Nibelungenlied
Das Nibelungenlied ist ein mittelalterliches Heldenepos. Es entstand etwa um 1190/1200 und wurde in der damaligen Volkssprache Mittelhochdeutsch aufgeschrieben.
Der Verfasser des Nibelungenliedes ist unbekannt, hat aber sehr gute Ortskenntnisse im Donauraum zwischen Passau und Wien (vor allem der sog. Wachau ).
Dazu passt die Sprachform, ferner, dass der damalige Bischof von Passau (1191-1204), Wolfger von Erla, später Patriarch von Aquileja, zwar nicht namentlich genannt wird, aber einer seiner Vorgänger, der heilige Pilgrim, Bischof von Passau (971-991). Möglichweise handelt es sich bei der Nennung Pilgrims um eine Reminiszenz an Wolfger. Bedeutend für die literaturwissenschaftliche Forschung ist Wolfger, weil sich in seinen Akten mit dem Datum 12. November 1203 eine Anweisung befindet, dem Spruchdichter Walter von der Vogelweide Geld für einen Pelzmantel auszuzahlen. Diese Notiz stellt den einzigen sicheren, greifbaren Nachweis für die Existenz dieses Dichters dar und ist damit ein wichtiges Indiz zur zeitlichen Einordnung der mittelhochdeutschen Dichtung (die ja größtenteils ohne Jahres- und Verfasserangaben überliefert ist).
Die metrische Form des Nibelungenliedes wird als Nibelungenstrophe bezeichnet. Die strophische Form ist ebenso wie die Anonymität des Verfassers ein Charakteristikum der Heldenepik (vgl. das Kudrun-Epos eines unbekannten Dichters und die Dietrichepik). Dagegen sind alle höfischen mittelhochdeutschen Romane außer dem Titurel des Wolfram von Eschenbach und dessen Weiterdichtung, dem sog. Jüngeren Titurel von Albrecht von Scharfenberg, in Reimpaarversen verfasst.
Es ist davon auszugehen, dass das Nibelungenlied die erste künstlerisch freie Zusammen- und Neufassung von Komplexen einer im Kern aus dem 5. und 6. Jahrhundert stammenden burgundisch-fränkischen Heldensage ist.
Ein Kernproblem des Nibelungenliedes ist seine Fixierung eines Stoffes, der wohl über lange Zeit in einer sog. Dichtersprache und nur mündlich tradiert worden war. In dieser Hinsicht war das Nibelungenlied "archaischer" als die hochhöfische Artusepik (Hartmann von Aue). Die strophische Form des Liedes mit germanischen Langzeilen scheidet es ebenfalls von der "modernen" Ritterliteratur eines Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach.
Den Widersprüchen trotzend, höfisiert der Dichter die germanischen Heroen und Walküren und stellt sie in ein christlich-hochadeliges Umfeld.
Die bekannte Eingangsstrophe (wohl erst späterer einleitender Zusatz):
Das Nibelungenlied besteht aus zwei Teilen: im ersten Teil steht Siegfriedss Tod, im zweiten die Rache seiner Gattin Kriemhild im Mittelpunkt.
Das Umfeld ist die Zeit der Könige vom Burgunderreich am Rhein, sowie (im zweiten Teil) Südostdeutschland, wie dem Donaugebiet des heutigen Österreichs und Ungarns.
Am Königshof zu Worms (siehe auch Irminsul) lebt Kriemhild zusammen mit ihren drei Brüdern Gunther, Gernot und Giselher. Siegfried erscheint bei Hof und fordert Gunther heraus. Die literarische Version des 12. Jahrhunderts thematisiert anhand der Personen unterschiedliche Konzepte feudaler Gesellschaft: Siegfried verkörpert den klassischen Adligen, dessen Herrschaft auf Gewalt beruht. König Gunther repräsentiert einen Herrscher, dessen Macht sich auf Ministeriale stützt und der den Kampf um Herrschaft delegiert. Der zentrale Konflikt ist der zwischen Vasallität, die Unterordnung und Gehorsam verlangt, und einer modernisierten Feudalherrschaft, die nicht mehr oder nur zum Teil auf dem Lehnswesen fußt.
Die Wormser Könige bezeichnen in Folge Siegfried als "Freund" (Mittelhochdeutsch: "friunt") - Der Begriff klammert Vasallität bewusst aus. Eine Fraktion am Wormser Hof, für die Hagen steht, besteht jedoch darauf, dass Siegfried "Vasall" sei, sich also unterzuordnen habe. Siegfried heiratet Kriemhild und leistet im Gegenzug klassische Lehnsdienste, indem er für König Gunther erfolgreich in den Krieg zieht.
Außerdem muss Siegfried seinen Freund Gunther bei der Brautfahrt nach Isenland (möglicherweise Island, Dänemark oder eines der skandinavischen Länder) begleiten, um die Königin Brunhild zu erobern. Brunhild verlangt von den Werbern, sie im Kampf besiegen zu können. Das gelingt Gunther nur mit Hilfe Siegfrieds. Siegfried hilft ihm unter einer Tarnkappe versteckt, er gibt sich auch noch, mit dem Wissen der Begleiter (Gunther, Hagen und Dankwart), als ein Lehnsmann Gunthers aus. Um diese Täuschung zu vervollkommnen, leistet Siegfried für Gunther den Stratordienst, er führt Gunthers Pferd vor aller Augen wie ein Knecht am Zügel.
In der Hochzeitsnacht (in Worms) fesselt Brunhild Gunther an einen Haken an der Wand. Erst Siegfried bezwingt Brunhild in der zweiten Nacht - wieder mit Hilfe der Tarnkappe. Dabei entwendet er ihren Ring und ihren Gürtel, die klassischen Zeichen für eine erfolgreiche Defloration, obwohl ausdrücklich betont wird, dass Gunther seine Frau selber entjungfert hat. Dabei bewegt Brunhild immer wieder die Frage nach einer eventuellen Vasallität Siegfrieds. Seine Vermählung mit ihrer Schwägerin Kriemhild erscheint ihr als eine Messalliance (franz. Missheirat).
Lange Jahre später (wobei zu berücksichtigen ist, dass Zeitangaben in mhd. Epen nur als Anhaltspunkte zu verstehen sind) lädt Gunther auf Bitten seiner Frau Siegfried und Kriemhild nach Worms ein. Dabei geraten die Frauen über die Frage nach dem Rang ihrer Männer in Streit: Brunhild erklärt, dass sie mit eigenen Augen beobachtet habe, dass Siegfried Gunther als Vasall und "Knecht" gedient habe. Kriemhild hingegen kann Ring und Gürtel von Brunhild vorweisen (die ihr Siegfried geschenkt hatte) und nennt sie die Kebse (Mätresse) ihres Mannes. Der Streit (Senna) endet in einem harten Wortwechsel.
Hagen von Tronje interpretiert die Situation wie ein treuer Vasall: Siegfried weigert sich, dem König Gunther unterzuordnen. Hagen muss Siegfried daher töten, weil der eine ständige Bedrohung für die Herrschaft des Königs ist. Da für die Könige Gunther, Giselher und Gernot ein hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen und Siegfried nicht besteht, können sie auf eine direkte Auseinandersetzung mit dem scheinbar rebellischen "Lehnsmann" Siegfried verzichten. Sie erfahren von Hagens Plan nichts. Der heimtückische Mord findet im Odenwald statt. Hagen, der durch Kriemhild von Siegfrieds einziger verwundbarer Stelle erfahren hat, tötet den Held mit dessen eigener Lanze.
Kriemhild versinkt in unstillbarem Leid; sie schwört bitterste Rache, doch erst das Heiratsangebot des Hunnenkönigs Etzel verschafft ihr die notwendige Macht, ihre Vergeltungspläne in die Tat umzusetzen. Kriemhild zieht mit großem Gefolge ins Land der Hunnen und wird dort zu einer mächtigen Monarchin.
Nach langen Jahren lädt sie ihre Brüder und Hagen, dem sie den Mord an Siegfried niemals verziehen hat, ins Land der Hunnen zu einem Hoffest ein. Während der Reise an Etzels Hof wird Hagen von Meerjungfrauen gewarnt, allen stehe der Untergang bevor. Die Burgunder weigern sich, am Hot Etzels die Waffen abzulegen: im Feudalismus eine offene Kampfansage und schwere Beleidigung des Gastgebers.
Als Hagen ein Kind, den gemeinsamen Sohn von Kriemhild und Etzel, tötet wird, kommt es zum Blutbad. Im Laufe der Kämpfe gehen die Helden beider Seiten zugrunde; auch Kriemhild wird erschlagen. Allein Dietrich von Bern, sein Waffenmeister Hildebrand und Etzel überleben das Schlachten. Am Ende steht der Erzähler trauernd vor der Bilanz unsagbaren Elends.
Der ungeklärte gesellschaftliche Status Siegfrieds, symbolisiert durch Neid und Eifersucht der Frauen, führen zu seiner Ermordung durch Hagen von Tronje. Kernstück ist der Streit zwischen Kriemhild und Brunhild in Worms, als Brunhild offenbart, dass Siegfried als Vasall Gunthers vorgestellt worden ist, Siegfried und sein Königreich demnach Gunther tributpflichtig und untertan seien. Kriemhild kontert, dass nicht Gunther sondern Siegfried Brunhild in der Hochzeitsnacht zur Frau gemacht habe. Die Beweise - Brunhilds Ring und Gürtel - seien in Siegfrieds Besitz.
Das darauf folgende Mordkomplott gegen Siegfried wird von Hagen von Tronje in die Tat umgesetzt: Er lässt Siegfrieds verwundbare Stelle von Kriemhild auf der Kleidung markieren; als List gebraucht er ihr gegenüber den Vorwand, gerade diese Stelle besonders beschützen zu wollen.
Der Schatz der Nibelungen wird im Lauf der Geschichte bei Loche im Rhein versenkt. (Hierzu gibt es mittlerweile zahlreiche Theorien und Interpretationen die noch mehr Schatzsucher inspiriert und animiert haben.)
Im zweiten Teil sinnt die jetzt mit dem Hunnenkönig Etzel verheiratete Kriemhild auf Rache. Eine Einladung der Burgunden um Hagen zu Etzels Hof bietet ihr die Gelegenheit, eine "Schlacht" auszulösen, in deren Verlauf beide Seiten große Verluste hinnehmen müssen. Sie enthauptet Hagen eigenhändig, um dann selbst von Hildebrands Hand umzukommen.
Die literarische Vorlage lässt keine psychologische Interpretation der Personen zu. Alle Personen werden mit identischen Attributen beschrieben, die einen feudalen Adligen auszeichnen: Ehre, Treue, Gewaltbereitschaft, Reichtum. Alle handeln folgerichtig. Das Nibelungenlied steht für einen gesellschaftlichen Umbruch: die Macht des klassischen Feudaladels wird im 12. Jahrhundert brüchig. Die Könige partizipieren von den aufblühenden Städten, der Kleinadel geht zugrunde. Im Gegensatz zur klassischen Artusepik wie etwa Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbachinterpretiert der Autor des Nibelungenliedes den Konflikt zwischen Lehnswesen und Herrschaft der Ministerialen pessimistisch: er wird nicht gelöst und endet daher in einer Katastrophe.
Wichtige Personen des Nibelungenliedes und aus den zugehörigen Werken wie z.B. der Edda und aus Richard Wagners Opernwerken sind (in alphabethischer Ordnung):
Verwandte Sagen schlagen sich in den folgenden Dichtungen in und außerhalb des deutschen Sprachraums nieder:
Hildebrandslied, Atlilied, Edda, Dietrichsage (Thidrekssaga), Siegfriedlied (Lied vom Hürnen Seyfried), Kudrunlied/Gudrunlied, Wälsungenlied, Sigurdlied
Es existieren derzeit ca. 36 deutsche Handschriften, eine niederländische Umarbeitung und 2 Handschriften, die nur die "Klage" enthalten. Die Handschriften wurden vorwiegend in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz gefunden. Die drei Haupthandschriften sind von Karl Lachmann mit Buchstaben (Siglen) folgendermaßen kategorisiert worden:
Viele berühmte Szenen des Epos, wie der Drachenkampf Jung-Siegfrieds etwa, tauchen im Lied selber nur in Form von Erwähnungen auf; die ganze Vorgeschichte wird als bekannt vorausgesetzt. Das Lied ist stilistisch von den Ansprüchen des mündlichen Vortrags geprägt, denn Alltagssprache und Hochsprache mischen sich ebenso, wie bereits damals schon historisches Vokabular und zeitgenössische Begriffe des frühen dreizehnten Jahrhunderts.
Kunstvollen literarischen Ton und komplizierte Konstruktionen sucht man vergebens. Viel eher finden wir lange Aufzählungen, wiederkehrende Formulierungen und einfache, fast distanzierte Schilderungen durch den Erzähler, der sich selbst nur an wenigen Stellen des Werks erwähnt.
Am 22. Februar 1784 schrieb Friedrich II. von Preußen, der Alte Fritz, an den ersten Herausgeber des Epos, Christian Heinrich Müller, der das Werk dem König gewidmet hatte, folgendes:
Das Nibelungenlied wurde im 18. Jahrhundert von Bodmer und Breitinger wieder in den Blickpunkt der literarischen Öffentlichkeit gerückt.
Im 19. Jahrhundert erlangte es den Rang eines deutschen Nationalepos; es existieren viele z.T. illustrierte Ausgaben (z.B. von Alfred Rethel, 1840, und von Julius Schnorr von Carolsfeld, 1843) und mehrere Bearbeitungen für das Theater (Wagner, Der Ring des Nibelungen, 1840-1876, der nur sehr frei an das Epos anknüpfend ist; Friedrich Hebbel, Die Nibelungen, 1860/61). Selbst in Tolkiens Werken (Herr der Ringe) lassen sich etliche Elemente der Nibelungensaga wiederfinden.
2003/2004 ist es Gegenstand einer Ausstellung im Badischen Landesmuseum Karlsruhe, anschließend ist es in der Landesvertretung Baden-Württemberg in Berlin zu sehen, zusammen mit der einzigen, durchgehend bebilderten vollständig erhaltenen Handschrift B aus der Staatsbibliothek Berlin.
Verfasser und Entstehung
Ort und Zeit der Handlung
Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
heleden lobebæren, von grôzer arebeit,
von fröuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.
Die Handlung
Erster Teil
Der erste Teil stellt den Helden Siegfried vor, der mit der unsichtbar machenden Tarnkappe, seiner fast gänzlichen Unverwundbarkeit und seinem legendären Nibelungenschatz(=Hildesheimer Silberfund?) des Zwergenkönigs Alberich, dem sogenannten Hort, die Hauptrolle einnimmt. Er ist nur zwischen den Schulterblättern verwundbar, weil beim Bad im Drachenblut auf diese Stelle ein Eichenblatt gefallen ist. Doch als er, um Kriemhild zur Gattin zu gewinnen, deren Bruder und Burgundenkönig Gunther bei dessen Werben um Brunhild wie auch in dessen Hochzeitsnacht mit einem Rollentausch behilflich ist, legt er den Grundstein seines Unterganges.Zweiter Teil
Interpretation
Das Personal des Nibelungenliedes und verwandter Werke
Verwandte Sagen
Überlieferung
Diesen drei Schriften wird eine nicht mehr erhaltene Urschrift als Quelle unterstellt. Neben drei Hauptüberlieferungssträngen (A, B und C) muss man auch von einer breiten mündlichen Tradition ausgehen.
Alle Pergamenthandschriften sind mit großen Buchstaben bezeichnet, Papierhandschriften immer mit kleinen Buchstaben.Forschungs- und Rezeptionsgeschichte
Heinrich Heine (1797-1856) schrieb über den Ton des Nibelungenlieds: "Es ist eine Sprache von Stein, und die Verse sind gleichsam gereimte Quadern. Hie und da, aus den Spalten, quellen rote Blumen hervor wie Blutstropfen oder zieht sich der lange Epheu herunter wie grüne Tränen."Literatur
Ausgaben
Forschungsgeschichtlich wichtige Ausgaben (Reprints)
Weblinks