Nesselzelle
Die Nesselzellen, auch als Nematocyten oder Cnidozyten bezeichnet, sind ein spezieller Zelltyp, der ausschließlich bei den Nesseltieren (Cnidaria) zu finden ist. Es handelt sich dabei um Zellen, die in der äußeren Schicht (Epidermis) der Tiere eingebettet sind und zum Beutefang oder zur Abwehr von Feinden oder Konkurrenz eingesetzt werden können. Bei Reizung wird ein Nesselschlauch ausgeschleudert, der häufig ein hochwirksames Gift in das Opfer injiziert. Aus diesem Grunde findet man die Nesselzellen vor allem an den Tentakeln der Tiere.
Nesselzellen enthalten als Hauptbestandteil eine Nesselkapsel oder Nematocyste mit einer doppelwandigen Kapselhülle, die fast den gesamten Zellraum einnimmt. Der Zellkern sowie andere Zellkompartimente liegen am Rand der Zelle zwischen dieser Kapsel und der Zellmembran. Die Kapsel selbst enthält einen mehr oder weniger aufgewickelten Nesselschlauch, der abhängig vom Typen der Zelle mit unterschiedlichen Strukturen wie Stiletten, Stacheln oder Klebeelementen ausgestattet ist. Am oberen, der Außenwelt zugerichteten, Ende besitzt die Zelle einen Rezeptorpol, der auf mechanische Reize reagiert (Mechanorezeptor). Bei den Blumentieren (Anthozoa) findet man als Rezeptor den wahrscheinlich ursprünglicheren Typ, der aus einer normalen Cilie mit einem Basalkörper und einer Cilienwurzel sowie einem akzessorischen Zentriol besteht. Dieser Grundaufbau entspricht dem einer Reihe anderer Mechanorezeptoren wie etwa den Hautsensoren verschiedenster Tiergruppen oder auch den Rezeptoren im Innenohr der Wirbeltiere. Die anderen Taxa der Nesseltiere besitzen demgegenüber ein so genanntes Cnidocil, welches aus einer speziell umgewandelten, versteiften Cilie mit darum angeordneten Mikrovilli (Stereocilien) besteht. Einen Basalkörper besitzt auch diese Struktur, die Wurzel und das akzessorische Centriol fehlen.
Die Nesselzelle ist eingebettet in die Epidermis des Nesseltiere, wobei immer mehrere Nesselzellen mit einer Epithelmuskelzelle verbunden sind. An den Kontaktstellen verlaufen in beiden Zellen vertikal zu der Zelloberfläche Mikrotubuli, die offensichtlich eine mechanische Verbindung der beiden Zelltypen darstellen. In diesem Zellkomplex enden außerdem Nervenzellen, deren Enden Vesikel mit chemischen Neurotransmittern beinhalten können. Sowohl der Epithelmuskelzelle als auch der Nervenendigung kommt wahrscheinlich eine Funktion bei der Aktivierung der Nesselzelle zu.
Die Nesselkapsel steht unter einem sehr großen Binnendruck von bis zu 140 bar und wird bei einer Reizung des Cnidocils oder der basalen Nerven entladen. Dabei wird der Deckel der Kapsel weggesprengt und der Nesselschlauch mit den Zelltypischen Stiletten, Stacheln oder Klebeelementen innerhalb von etwa drei Millisekunden und mit einer Beschleunigung von bis zu 40.000 g ausgeschleudert. Der exakte Mechanismus der Entladung ist bislang noch nicht vollständig geklärt. Besonders stark ist die Kraft, mit der die Durchschlagskapseln der Penetranten "explodieren". Der Stilettapparat dieser Kapseln durchdringt die Körperwand eines Beutetieres und entlädt durch die Öffnung an der Spitze des Nesselschlauches das in der Kapsel enthaltene Nesselgift in das Opfer.
Die Nesselzellen bilden sich aus den interstitiellen Zellen (I-Zellen) an der Basis der Epidermis. Dabei handelt es sich um embryonal angelegte Zellen, die sich in alle Zelltypen der Nesseltiere mit Ausnahme der Keimzellen entwickeln können. Die I-Zellen teilen sich und die Bildung der Nesselzellen, deren Bildungszellen dann als Cnido- oder Nematoblasten bezeichnet werden, beginnt mit einer räumlichen Vergrößerung des Golgi-Apparates und des rauhen Endoplasmatischen Reticulum in der interstitiellen Zelle. In diesen Zellkompartimenten wird das Material für die spätere Nesselkapsel gebildet, die zunächst als homogene Matrix erscheint und durch Verschmelzung mit Vesikeln des Golgi-Apparates an Größe zunimmt. Offensichtlich als Transportstrukturen für die Vesikel bilden sich Microtubuli zwischen dem Golgi-Apparat und der Matrix.
In der Matrix bildet sich ein randlicher Bezirk aus, der die spätere Kapsel bildet, sowie ein zentraler Bereich, in dem sich (abhängig vom Nesselzellentypen) Stilette, oder andere Strukturen herausbilden. Auch der Nesselfaden bildet sich im Inneren der Zelle. Am oberen Rand der Kapsel setzt sich ein Deckel (Operculum) gegenüber der Restkapsel ab. Zum Abschluss der Nesselzellenbildung wird die Größe des Golgi-Apparates wieder reduziert und das Endoplasmatische Reticulum zerfällt in freie Ribosomen und einzelne Vesikel. Die Zelle wandert nun an ihre endgültige Position innerhalb der Epidermis und der Binnendruck der Kapsel wird aufgebaut. Die Bildung dieser Zellen ist irreversibel und nach Auslösen der Kapsel stirbt die Zelle ab.
Insgesamt sind bis heute etwa 27 verschiedene morphologische Typen von Nesselzellen bekannt, die bei unterschiedlichen Vertretern der Nesseltiere gefunden wurden und somit für die systematische Einordnung der Tiere eine große Rolle spielen. Diese lassen sich wiederum in etwa 50 bis 60 Kapselformen unterteilen. Dabei kommen bei einer Art in der Regel mehrere Typen gleichzeitig vor. So besitzen etwa die Süßwasserpolypen der Gattung Hydra vier verschiedene Nesselzelltypen. Die Gesamtheit der Nesselzellen einer Art wird als Cnidom bezeichnet.
Unterschieden werden zwei Gruppen von Nesselzelltypen aufgrund des Aufbaus des Nesselschlauches. Die Astomocniden besitzen am Ende des Nesselschlauches keine Öffnung, In diese Gruppe gehören die Desmonemen oder Volventen (Wickelkapseln), die einen langen, in der Kapsel aufgewickelten Faden besitzen. Mit diesem werden Beutetiere oder Teile derselben umwickelt und festgehalten. Ebenfalls in diese Gruppe gehören die Rhopalonemen mit einem keulig endenden Schlauch.
Bei den Stomocniden ist immer eine Öffnung am Ende des Nesselfadens vorhanden. In diese Gruppe gehören die Haplonemen mit einem gleichmäßig aufgebauten Schlauch inklusive der Glutinanten (Klebkapseln), die etwa bei Hydra als Haftkapseln auch die Fortbewegung unterstützen. In ihrer Wirkungsweise haben diese Kapseln große Ähnlichkeit mit den Collocyten der Rippenquallen (Ctenophora), die jedoch in ihrer Entstehung und in ihrem Aufbau nichts mit den Nesselzellen gemein haben.
Die größte Gruppe der Stomocniden bilden die Heteronemen, deren Nesselschlauch sich in einen Schaft und einen Faden unterteilen läßt. Dabei werden wiederum verschiedene Untertypen unterschieden wie etwa die Rhabdoide mit einem isodiametrischen Schaft, die Eurytelen mit einem keulenförmig erweiterten Schaft, die Birhopalide, bei denen der Schaft hantelförmig ist und schließlich die komplex aufgebauten Stenotelen, auch Penetranten oder Durchschlagskapseln, mit einem aus drei Dornen aufgebauten Stilettapparat. Letztere enthalten in der Kapsel außerdem hochwirksame Nesselgifte, mit denen die Tiere ihre Opfer lähmen oder töten können.
Bei den Nesselgiften der Nesseltiere handelt es sich vor allem um Gifte, die auf das Nervensystem wirken, also den Neurotoxinen zugeordnet werden. Sie führen zu einer Blockade des Natrium-Ionen-Transportes an der Zellmembran der Nerven und verhindern damit die Bildung von Aktionspotentialen. Das Resultat sind Lähmungen.
In Herzmuskelzellen kann ein anderer Effekt entstehen. Hier werden Kalzium-Ionen freigesetzt, wobei Krämpfe bis hin zum Herzversagen sowie ein Ausfall des gesamten Herz-Kreislaufsystems die Folge sein können. Gifte, die auf diese Weise wirken, bezeichnet man als Cardiotoxine. Bei einigen Nesseltieren wie etwa der Seewespe (Chironex fleckeri) oder der Portugiesischen Galeere (Physalia physalis) kann es auch beim Menschen zu tödlichen Vergiftungen durch Nesselgifte kommen. Diese Wirkung wird aktuell für die Herstellung von Medikamenten zur Steigerung der Pumpkraft bei Patienten mit Herzinsuffizienz erforscht.
Neben den Nerotoxinen finden sich im Nesselgift allerdings auch Gift, die eine abbauende Wirkung auf Proteine oder ein blutzersetzende Wirkung haben. Diese Gifte verursachen Verbrennungen, Nekrosen und tiefe Wunden auf der Haut der Personen, die mit den Nesselzellen in Berührung kommen.
Obwohl die Nesseltiere die einzigen Tiere sind, die Nesselzellen ausbilden, kann man diese hochspezialisierten Zellen auch bei anderen Meerestieren finden. So kommen Nesselzellen etwa bei verschiedenen Rippenquallen (Ctenophora) vor, was die Annahme einer nahen Verwandtschaft dieser beiden Gruppen lange Zeit unterstützte. Auch verschiedene Meeresschnecken und Plattwürmer besitzen Nesselzellen, die in die Epidermis eingelagert sind. All diese Tiere ernähren sich zumindest teilweise von Polypen oder Medusen der Nesseltiere und nehmen dabei auch die Nesselzellen auf. Dies werden jedoch nicht verdaut sondern in die eigene Epidermis eingelagert und dienen dort nun dem Schutz der Tiere vor Freßfeinden. Nesselzellen, die auf diese Weise bei Nicht-Nesseltieren vorkommen, werden als Kleptocniden, also "geklaute Nesselzellen", bezeichnet.Aufbau und Funktion der Nesselzellen
Bildung von Nesselzellen
Typen von Nesselzellen
Nesselgifte
Kleptocniden