Naqschbandi
Die Naqschbandi-Tariqa ist eine der zahlreichen Tariqas (Sufi-Orden) des Islam; ihr Gründer ist Bahauddin Naqschband (1318–1388) aus Buchara (heute in Usbekistan). Von ihm leitet der Orden seine „spirituelle Kette“ über Amir Kulal (gestorben 1379), Abdul Khaliq Ghujduwani (gestorben 1120), Yusuf Hamadhani (gestorben 1140) und einen der vier „rechtgeleiten“ Kalifen, Abu Bakr (gestorben 634), bis zum Religionsstifter Muhammad (gestorben 632) ab.Als Bahauddin Naqschband nach seinem Studium in Samarkand in die Stadt Nasaf geht, begegnet er Amir Kulal und wird dessen Schüler. Laut eigener Aussage ist aber der Sufi-Sheikh, der ihn am meisten beeinflußt nicht Amir Kulal, sondern der lange verstorbene Abdul Khaliq Ghujduwani, der Bahauddin in Visionen erscheint.
Ghujduwanis Lehre ist bekannt unter dem Namen tariq-i khwajagan (Der Weg der Lehrer), in denen er die folgenden acht Prinzipien aufstellt, die Bahauddin später als Bestandteil der Naqschbandi-Lehre übernimmt:
- hush dar dam: Aufmerksamkeit beim Atmen
- nazar bar qadam: seine Schritte überwachen
- safar dar watan: innere mystische Reise
- khalwat dar anjuman: Einsamkeit in der Menge
- yad kard: Sammlung, Gedenken
- baz gard: seine Gedanken kontrollieren
- nigah dasht: seine Gedanken überwachen
- yad dasht: Konzentration auf Gott
Nach Anatolien wird die Tariqa durch Molla Ilahi († 1409) gebracht, wo sie noch in der heutigen Türkei trotz des im Jahr 1925 erlassenen Verbots durch dessen Staatsgründer Atatürk, Derwisch-Zentren zu unterhalten, Anhänger hat.
Auch wenn die Naqschbandi-Tariqa eher nüchtern und orthodox ist und somit künstlerische Tätigkeiten (vor allem Musik und Sema, den „Tanz“ der Derwische; siehe auch Mevlevi) ablehnt, so gehören trotzdem die führenden Künstler am Herater Hof zu diesem Orden. Bekannte Naqschbandi-Derwische sind beispielsweise die Poeten Dschami († 1492) und Mir Dard († 1785).
Ein markanter Bestandteil der Naqschbandi-Tariqa ist das schweigende Dhikr (Gedenken an Gott). Dieses ist dem lauten Dhikr entgegengesetzt, wie es bei den anderen Tariqas praktiziert wird und durch seine verschiedenartigen Gesänge und instrumentelle Begleitung auf viele Menschen attraktiv wirkt. Das schweigende Dhikr geht zurück auf eine Begebenheit des Propheten Muhammad, als dieser auf der Flucht vor seinen mekkanischen Verfolgern in einer Höhle Zuflucht sucht. Um sich nicht durch laute Stimmen zu verraten, weist der Prophet seinen einzigen Begleiter Abu Bakr in die Praktik des stillen Dhikr ein.
Eine weitere wichtige Eigenheit der Naqschbandi-Tariqa ist Suhbat (türk. Sohbet]]. Dies ist eine intime Unterhaltung zwischen dem Sheikh und seinem Derwisch, die auf höchster geistiger Ebene geführt wird. Die Naqschbandis sind selber davon überzeugt, daß ihr Weg mit der exakten Einhaltung der religiösen Pflichten sie zur „Vollkommenheit des Prophetentums“ führen würde.
Schon sehr früh mischen sich Mitglieder des Ordens in die zentralasiatische Politik ein, und als im 15. Jahrhundert Ubaidullah Ahrar († 1490) die Leitung übernimmt, wird Zentralasien sozusagen von der Tariqa beherrscht. Er pflegt starke Beziehungen zu dem Timuriden-Fürsten Abu Said und zu den shaibanitischen Usbeken, was für die politische Entwicklung in der Mitte des 15. Jahrhunderts entscheidend ist. Sogar im Reich der Mongolen gibt es Mitglieder des Ordens, weil dort Yunus Khan Moghul ein Naqschbandi-Derwisch ist.
Kurz or 1600 gewinnt der Orden auch eine feste Stellung in Indien. Neben dem schon erwähnten Dichter Mir Dard ist eine weitere Persönlichkeit aus der Stadt Delhi der bekannte Shah Waliullah († 1762), der zusätzlich der Qadiri-Tariqa angehört. Dieser übersetzt den Koran, das heilige Buch der Muslime, ins Persische, damit auch eine große Zahl nicht arabisch-sprechende Muslime dieses Buch verstehen und seinen Geboten folgen kann.