Paragraph 175
Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuches (§ 175 StGB), welcher zuerst die "widernatürliche Unzucht" (Analverkehr) und dann jede Form der "Unzucht" zwischen Männern unter Strafe stellte, existierte von der Deutschen Reichsgründung (1871) bis zum Jahr 1994, als er im Zuge der Rechtsangleichung mit der DDR wegfiel. Er war jedoch bereits 1969 reformiert worden, so dass er sich die letzten 25 Jahre nur noch auf Sex mit männlichen Minderjährigen bezog und selten Anwendung fand. Davor aber hatten etwa eine viertel Millionen Männer wegen Paragraph 175 vor Gericht gestanden, von denen weit über 100.000 zu manchmal langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
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2 "Drittes Reich" 3 Nachkriegszeit 4 Literatur 5 Weblinks |
Seit den 1890er Jahren kämpften Sexualreformer gegen den "Schandparagraphen" 175 und fanden dabei schnell Unterstützung bei den linken Parteien. Doch erst 1929 gelang es KPD, SPD und DDP im Strafrechtsausschusses des deutschen Reichstags eine Mehrheit für die Streichung des Paragraphen 175 zu mobilisieren. Allerdings konnten die konservativenen Parteien im Gegenzug einen neuen Paragraphen durchdrücken, der solche "qualifizierten" Fälle wie homosexuelle Prostitution oder Sex mit jungen Männern unter 21 Jahren als "schwere Unzucht" verfolgen sollte. Die Idee hierfür entstammte ihrem Strafrechtsentwurf von 1925, der die Homosexualität als Bedrohung für die "Volksgesundheit" darstellte:
1935, zwei Jahre nachdem der Reichstag die Macht an die Nazis übergeben hatte, verschärften diese den Paragraphen 175 auf dreierlei Weise: Erstens verdoppelten sie im Zuge einer Umdefinition vom Vergehen zum Verbrechen den Strafrahmen, zweitens übernahmen sie aus der Reform von 1929 die Idee, einen Tatbestand der "schweren Unzucht" zu schaffen (Paragraph 175a), und drittens strichen sie das Adjektiv "widernatürlich", das die Anwendbarkeit des Gesetzes auf den Analverkehr beschränkte. Unter dem neuen Paragraphen reichte zur Erfüllung des Tatbestands der Unzucht daher schon ein "unzüchtiger Blick", etwa auf einer öffentlichen Toilette.
Die Verschärfung zog eine Verzehnfachung der Zahl der Verurteilungen auf jährlich 8.000 nach sich. Darüber hinaus konnte die Gestapo schwule Männer jederzeit in ein Konzentrationslager verschleppen. Dazu war weder eine Anklage notwendig, noch schützte ein Freispruch davor. Hauptsächlich aber waren es so genannte Wiederholungstäter, die man nach dem Ende ihrer Haftzeit zur nachträglichen "Umerziehung" in ein Konzentrationslager zwang. Nur etwa 40 Prozent jener etwa 10.000 Männer, die mit dem Rosa Winkel gekennzeichet wurden, gelang es, das infernalische Lagersystem zu überleben. Einige von ihnen wurden nach ihrer Befreiung durch die Alliierten zurück an ein Gefängnis überstellt, weil sie ihre Freiheitsstrafe noch nicht fertig verbüßt hatten.
1950 kehrte die DDR zur Weimarer Fassung des Paragraphen 175 zurück, während die Bundesrepublik dessen Nazifassung beibehielt. Am 10. Mai 1957 verteidigte das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung. Der Paragraph 175 sei "nicht in dem Maße 'nationalsozialistisch geprägtes Recht'", dass ihm "in einem freiheitlich-demokratischen Staate die Geltung versagt werden müsse". Zwischen 1945 und 1969 wurde gegen ungefähr 100.000 Männer Anklage erhoben und ca. 50.000 Männer zu Gefängnisstrafen verurteilt. Eine Verhaftungs- und Prozesswelle in Frankfurt zeigt 1950/51 erschütternde Folgen:
Kaiserreich und Weimarer Republik
Die Reform scheiterte im März 1930 am "Interparlamentarischen Ausschuß für die Rechtsangleichung des Strafrechts zwischen Deutschland und Österreich"."Drittes Reich"
Nachkriegszeit
Am 25. Juni 1969 wurde kurz vor Ende der Großen Koalition von Bundeskanzler Kiesinger der §175 erstmals reformiert und auf Sex mit Minderjährigen beschränkt. Das so genannte Schutzalter lag zunächst bei 21 Jahren und wurde 1973 auf 18 Jahre abgesenkt. Die DDR hatte ihren Paragraphen dagegen bereits 1968 reformiert. Und sie war es auch, die ihn 1988 als erste abschaffte. In der Bundesrepublik dagegen war der Wegfall des Paragraphen 175 vor allem eine Folge der Rechtsangleichung mit der ehemaligen DDR. Einerseits konnte sich der Bundestag bis 1994 – dem Jahr, an dem die Frist für die Rechtsangleichung ablief – nicht dazu entschließen, den Paragraph 175 auch auf Ostdeutschland auszuweiten. Andererseits wollte er ihn aber auch nicht einfach ersatzlos streichen. Daher entschied er sich, das unterschiedliche Schutzalter, das für Beischlaf zwischen Männern bei 18 Jahren lag und für heterosexuellen wie lesbischen Geschlechtsverkehr bei 14 Jahren, auf 16 Jahre anzugleichen. Dies wurde von vielen als Versuch gewertet, Eltern ein Rechtsmittel gegen die gesellschaftlich nicht erwünschten homosexuellen Kontakte ihrer pubertierenden Kinder in die Hand zu geben.Literatur
Siehe auch: Rosa Winkel, Homosexualität, Heteronormativität, § 176 StGB, SodomiterverfolgungWeblinks