Normalisierungsprinzip
In den 50'er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Normalisierungsprinzip als zentrale Maxime im Umgang mit geistig behinderten erwachsenen Menschen entwickelt. Zunächst war es als Leitlinie für die Gestaltung sozialer Dienste ausgearbeitet. In eine Kurzform gebracht besagt die Normalisierungsformel, dass das Leben geistig behinderter (erwachsener) Menschen in allen Phasen so normal wie möglich zu gestalten ist.Entwickelt wurde dieses Normalisierungskonzept in den 50er Jahren von dem Dänen Bank-Mikkelsen. Der Schwede Bengt Nirje arbeitete dieses Normalisierungsprinzip weiter aus, und strebte durch konkrete Zielsetzungen die Umsetzung in die Praxis an. Wolf Wolfensberger entwickelte es in den 60er Jahren in den USA und Kanada weiter. In Deutschland gilt Walter Thimm als der Verfechter für das Normalisierungsprinzip. Nach Nirje sollte das Normalisierungskonzept Auswirkungen auf folgende acht Bereiche haben:
- Normaler Tagesrhythmus
- Normaler Wochenrhythmus
- Normaler Jahresrhythmus
- Normale Erfahrungen im Ablauf des Lebenszyklus
- Normalen Respekt vor dem Individuum und dessen Recht auf Selbstbestimmung
- Normale sexuelle Lebensmuster ihrer Kultur
- Normale ökonomische Lebensmuster und Rechte im Rahmen gesellschaftlicher Gegebenheiten
- Normale Umweltmuster und –standards innerhalb der Gemeinschaft. (vgl. Nirje 1994, 13)
- die einzelne Person mit geistiger Behinderung (= Primär- oder Mikro-System)
- die Institutionen (Meso- oder mittleres System)
- die Gesellschaft (Makro- oder größeres System)
Mit der Handlungsdimension der Interpretation auf den drei Systemstufen macht Wolfensberger auf die immer noch geistig verankerten Vor- und Werturteile in der Gesellschaft aufmerksam. (vgl. Wolfensberger 1986)
"Immerhin wirken Betroffenen-Verbände, Institutionen, Publizistik und Medien (Aktion Mensch) auf Einstellungsveränderungen hin, und Menschen mit Behinderungen müssen heute ihre Heimatregion in der Regel nicht mehr verlassen, um an einem entlegenen Ort wohnen und Förderung, Bildung oder Therapie erhalten zu können." (Klauß 1996, 56)
Das Normalisierungsprinzip beinhaltet auch die Normalisierung der Lebensbedingungen von Menschen mit Schwerstbehinderung. In der Realität ist die Umsetzung bisher erst sehr langsam vorangekommen; z.B. wohnen in gemeindenahen Wohngemeinschaften oft nur "weniger schwer behinderte Menschen". Gaedt (1992) weist auf die Gefahr der fehlenden Einbeziehung der mit Schwerstbehinderung lebenden Menschen in den Normalisierungsprozess und die Gefahr der Aussonderung dieser Gruppe in "Schwerbehindertenzentren" hin.