Neoklassische Theorie
Unter Neoklassik versteht man in den Wirtschaftswissenschaften eine Familie von Theorien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihren Ausgang nahmen und die durch Adam Smith begründete Klassik (wichtigste Autoren neben Smith: David Ricardo, John Stuart Mill, Karl Marx) ablösten. Die Neoklassik dominierte das ökonomische Denken bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts, als der Keynesianismus für einige Jahrzehnte die führende Rolle übernahm.
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Zentrale Thesen
Von der Klassik hob sich die Neoklassik unter anderem durch die
verschobene Fragestellung ab:
Die Entstehung der Neoklassik ist engstens mit der so genannten
marginalistischen Revolution verbunden: zunächst die Übertragung
der marginalen Analyse auf die Nachfrageentscheidungen von
Haushalten. Die resultierende Grenznutzentheorie der Konsumnachfrage
und des Wertes wurde ungefähr gleichzeitig und unabhängig voneinander
um 1870 von William Stanley Jevons in England, Carl Menger in
Österreich und Leon Walras in der Schweiz entwickelt. Damit wurde
die klassische Wert- und Preistheorie (letztlich eine reine
Produktionskostentheorie) durch eine subjektive Werttheorie abgelöst
bzw. ergänzt.
Weiteres zentrales Element der Neoklassik ist die Gleichgewichtsanalyse. Ökonomische Analyse wird wesentlich als die Analyse von Märkten im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage verstanden: Sei es (bei Walras) im Sinne eines instantanen allgemeinen Gleichgewichts auf allen Märkten (bestimmt durch die Lösung eines Systems von Gleichungen), oder sei es (bei Alfred Marshall) im Sinne von partiellen Gleichgewichten auf den jeweils betrachteten Märkten in verschiedenen Zeithorizonten (etwa sehr kurzfristig zur Bestimmung von Markpreisen, oder langfristig zur Bestimmung von normalen Preisen).
Zusammengenommen führt die Neoklassik mit Hilfe der Marginalanalyse alles wirtschaftliche Geschehen auf individuelle Optimierungsentscheidungen zurück: Unternehmen maximieren ihren Profit, woraus sich die Faktornachfragekurven und Güterangebotskurven ergeben. Haushalte maximieren ihren Nutzen, woraus sich die Faktorangebotskurven und Konsumgüternachfragekurven ergeben. Auf allen Märkten herrscht ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, wodurch bei geeigneten Annahmen auch die Preise aller Konsumgüter und Produktionsfaktoren bestimmt sind.
Eine Konsequenz aus dieser Kombination von individueller Optimierung und Gleichgewichtsdenken ist die Unmöglichkeit von Unterbeschäftigung, Arbeitslosigkeit und Überproduktion, solange kompetitive Märkte nicht durch staatliche Intervention oder andere Verzerrungen (z.B. von Gewerkschaften erzwungene überhöhte Löhne) in ihrer Funktion behindert werden. Die Neoklassik sieht damit das Saysche Gesetz immer erfüllt, das allgemeine (gesamtwirtschaftliche) und längerfristigere Ungleichgewichte ausschließt, da sich jedes (gesamtwirtschaftliche) Angebot auch seine Nachfrage schaffe. Im Blick auf den Kapitalmarkt setzt dies voraus, dass über den Zins als Preis des Kapitals auch Sparen und Investition sich im Gleichgewicht befinden.
In der Neoklassik gibt es eine scharfe Trennung zwischen dem realen Sektor einer Wirtschaft, in dem die relativen Preise aller Güter und Produktionsfaktoren, die Produktionsmengen der verschiedenen Konsumgüter und die Verteilung (Allokation) der Produktionsfaktoren auf die Produktion verschiedener Güter bestimmt wird, und dem monetären Sektor, in dem letztlich nur die Geldpreise bestimmt werden, und von dem keine (längerfristigen) Wirkungen auf den realen Sektor ausgehen. Diese realwirtschaftliche "Neutralität" des Geldes findet ihre theoretische Erklärung in der Quantitätstheorie des Geldes.
Mit der Weltwirtschaftskrise geriet die Neoklassik in eine Glaubwürdigkeitskrise, da sie weder eine zufriedenstellende Erklärung für eine so schwerwiegende Krise zu geben schien, in der die Selbstheilungskräfte des Marktes offensichtlich versagten, noch auch erfolgversprechende wirtschaftspolitische Empfehlungen nahelegte. Diese Lücken füllten zunächst John Maynard Keynes mit seiner Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes und der darauf aufbauende Keynesianismus, die sowohl eine systematische Erklärung der Möglichkeit von längerfristigen Unterbeschäftigungsgleichgewichten als auch Hinweise auf wirtschaftspolitische Wege aus solchen Krisen versprachen.
Dies bedeutete jedoch keineswegs ein Ende der Neoklassik: Zum einen überlebte neoklassisches Denken in der Mikroökonomie, die man in ihrem Kern als die formal immer vollkommenere Entwicklung und Ausweitung auf neue Fragestellungen der Grundintuitionen der Neoklassik verstehen kann, zum anderen erlebte neoklassisches Denken eine Renaissance auch in der Makroökonomie nachdem in der Folge der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts der Keynesianismus seinerseits in eine Glaubwürdigkeitskrise geriet.
Siehe auch: Vilfredo Pareto, Neoliberalismus, Joan Robinson
Literatur
Weblinks