Parlement
Das Wort Parlement wurde im alten Frankreich ursprünglich für jegliche Art von Versammlungen zur Diskussion oder Debatte verwendet (parler = sprechen). In diesem Sinn wurde es noch von Joinville verwendet, aber seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts benutzte man es in einem spezielleren Sinn, um die Sitzungen des königlichen Gerichtshofs (curia regis) zu bezeichnen. Als schließlich das Pariser Parlement ein ständiges Justizgericht mit der höchsten Autorität geworden war, insbesondere für Berufungen gegen die Urteile der baillis und sénéschals'', behielt es diesen Namen. Die Bezeichnung wurde auch für die anderen gleichartigen obersten Gerichtshöfe verwendet, die nach seinem Modell in den Provinzen eingerichtet wurden.In der deutschen Geschichtsschreibung hat sich die Konvention durchgesetzt, das französische Parlement mit "Parlament" zu übersetzen. Dabei sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass die französischen Parlamente von gänzlich anderer Natur waren als die gesetzgebenden Versammlungen, für die man im Deutschen gewöhnlich mit diesem Wort verwendet.
Die frühen Kapetinger hatten eine Gewohnheit, in regelmäßigen Abständen ihre Hauptvasallen und Prälaten des Königreichs an ihrem Hof einzuberufen. Diese Versammlung fanden anlässlich eines der großen Festtage des Jahres jeweils in der Stadt statt, in der der König residierte. Hier dachten sie über politische Angelegenheiten nach, und die Vasallen und Prälaten gaben dem König ihren Rat. Aber der Monarch hielt auch Gericht in solchen Fällen, die vor ihn gebracht wurden. In den frühen Tagen der Kapetinger-Dynastie waren das nicht viele, denn der König wahrte immer das Prinzip, dass er Richter mit allgemeiner und unbeschränkter Kompetenz sei; gleichzeitig war es nicht obligatorisch, Fälle vor den König zu bringen. Zu dieser Zeit gab es auch keine Berufungen im eigentlichen Sinn. Nichtsdestotrotz, wenn ein Verfahren vor den König gebracht wurde, beurteilte er es mit Hilfe der versammelten Prälaten und Vasallen, die seinen Rat bildeten. Das war die curia regis. Aber per Gesetz war der König der einzige Richter, während die Vasallen und Prälaten nur beratende Funktion hatten. Während des 12. und frühen 13. Jahrhunderts erfüllte die curia regis weiter diese Funktionen, aber ihre Bedeutung und tatsächliche Kompetenz nahm weiter zu. In den Rat wurden zusätzlich consilarii aufgenommen, die offenbar Männer aus der Begleitung des Königs kamen und als seine ständigen und professionellen Berater fungierten. Unter der Regierung von Saint Louis (die auch den Zeitraum markiert, in dem die Bezeichnung Parlement für diese Sitzungen auftaucht) änderten sich die dinge. Die richterliche Kompetenz des Parlaments entwickelte sich und wurde klarer definiert; das System der Berufungen wurde ins Leben gerufen, und Berufungen gegen die Urteile der baillis und seneschals wurden vor das Parlament gebracht. Auch Fälle, die die königlichen Städte, die bonnes villes betrafen, wurden von ihm entschieden. In den alten Registern des Parlaments dieser Zeit erscheinen wiederholt die Namen der gleichen Ratsmitglieder. Das legt nahe, dass es eine hinreichende Anzahl von Ratsmitgliedern im voraus festgelegt wurde, aus denen für jede Sitzung eine Liste ausgewählt wurde; die Vasallen und Prälaten dienten noch als komplementäres Gremium.
Als nächstes kam eine Reihe von Ordonnanzen, die die Amtszeit des Parlaments festlegten (1278, 1291, 1296, 1308), und es wurde mehr institutionalisiert. Nicht nur wurden die Personen, die das Parlament jeweils konstituierten, im voraus festgelegt, sondern diejenigen, die nicht auf die Liste gesetzt worden waren, konnten nicht in einem Fall urteilen. Die königlichen baillis mussten am Parlament teilnehmen, um ihre Urteile zu begründen, und zu einem frühen Zeitpunkt wurde die Reihenfolge festgelegt, in der die Fälle aus den bailliages angehört wurden. Vor der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde das Personal des Parlaments, sowohl Präsidenten als auch Ratsmitglieder, de facto festgelegt, wenn auch nicht de jure. Jedes Jahr wurde eine Liste derjenigen zusammengestellt, die die Sitzungen abholten würden, und obwohl die Liste jährlich festgelegt wurde, enthielt sie doch jedes Jahr die gleichen Namen. Die jährlichen commissaires wurden 1344 officiers; sie hatten feste Stellungen, waren aber noch nicht unabsetzbar. Zur gleichen Zeit wurde das Parlament dauerhafat; die Anzahl der Sitzungen hatte abgenommen, aber ihre Länge zugenommen. Im Laufe des 14. Jahrhunderts wurde es eine Regel, dass das Parlament von St. Martin (11. November) bis Ende Mai tagte; später wurde die Sitzungsperiode bis Mitte August verlängert, während der Rest des Jahres den Urlaub bildete. Auch in Paris war das Parlament eine feste Einrichtung geworden, und durch eine Entwicklung, die in ziemlich frühe Zeiten zurückreicht, hatten die Präsidenten und Ratsmitglieder – statt nur Ratgeber des Königs zu sein – gewisse Machtpositionen erworben, die aber vom Monarchen verliehen wurden; sie wahren in der Tat echte Magistraten. Der König hielt sein Gericht immer weniger in Person; es sprach seine Dekrete in der Abwesenheit des Königs aus. Es kam sogar vor, dass er seine Sache vor dem Parlament als Kläger oder Angeklagter vertrat. Im 14. Jahrhundert kam es allerdings noch vor, dass das Parlament delikate Angelegenheiten an den König weiterleitete; aber im 15. Jahrhundert erlangte es eine im Prinzip unabhängige Gerichtsbarkeit. Bezüglich seiner Zusammensetzung bewahrte es ein bemerkenswertes Merkmal, das an seinen Ursprung erinnert: ursprünglich war es eine Versammlung von Laien-Vasallen und Prälaten gewesen; als sein Aufbau fest wurde und aus Ratsmagistraten bestand, wurde ein Teil der Ämter notwendigerweise von Laien und ein anderer von Geistlichen besetzt, den consillers lais und den conseillers clercs.
Das Parlament war zur gleichen Zeit cour des pairs. Dies hatte den Ursprung in dem alten Prinzip, nach dem jeder Vasall das Recht hatte, von seinen Pairs vor Gericht gestellt zu werden, d. h. von den Lehnsmännern, die ihr Lehen vom gleichen Lehnsherrn erhalten hatten; diese saßen mit dem Lehnsherrn als Präsidenten zu Gericht. Dies führte bekanntermaßen zur Bildung der alten Institution der pairs de france, die aus sechs Laien und sechs Geistlichen bestand. Aber obwohl die feudalen Angelegenheiten strenggenommen von ihnen selbst beurteilt werden sollten, konnten sie dieses Recht in der curia regis nicht aufrechterhalten. Die anderen Personen darin konnten ebenso in Angelegenheiten mitwirken, die die Pairs betrafen. Schließlich wurden die französischen Pairs, deren Anzahl sich im Laufe der Zeit durch wiederholte Schaffung von Pairswürden durch den König erhöhte, ex officio Mitglieder des Parlaments; sie wurden erbliche Ratsmitglieder, legten den Eid als offizielle Magistraten ab und saßen und berieten – wenn sie wollten – im Parlament. In Verfahren, die gegen sie erhoben wurden, oder die ihre Rechte als Pair betrafen, hatten sie das Recht eines Prozesses durch das Parlament, wobei die anderen Pairs anwesend oder ordnungsgemäß einberufen worden waren.
Während das Parlament seine Einheit bewahrte, war es in mehrere Kammern oder Sektionen unterteilt worden. An erster Stelle gab es die Grand chambre, die das ursprüngliche Parlament darstellte. Ihr war die Rechtsprechung in bestimmten wichtigen Fällen vorbehalten, und sie folgte einer besonderen Verfahrensweise, die als mündlich bezeichnet wurde, obwohl gewisse schriftliche Dokumente zugelassen waren. Selbst nachdem die Ämter des Parlaments gesetzlich verkäuflich geworden waren, konnten die Ratsmitglieder nur in der Reihenfolge der Seniorität aus einer anderen Kammer in die Grand chambre wechseln. Die Chambre des enquêtes und Chambre des requêtes entstanden zu der Zeit, als es üblich wurde, Listen für jede Sitzung des Parlaments aufzustellen.
Die enquêteurs oder auditeurs des Parlaments waren zunächst Hilfspersonal gewesen, dem die vom Parlament angeordneten Untersuchungen und Nachforschungen anvertraut waren. Aber später, als die Institution der Berufung vollständig entwickelt war und das Verfahren vor verschiedenen Gerichtsbarkeiten eine höchst technische Sache wurde (insbesondere wenn schriftliche Beweise zugelassen wurden), kamen die Dokumente aus anderen Untersuchungen ebenfalls vor das Parlament. Eine neue Form der Berufung entstand Seite an Seite mit der älteren Form, die im wesentlichen ein mündliches Verfahren war, nämlich die schriftliche Berufung (appel par crit). Um diese neuen Berufungen zu beurteilen, musste das Parlament vor allem schriftliche Dokumente studieren, die Untersuchungen, die unter der Jurisdiktion des erstinstanzlichen Gerichts gemacht und niedergeschrieben worden waren. Die Pflicht der enquêteurs war es, eine Zusammenfassung der schriftlichen Dokumente und anzufertigen und über sie zu berichten. Später durften die rapporteurs diese Fragen zusammen mit einer bestimmten Zahl von Parlamentsmitgliedern beurteilen, und von 1316 an bildeten diese beiden Arten von Mitgliedern eine chambre des enquêtes. Bis jetzt hatte der rapporteur zweifellos nur seine Meinung zu dem Fall abgegeben, den er vorbereitet hatte. Aber nach 1336 wurden alle Mitglieder der Kammer auf die gleiche Stufe gestellt und berichteten und gaben ihre Urteile als Ganzes ab. Für lange Zeit empfing allerdings zunächst die Grand Chambre alle Fälle und reichte sie mit Anweisungen an die Chambre des enquêtes weiter; vor ihr wurden auch Fragen erörtert, die sich aus den Untersuchungen der Chambre des enquêtes ergaben, und sie setzte deren Entscheidungen in Kraft oder revidierte sie. Aber nach und nach verlor sie all diese Rechte, bis sie im 16. Jahrhundert ganz verschwanden. Mehrere Chambres des enquêtes wurden nach der ersten geschaffen, und sie waren es, die den größeren Teil der Arbeit hatten.
Die chambre des requêtes war von gänzlich anderer Natur. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde ein Teil der Sitzungsteilnehmer des Parlaments ausgeklammert, um die Petitionen (requêtes) über gerichtliche Fragen in Empfang zu nehmen, die dem König vorgelegt worden waren und noch nicht behandelt worden waren. Dies führte schließlich zur Bildung einer Kammer im eigentlichen Wortsinn, der requêtes du palais. Diese wurde aber ausschließlich ein Gericht für privilegierte Personen; ihr (oder der requêtes de l'hôtel, je nach Fall) wurden die Zivilverfahren derjenigen vorgelegt, die das Recht des Committimus hatten. Berufungen gegen Entscheidungen der Chambre des requêtes konnten vor das eigentliche Parlament gebracht werden.
Das Parlament hatte auch eine Kriminalkammer, die von la Tournelle, die erst im 16. Jahrhundert geschaffen gesetzlich verankert wurde, aber lange vorher aktiv war. Sie hatte keine bestimmte Mitgliedschaft, sondern die conseillers lois dienten wechselweise in ihr.
Ursprünglich gab es nur ein Parlament, das von Paris. Das war eine logische Folge der Entstehung aus der curia regis. Aber die Erfordernisse der Justizverwaltung führten nach und nach zur Schaffung einer Zahl von Provinzparlamenten. Ihre Einrichtung wurde zudem im allgemeinen von den politischen Umständen diktiert, nach der Aufnahme einer Provinz ins das Gebiet der Krone. Zuweilen handelte es sich um eine Provinz, die vor ihrer Annektierung eine höchste und souveräne Gerichtsbarkeit für sich selbst hatte, und die diesen Vorteil behalten sollte. Es kam vor, dass zwischen der Annexion der Provinz und der Gründung seines Provinzparlaments ein zwischenzeitliches System eingerichtet wurde, in dem Delegierte des Pariser Parlaments dorthin gingen und Assisen hielten. Auf diese Weise entstanden nacheinander die Parlamente von Toulouse, Grenoble, Bordeaux, Dijon, Rouen, Aix, Rennes, Pau, Metz, Douai, Besancon und Nancy. Von 1762 bis 1771 gab es sogar ein Parlament für das Fürstentum Dombes. Die Provinzparlamente bildeten auf kleinerem Maßstab die Organisation des Pariser Parlaments nach; sie verbanden aber nicht die Funktionen des Pairsgerichts. Jedes von ihnen beanspruchte in seiner jeweiligen Provinz gleiche Macht. Es gab auch große Justizkörperschaften, die die gleichen Funktionen wie die Parlamente ausübten, ohne aber deren Namen zu tragen, zum Beispiel das Conseil souverain des Elsass in Colmar, das Conseil superieur von Rousillon in Perpignan; das Conseil d'Artois hatte nicht in jeder Hinsicht die Obergerichtsbarkeit.
Abgesehen von ihren gerichtlichen Funktionen besaßen die Parlamente auch politische Rechte; sie beanspruchten Teilnahme an der höheren Politik des Reichs, und die Stellung von Hütern seiner fundamentalen Gesetze. Im allgemeinen wurden die Gesetze in den Provinzen erst gültig, wenn sie von den Parlamenten registriert worden waren. Dies war die Methode der öffentlichen Bekanntmachung, die vom alten Gesetz in Frankreich zugelassen war. Allerdings prüften die Parlamente die Gesetzte, bevor sie sie registrierten, d. h. sie untersuchten sie danach, ob sie mit den Prinzipien von Recht und Gerechtigkeit und mit den Interessen des Königs und seiner Untertanen übereinstimmten; wenn sie meinten, dass dies nicht der Fall war, lehnten sie die Registrierung ab und richteten Remonstranzen an den König. Indem sie dies taten, entsprachen sie bloß ihrer Beratungspflicht (devoir de conseil), die alle oberen Autoritäten gegenüber dem König hatten, und der Text der Ordonnanzen forderte sie auch oft explizit dazu auf. Es war jedoch natürlich, dass der Wille des Königs sich am Ende durchsetzen sollte. Um die Registrierung von Edikten zu erzwingen, schickte der König Lettres de cachet, als lettres de jussion bekannt, die aber nicht immer befolgt wurden. Oder er konnte persönlich kommen und Parlament halten und das Gesetz in seiner Anwesenheit in einem Lit de justice registrieren lassen. Theoretisch wurde dies mit dem Prinzip erklärt, dass das Gericht, wenn der König es persönlich hielt, durch die Tatsache seiner Anwesenheit alle von ihm delegierte Autorität verlor; für den Augenblick war die einzige in ihr existierende Autorität der König, so wie es in der alten curia das Prinzip gegebenen hatte "apparente rege cessat magistratus". Aber vor allem im 18. Jahrhundert behaupteten die Parlamente, dass nur eine freiwillige Registrierung mit Zustimmung des Parlaments gültig sei.
Die Parlamente hatten auch in der Verwaltung weitreichende Befugnisse. Sie konnten Vorschriften machen (pouvoir réglementaire), die innerhalb ihrer Provinz in allen Punkten die Wirkung von Gesetzen hatten, die nicht schon gesetzlich geregelt waren, soweit die betreffende Sache in ihre gerichtliche Kompetenz fiel; dafür war es nur nötig, dass ihre Einmischung in der Angelegenheit nicht durch das Gesetz verboten war. Diese Bestimmungen wurden arrêté de règlement genannt.
Durch diese Mittel nahmen die Parlamente an der Regierung teil, außer in Angelegenheiten, die einem anderen höchsten Gericht zugeordnet waren; so lag etwa die Besteuerung in der Verantwortung der cours des aides. Innerhalb der gleichen Beschränkungen konnten sie Anordnungen (injonctions) an Beamte und Einzelpersonen richten.