Neukantianismus
Neukantianismus oder Neokantianismus ist der Name einer philosophischen Strömung die sich, nach dem Idealismus, wieder direkt von Immanuel Kant inspirieren ließ.
Table of contents |
2 Geschichte 3 Einteilungen 4 Wirkung 5 Kritizismus |
Otto Liebmanns Werk Kant und die Epigonen (1865) bildete eine bedeutende Anregung des Neokantianismus und teilte die Philosophie nach Kant in Vier Richtungen ein:
Entstehung
Otto Liebmann und Friedrich Albert Lange (Autor der Geschichte des Materialismus,1866) sind die eigentlichen Grundleger der Marburger Schule. Hermann Cohen und Paul Natorp (und später Ernst Cassirer) ihre bedeutendsten Nachfolger.
Die Südwestdeutsche Schule ist die zweite wichtige Neukantische Schule. Sie wurde von Wilhelm Windelband gestiftet. Er und sein Student Heinrich Rickert waren ihre Hauptvertreter.
Es wurde behauptet, dass das Ende des Neokantianismus nach dem zweiten Weltkrieg von Martin Heideggers Philosophie bedingt wurde, aber eigentlich wurde ihr Ende größtenteils durch den Tod ihrer Anhänger verursacht.
Geschichte
Die Entwicklung des Neukantianinismus erfolgte in drei Perioden:
1. Periode
Die erste Periode wird durch den Versuch gekennzeichnet, bestimmte von der Sinnesphysiologie (z.B. bei Hermann von Helmholtz und Gustav Theodor Fechner) entdeckte Tatsachen zum Ausbau einer subjektiv-idealistischen und agnostischen Erkenntnislehre zu verwenden (physiologischer Neukantianismus). Die Philosophie Kants gibt dabei den allgemeinen Rahmen der Argumentation ab. Allerdings eines Kant, der von seinen Schwankungen zum Materialismus "gereinigt", auf die "kritische" Erkenntnislehre eingeengt und auf das Niveau von David Hume und George Berkeley heruntergebracht wurde. "Das Ding an sich" wird als materialistisches Moment der Kantschen Philosophie erkannt und - im Unterschied zur Auffassung der klassischen deutschen Philosophie - negativ gefaßt und eliminiert, von Lange als "Grenzbegriff", von Liebmann als "ungelöstes Rätsel" bestimmt. Die praktische Philosophie Kants wird beiseite geschoben, die subjektivistischen Elemente seiner Erkenntnislehre werden dagegen hervorgehoben, Erfahrung (Erkenntnis) wird kurzweg als "Geschenk des Verstandes" ausgegeben.
2. Periode
Die zweite Periode des Neukantianismus (Hermann Cohen, Paul Natorp, Wilhelm Windelband, Aloys Riehl) fällt etwa in die siebziger bis neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit entwickelte er sich zu einer eigentlichen Schule. Das Grundanliegen war die Kantrezeption auf den von Lange und Liebmann vorgezeichneten Bahnen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch die jetzt entstehende Kantphilologie. Im Unterschied zur ersten Periode werden in der zweiten Periode Versuche unternommen, nicht nur einzelne Elemente der Kritik der reinen Vernunft, sondern Kants Lehre als Ganze zum Ausbau einer subjektiv-idealistsichen und agnostischen Philosophie unter Verwendung objektiv-idealistischer Motive heranzuziehen und seine Ethik auf die politisch-sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit anzuwenden (bei Natorp).
3. Periode
Diese Versuche leiten zur dritten Periode über, in der die Vertreter des Neukantianismus ihre eigenen Systeme entwickeln(Cohen, Riehl, Rickert). Zugleich gewinnt der Neukantianismus in dieser Zeit verstärkten Enfluß unter den Einzelwissenschaftlern und protestantischen Theologen: Rudolf Stammler (Rechtslehre), Natorp (Pädagogik), Max Weber, Georg Simmel (Soziologie), Johann Wilhelm Herrmann, Julius Wilhelm Kaftan (protestantische Theologie). Die dritte Periode ist mit der beginnenden Auflösung des Neukantianismus als Schule identisch. Die verschiedenen Verterter des Neukantianismus nehmen bei ihren Systembildungen Elemente anderer Philosophien auf und erweitern den ursprünglich rein Kantschen Ansatz durch Fragestellungen aus den Lehren von Johann Gottlieb Fichte, Johann Friedrich Herbart, Rudolf Hermann Lotze, Bernhard Bolzano und Wilhelm Dilthey, nähern sich mehr oder weniger dem objektiven Idealismus und bereiten so den Übergang zu anderen philosophischen Richtungen vor: Positivismus, Empiriokritizismus, Lebensphilosophie, Phänomenologie, Neuhegelianismus, Existenzialismus und neue Ontologie.
Seine einflußreichste Zeit hatte der Neukantianismus von den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg. Danach wurde er von anderen Richtungen der deutschen Philosophie immer mehr verdrängt - was nicht bedeutet, dass es keine Neukantianer mehr gegeben hätte.
Einteilungen
Nach dem Ort des Wirkens seiner Hauptvertreter sowie in Rücksicht auf systematische Gesichtspunkte wird der Neukantianismus auch in die Marburger und Südwestdeutsche(Freiburger) Schule eingeteilt.
Marburger Schule
Die Marburger Schule (Hermann Cohen, Paul Natorp, Karl Vorländer, Ernst Cassirer) greift in ihrer Kantrezeption in erster Linie auf die "Transzendentale Deduktion" zurück. Sie will rein begrifflich bzw. mathematisch zu Erkenntnis kommen, betrachtet die Außenwelt als "Gewebe logischer Relationen", die nicht gegeben, sondern immer nur aufgegeben sind, d.h. durch das Bewußtsein gesetzt werden.
Gegenstand der Philosophie ist die Wissenschaft, nicht als Denken Über die Wissenschaft. Der Marburger Neukantianismus ist aufgrund seines absoluten Verweilens in Begriffsoperationen auch oft als "logischer Idealismus" bezeichnet worden.
Südwestdeutsche Schule
Die Südwestdeutsche Schule (Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert, Emil Lask, Bruno Bauch, Georg Cohn) sieht weniger in der Erkenntnislehre das Hauptanliegen der Philosophie wie der Marburger Neukantgianismus, als vielmehr im Problem der Werte und des Sollens.
Für sie ist die Hauptfrage der Philosophie nicht die Frage nach dem Sein, dem Gegenständlichen, sondern anch dem, was sein soll (das Sollen):"Vor dem Weltproblem steht das Wertproblem".
Die Südwestdeutsche Schule hat sich im Kampf gegen den historischen Materialismus besonders hervorgetan. Rickert im Verein mit Windelband trennt Natur und Gesellschaft(bei ihm: Kultur) schroff voneinander und proklamiert für beide Bereiche verschiedene Methoden: die "generalisierende" für die Natur-, die "individualisierende" für die Gesellschaftwissenschaften.
Damit schuf er die Voraussetzungen dafür, dass auf der einen Seite die strenge Forschung in den Naturwissenschaften nicht angetastet, dass sie auf der anderen Seite aber in die Gesellschaftwissenschaften keinen Eingang fand und von beiden der philosophische Materialismus ferngehalten wurde. Das letztere versuchte er u.a. zu erreichen, indem er alle Weltanschauungsfragen aus dem Zuständigkeitsbereich der Philosophie ausschloß.
Auf der Grundlage der Südwestdeutschen Wertphilosophie, ihrer Methodentrennung und ihres Ausschlusses aller Weltanschauungsfragen aus dem Bereich der Philosophie sowie des Marburger Logizismus entwickelten sich in Deutschland die irrationalistischen Lehren der zwanziger und dreißiger Jahre, die die Ideologie des Rechtsextremismus vorbereiteten und zum Teil in ihr aufgingen.
Wirkung
Der Einfluss des Neukantianismus auf die Philosophie in Deutschland der Weimarer Republik war negativer Natur und ist nicht zu unterschätzen. Die einflußreichsten Philosophen in Deutschland dieser Zeit sind beim Neukantianismus in die Schule gegangen(Edmund Husserl, Martin Heidegger, Richard Kroner, Nicolai Hartmann).
Kritizismus
Neben der Marburger und der Südwestdeutschen Schule hat sich innerhalb des Neukantianismus noch eine andere Strömung herausgebildet, deren Einfluß weniger stark war: der so genannte (Neu-)Kritizismus (Aloys Riehl, auch: Friedrich Paulsen, Oswald Külpe, Heinrich Maier). Der Kritizismus bemühte sich, Kant durch eine realistische Auslegung historisch gerecht zu werden, lehnte die ins Subjektiv-Idealistische gehenden Kantumdeutungen des übrigen Neukantianismus ab, betrachtete insbesondere das Ding an sich - durchaus richtig - als zum Wesen der Kantschen Philosophie gehörig.
Heute spielt der Neukantianismus in der unmittelbaren Gegenwart keine Rolle mehr, jedoch sind die subjektiv-idealistischen und agnostischen Bestandteile seiner Lehren in mannigfacher Form in ihren verschiedenen Strömungen von heute noch wirksam.