Welt und ihr zusammenhaltendes Element in mathematischen Beziehungen und Formeln finden und abbilden zu können. Und auch der rund 150 Jahre später lebende Euklid nannte sein Werk nicht etwa Kompendium der Mathematik, sondern Elemente. Der griechische Schriftsteller Plutarch berichtete um 70 n. Chr. über den Pythagoräer Petron von Himera:
«Petron lehrte «, es gäbe 183 Welten, die in Form eines gleichseitigen Dreiecks geordnet seien, von denen jede Seite 60 Welten umfasse. Von den übrigen Welten sei je eine an einem der Winkel gelagert... .
Das Weltbild der Pythagoräer, die die Zahl als das Maß aller Dinge betrachteten, war durch die Entdeckung der Irrationalität in Frage gestellt. Parallel zum Messbaren, parallel zur klaren Gesetzmäßigkeit existierte das Unmessbare, die nicht ausdrückbare Zahl. Der Erkenntnis verschlossen sich die Pythagoräer nicht, weigerten sich aber, das Irrationale den Zahlen zuzuordnen. Solche Ehrfurcht hatten diese Männer vor der Theorie des Irrationalen, berichtet Proklos, dass sie annahmen, dass derjenige, welcher zuerst die Betrachtung des Irrationalen aus dem Verborgenen in die Öffentlichkeit brachte, durch einen Schiffbruch umgekommen sei, und zwar weil das Unaussprechliche und Bildlose immer verborgen werden sollte ... .Von der historischen Praxis zur Irrationalität
Seilspanner und ihre mathematische Adelung
(Ägypter) oder (Inder) gültige Gleichungen. Was bei Babyloniern, Indern und Ägyptern in praktischer, ursprünglich probierender Anwendung entstanden war und nach heutigem Wissensstand seinerzeit nicht auf seine Allgemeingültigkeit hinterfragt wurde, erhielt somit im Lehrsatz des Pythagoras mit seine abstrakte, verallgemeinerte mathematische Adelung.
Pythagoras - Suche nach der Harmonie der Welt
Entdeckung der Irrationalität
Der Satz des Pythagoras führte noch die Pythagoräer zur Entdeckung der Irrationalität von .
Hat man ein Quadrat mit der Seitenlänge 1 und berechnet dessen Diagonale, folgt aus dem Satz des Pythagoras: . Die positive Lösung c dieser Gleichung nennen wir . Unmittelbar darauf folgte dann die Frage, ob sich die Länge dieser Diagonalen exakt durch eine rationale Zahl, also einen Bruch p/q darstellen lässt. Schon die Pythagoräer konnten zeigen, dass dies nicht möglich ist. Ein Beweis durch Widerspruch, der auch heute noch in der Schule gelehrt wird, ist uns von Euklid überliefert.
Die Fläche des unteren Quadrats (rot) entspricht der Summe der Flächen der beiden anderen Quadrate (blau und grün) |
Sind , , die Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks mit als Hypotenuse, so gilt .
Die Umkehrung gilt ebenso:
Gilt die Gleichung in einem Dreieck, so ist dieses Dreieck rechtwinklig.
Eng verwandt mit dem Satz des Pythagoras sind der Höhensatz und der Kathetensatz. Der Kosinussatz ist eine Verallgemeinerung des pythagoräischen Satzes. Diese Sätze zusammen bilden die so genannte Satzgruppe des Pythagoras.
Aus dem Satz des Pythagoras folgt: Die Länge der Hypotenuse ist gleich der Quadratwurzel aus der Summe von und , es gilt also:
Seitenlängen 3, 4, 5 => 32 + 42 = 9 + 16 = 25 = 52 => Das Dreieck ist rechtwinklig.
In der Praxis wird der Satz des Pythagoras, neben Sinus- und Kosinussatz, auch heute noch vor allem für das Vermessen von Gelände verwendet.
Anwendung
Die einfachste und wichtigste Anwendung des Satzes ist, aus zwei bekannten Seiten eines rechtwinkligen Dreiecks die Dritte zu berechnen. Dies ist durch Umformung der Gleichung für alle Seiten möglich:
Man kann den Satz des Pythagoras auch in seiner Umkehrung verwenden. Dabei wird überprüft, ob die Gleichung für die Seiten bei einem beliebigen Dreieck zutrifft. Es reicht allein die Kenntnis der Seitenlängen eines gegebenen Dreiecks, um daraus zu schließen, ob es rechtwinklig ist:
Seitenlängen 4, 5, 6 => 42 + 52 = 16 + 25 = 41 ≠ 62 => Das Dreieck ist nicht rechtwinklig.Kartesisches Koordinatensystem
Der Satz von Pythagoras liefert eine Formel für den Abstand zweier Punkte in einer Ebene, die durch ein kartesisches Koordinatensystem beschrieben wird. Sind zwei Punkte (x0, y0) und (x1, y1) gegeben, dann ist ihr Abstand durch
gegeben. Hierbei wird ausgenutzt, dass die Koordinatenachsen senkrecht zueinander liegen.
Geometrischer Beweis durch Ergänzung
In ein Quadrat mit der Seitenlänge werden vier gleiche (kongruente) rechtwinklige Dreiecke mit den Seiten , und (Hypotenuse) eingelegt. Dies kann auf zwei Arten geschehen, wie im Diagramm dargestellt ist.
Die Flächen des linken und des rechten Quadrates sind gleich (Seitenlänge ). Das rechte besteht aus den vier rechtwinkligen Dreiecken und einem Quadrat mit Seitenlänge , das linke aus den gleichen Dreiecken sowie einem Quadrat mit Seitenlänge und einem mit Seitenlänge . Die Fläche entspricht also der Summe der Fläche und der Fläche , also . Dies ist der Satz des Pythagoras.
Zweifache Scherung der Kathetenquadrate und Drehung in das Hypothenusenquadrat |
Scherungsbeweis
Eine weitere Möglichkeit ist die Scherung der Kathetenquadrate in das Hypotenusenquadrat. Unter Scherung eines Rechtecks versteht man in der Geometrie die Überführung des Rechtecks in ein Parallelogramm unter Beibehaltung der Höhe. Bei der Scherung ist das sich ergebende Parallelogramm zu dem Ausgangsrechteck flächengleich. Über zwei Scherungen können die beiden kleineren Quadrate dann in zwei gleich große Rechtecke umgewandelt werden, die zusammen genau in das große Quadrat passen.
Beim exakten Beweis muss dann noch über die Kongruenzsätze im Dreieck nachgewiesen werden, dass die kleinere Seite der sich ergebenden Rechtecke jeweils den Hypotenusenabschnitten entspricht. Wie üblich wurden in der Animation die Höhe mit , die Hypothenusenabschnitte mit und bezeichnet.
Pythagoräische Tripel
Ein pythagoräisches Tripel ist eine Gruppe von drei ganzen Zahlen, für die die Gleichung: gilt. Es gibt unendlich viele Tripel mit dieser Eigenschaft.
Das einfachste solcher Tripel bilden die bereits von den Ägyptern genutzten Zahlen , und (wegen , also ). Dieses wird in der "Gärtnerkonstruktion" von rechtwinkligen Parzellen oder Beeten verwendet:
Man bringe an einem Stück Schnur in regelmäßigen Abständen (etwa alle 50 cm) einen Knoten an und knote sie dann so zusammen, dass eine Schleife mit im Ganzen 12 Knoten entsteht. Nehmen jetzt drei Personen je einen Knoten in die Hand, so dass sich die Strecken zwischen ihnen wie 3:4:5 verhalten, so ist der Winkel zwischen den beiden kürzeren Seiten (Katheten) genau 90°.
Großer Fermatscher Satz
In der Zahlentheorie gibt es die fundamentale Fragestellung, ob es pythagoräische Tripel für Gleichungen der Art
Verallgemeinerungen
Abstrahiert man vom gewöhnlichen euklidischen Raum, so erhält der Mathematiker Innenprodukträume, also Vektorräume mit einem Skalarprodukt. Hier gilt der Satz von Pythagoras ebenfalls, und zwar in folgender Form: Gegeben seien zwei Vektoren v und w. Sind die beiden orthogonal, stehen also senkrecht aufeinander, so gilt:
Kosinussatz
Der Kosinussatz ist die Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras für nicht rechtwinklige Dreiecke:
Nichteuklidische Geometrie
Nichteuklidische Geometrien sind solche, in denen das Parallelenaxiom nicht gilt, wie beispielsweise die Geometrie der Kugeloberfläche. Dort gilt der Satz des Pythagoras nicht mehr.
Quellen und Literatur
Weblinks
Beurteilung:
Exzellenter Artikel