Risikogesellschaft
Risikogesellschaft ist ein vom deutschen Soziologen Ulrich Beck geprägtes Schlagwort und Haupttitel eines seiner Bücher von 1986 (siehe unten), das auch auf dem allgemeinen Buchmarkt sehr erfolgreich war.Grundthese: "In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken. [Hervorhebungen im Original] [...] Die Verteilungsprobleme und -konflikte der Mangelgesellschaft [werden] überlagert durch die Probleme und Konflikte, die aus der [...] Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken entstehen"; es kommt zu einem "Wechsel von der Logik der Reichtumsverteilung [...] zur Logik der Risikoverteilung" (Beck, Risikogesellschaft, S. 25)
In dem Maße, wie die moderne Gesellschaft selbst produzierte Risiken thematisiert, wird sie reflexiv: "Es geht nicht mehr [nur] um die Nutzbarmachung der Natur, um die Herauslösung des Menschen aus traditionalen Zwängen, sondern [...] wesentlich um Folgeprobleme der technisch-ökonomischen Entwicklung selbst. Der Modernisierungsprozeß wird "reflexiv", sich selbst zum Thema und Problem." (ebd., S. 26)
Unter dem Begriff "Risiken" subsumiert Beck einerseits "naturwissenschaftliche Schadstoffverteilungen", andererseits "soziale Gefährdungslagenslagen" (Arbeitslosigkeit) (ebd. S. 31). Charakteristisch ist dabei, dass die entsprechenden Risiken meist nicht mehr nach Klassengrenzen verteilt sind, sondern tendenziell jeden betreffen können: So, wie Radioaktivität nicht zwischen arm und reich unterscheidet, steigt auch das Risiko von Arbeitslosigkeit in der Mittel- und Oberschicht: "Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch" (S. 48)
Beck weist daraufhin, dass Risiken immer auch Ergebnis eines gesellschaftlichen Konstruktionsprozesses sind. Als bedrohlich wahrgenommen, werden nicht die abstrakten Risiken selbst, sondern deren konkrete Thematisierung in den Massenmedien. Dies führt dazu, dass "Wirklichkeit [...] nach einem Schematismus von Sicherheit und Gefahr kognitiv strukturiert und wahrgenommen wird" (Lau, Risikodiskurse, S. 418).
Paradoxerweise führt die Inflation "gefühlter Risiken" jedoch auch zu mehr Gleichgültigkeit: "Wo sich alles in Gefährdungen verwandelt, ist irgendwie auch nichts mehr gefährlich" (S. 48).
Dazu, dass das Buch einen für soziologische Literatur ungewöhnlichen Verkaufserfolg erzielte und der Titel rasch zum "geflügelten Wort" wurde, hat außer der den Zugang für Laien erleichternden Lesbarkeit zweifellos auch die Europa im Jahr des Erscheinens 1986 bedrohende Nuklearkatastrophe von Tschernobyl beigetragen. Beck hierzu in einem Vorwort zur Zweitauflage vom Mai 1986: "Die Rede von [...] Risikogesellschaft [...] hat einen bitteren Beigeschmack erhalten. Vieles, das im Schreiben noch argumentativ erkämpft wurde - die Nichtwahrnehmbarkeit der Gefahren, ihre Wissensabhängigkeit, ihre Übernationalität [...] - liest sich nach Tschernobyl wie eine platte Beschreibung der Gegenwart. Ach, wäre es die Beschwörung einer Zukunft geblieben, die es zu verhindern gilt!"
Der Soziologe Armin Nassehi bescheinigt Beck daher auch, "den Nerv der Zeit eindeutig getroffen" zu haben. Beck sei es "mit einer ungeheuren [...] diagnostischen Sensibilität" gelungen, "die Verunsicherung des Projekts der Moderne zu benennen" (Nassehi, Risikogesellschaft, S. 253f.). Nassehi führt diese erste allgemeine Verunsicherung der Moderne (die dadurch zu einer reflexiven Moderne wird) letztlich auf ein "gemeinsames Bezugsproblem" zurück: "Dis Unsicherheit darüber, welche Folgen gegenwärtiges Handeln für unmittelbare oder auch weitreichende Zukünfte hat". (ebd., S. 252). Folge ist die "paradoxe Situation, daß gehandelt werden muß, obwohl es dafür letztlich nicht die entsprechenden Grundlagen gibt" (ebd., S. 254).
Gefahr, Katastrophensoziologie, Risiko, Wagnis-KostenLiteratur
Siehe auch