Musik des 18. Jahrhunderts
Warnung: Dieser Eintrag ist aus Meyers Konversationslexikon von 1888 übernommen und bedarf noch der Überarbeitung, um heutigen Standards gerecht zu werden (vgl. Diskussionsseite) -- 13:08, 21. Jan 2004 (CET)Verfolgen wir endlich die französische große Oper bis zum Höhepunkt ihrer Entwicklung, so treffen wir auf das Musikdrama von Christoph Willibald Gluck (1714-1787), der, von deutschem Ernst erfüllt und in der italienischen Schule gebildet, dennoch in Paris den einzig geeigneten Boden zur Ausführung seiner Reformen finden konnte und hier den in seiner Vorrede zur Oper "Alceste" ausgesprochenen, wieder im wesentlichen denen Lullys folgenden Kunstprinzipien ungeachtet heftiger Opposition durch seine 1774 zum erstenmal ausgeführte "Iphigenia in Aulis" zu entscheidendem Sieg verhalf.
Wiewohl Frankreich schon seit Mitte des 17. Jahrhunderts Italien den Rang der künstlerisch tonangebenden Nation streitig gemacht hatte, so konnte das letztere Land aus musikalischem Gebiet zu dieser Zeit noch keineswegs für geschlagen gelten; vielmehr gewinnt gerade im 18. Jahrhundert die italienische Oper eine das gesamte Musikwesen dominierende Stellung.
Diesmal geht die Bewegung weder von Rom, noch von Florenz, noch auch von Venedig aus, sondern von Neapel, wo Alessandro Scarlatti (gest. 1725) eine Schule gegründet hatte, deren Jünger, ähnlich wie im 15. and 16. Jahrhundert die Niederländer, bald in allen Hauptstädten Europas zu den höchsten musikalischen Ehrenstellen gelangten. Alessandro Scarlatti, in der römischen Schule des Carissimi gebildet, leistete gleich Bedeutendes im kirchlichen wie im dramatischen Stil, endlich auch im Kammerstil, einer durch Carissimi vervollkommten Kunstgattung, welche, sreivom Zwang sowohl des kirchlichen Ritus als der theatralischen Szenerie, der Tonkunst als solcher zu weit reicherer Entfaltung Gelegenheit gab, als es in den übrigen Stilen möglich war. Überdies war er ein trefflicher Dirigent, Sänger und selbst Klavierspieler, wenn auch in letzterer Eigenschaft von seinem Sohn Domenico Scarlatti übertroffen.
Dieser Vielseitigkeit des Meisters entsprechend, hat auch die durch seine Schüler Francesco Durante (gest. 1755) und Leonardo Leo (gest. 1756) völlig ausgebildete neapolitanische Schule die Musik auf allen ihren Gebieten gefördert; hauptsächlich freilich auf dem der Oper, welche schon A. Scarlatti durch geschickte Darstellung des Komischen und Charakteristischen mit rein musikalischen Mitteln wesentlich bereichert hatte. Weiter führte die Richtung der Neapolitaner - deren Stil man den "schönen" nannte, im Gegensatz zu dem "erhabenen" der römischen Schule (dem sogen. Palestrina-Stil) - zu jener hohen Blüte des Kunstgesanges und des Instrumentalvirtuosentums, welche für die Musik des 18. Jahrhunderts charakteristisch wurde.
Aus der zu Bologna von Pistocchi 1700 gegründeten Gesangschule gingen ein Senesino (Francesco Bernardo), eine Cuzzoni und Faustina Hasse-Bordoni hervor, deren Leistungen das Publikum in so hohem Grad fesselten, dass die der Komponisten, selbst der besten, daneben verhältnismäßig unbeachtet blieben. Wenn unter solchen Umständen die Opera seria mehr und mehr im Formenwesen erstarrte, die Kirchenmusik aber ungeachtet der Bemühungen einzelner Neapolitaner, wie Pergolese (gest. 1736), Iomelli (gest. 1774), sowie der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wirkenden Venezianer Lotti, Caldara und Marcello in der Berührung mit der Oper zusehends verflachte, so erschloss sich den ernster strebenden Musikern ein neues Feld ihrer Tätigkeit in der Instrumentalmusik.
Das Orgelspiel, schon seiner Beziehungen zur Kirche wegen weit früher als die übrigen Instrumente zu höhern Kunstzwecken verwendet and bereits Anfang des 17. Jahrhunderts durch den römischen Organisten Frescobaldi in umfassender Weise vervollkommt, erreicht den Höhepunkt seiner Ausbildung in Deutschland, wo der Hallesche Organist Samuel Scheidt (gest. 1654) die Reihe berühmter Organisten eröffnet, in welcher Namen wie Froberger, Pachelbel, Buxtehude, endlich Sebastian Bach als Glanzpunkte erscheinen.
Nicht minder eifrig wird das Klavierspiel gepflegt, wenn auch anfänglich mehr zum Unterricht als zum Zweck der Virtuosität. Zwar diente das Klavier schon im 17. Jahrhundert den englischen Organisten der Königin Elisabeth, Bird, Morley u. a., unter dem Namen Virginal sowie den französischen Organisten Marchand und Couperin unter dem Namen Clavecin als Soloinstrument; seine eigentliche Bedeutung als solches aber dankt es der um 1710 gemachten Erfindung des Paduaners Cristofori, die Tasten am obern Ende mit Hämmern zu versehen, welche, verbunden mit einem Dämpfungsmechanismus, dem Spieler gestatteten, leise und stark (piano und forte) zu spielen. Das so konstruierte Instrument, Pianoforte genannt, verdrängte bald die ältern Arten des Klaviers, deren Saiten, durch Metallstifte angeschlagen oder durch Rabenfederkiele gerissen, nur in einerlei Stärke erklingen konnten, und wurde, nachdem bald darauf durch Domenico Scarlatti (gest. 1757) und Carl Philipp Emanuel Bach (gest. 1788) der Übergang zur Technik des modernen Klavierspiels vermittelt war, unter den Händen eines Mozart und Beethoven zum geeignetsten Ausdrucksorgan der tondichterischen Phantasie, bereit, dem Flug derselben überallhin zu folgen.
Von den übrigen Instrumenten machten namentlich die Streichinstrumente während des 17. und 18. Jahrhunderts überraschende Fortschritte. Von den zwei Hauptgattungen derselben, der Arm- und Kniegeige (viola da braccio und viola da gamba) mit ihren zahlreichen Unterarten, sonderten sich vier aus, die noch heute gebräuchlichen: Violine, Bratsche, Violoncello und Kontrabass, und von diesen fand wiederum die erstere eine so liebevolle Pflege, dass sie bald zur 'Königin der Orchesterinstrumente wurde.
In den italienischen Violinschulen des Corelli (Rom) und Vivaldi (Venedig) erreichte während der ersten Hälfte des Jahrhunderts nicht nur die Technik des Violinspiels eine außerordentliche Höhe, sondern es dankt ihnen auch die Tonkunst eine wichtige Bereicherung durch neue Formen, wie z. B. in dem durch Vivaldi ausgebildeten dreisätzigen Konzert die für die cyklischen Werke der modernen Instrumentalmusik maßgebende Sonatenform bereits festgestellt ist.
Und hier darf nicht unerwähnt bleiben, dass die Kunst des Geigenbaues ebenfalls in Italien, besonders in Cremona, durch geschickte, ja geniale Meister, wie die Mitglieder der Familie Amati (deren Stammvater Andreas schon 1546 erscheint), der Guarneri, endlich um 1700 A. Stradivari zur höchsten Blüte gelangt war, derart, dass ihre Erzeugnisse noch heute als unübertrefflich anerkannt sind.
Wie im 17. Jahrhundert, so übten auch jetzt die musikalischen Errungenschaften Italiens einen unmittelbaren Einfluss auf das Musikleben ganz Europas. Keine derselben aber wirkte in gleichem Maß anregend wie die von den Neapolitanern ausgebildete Opera buffa, und namentlich war es Frankreich, welches dieselbe mit Freude und Begeisterung aufnahm, da hier die während der ersten Hälfte des Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte so genannte Aufklärungsphilosophie der für die Formen des Lebens wie der Kunst eingetretenen Erstarrung den Krieg erklärt und die Rückkehr zum Natürlichen als einzig wünschenswert bezeichnet hatte.
Wie im 17. Jahrhundert, so übten auch jetzt die musikalischen Errungenschaften Italiens einen unmittelbaren Einfluss auf das Musikleben ganz Europas. Keine derselben aber wirkte in gleichem Maß anregend wie die von den Neapolitanern ausgebildete Opera buffa, und namentlich war es Frankreich, welches dieselbe mit Freude und Begeisterung aufnahm, da hier die während der ersten Hälfte des Jahrhunderts zur Herrschaft gelangte so genannte Aufklärungsphilosophie der für die Formen des Lebens wie der Kunst eingetretenen Erstarrung den Krieg erklärt und die Rückkehr zum Natürlichen als einzig wünschenswert bezeichnet hatte.
Allerdings fand die erste in Paris gastierende Opera buffa (1752) neben dem enthusiastilchen Beifall der Fortschrittspartei einen nicht minder energischen Widerstand auf seiten der Konservativen und musste sogar vor den Kabalen der letztern schon nach zwei Jahren das Feld räumen; jedoch sollte das von den Italienern gegebene Beispiel unmittelbar die reichsten Früchte tragen, indem es die Tätigkeit der französischen Dichter und Musiker zu demjenigen Gebiet der dramatischen Kunst hinleitete, auf welchem Frankreich zu herrschen berufen war und in der Tat nach kurzem die erste Stellung errang: die komische Oper.
Nachdem man durch Übersetzung der von den Buffonisten hinterlassenen Texte, vor allen der "Serva padrona" (M. von Pergolese), den ersten Schritt zur nationalen Umbildung dieser Kunstgattung getan, traten die angesehensten Dichter Frankreichs, Sedaine, Marmontel u. a., mit Originaldichtungen hervor und fanden sofort ebenbürtige musikalische Mitarbeitter in Philidor, Monsigny und Grétry, welch letzterer 1768 mit Marmontels "Huron" in Paris debütierte und seitdem mit Recht der Liebling des französischen Publikums war; denn er gab der komischen Oper diejenige Vollendung, durch welche sie, wie O. Jahn bemerkt, noch heute die echte Repräsentantin des nationalen Charakters der Franzosen auf dem Gebiet der dramatischen Musik ist.
Einen ähnlichen Umschwung bewirkte die Opera buffa in Deutschland, wenn auch hier die Bedingungen zur Ausbildung einer nationalen Oper weit weniger güustig waren als in Frankreich. Inmitten des Elends, welches der Dreißigjährige Krieg im Gefolge gehabt, war das deutsche Nationalbewusstsein so tief gesunken, dass man sich der geistigen Fremdherrschaft willig unterworfen hatte, und namentlich war die Opernbühne ausschließlich in den Händen der Italiener oder doch solcher Deutschen, die, wie Fux in Wien (gest. 1741), Graun in Berlin (gest. 1759), Hasse in Dresden (gest. 1783), sich künstlerisch ganz und gar italienisiert hatten. Von den deutschen Fürsten war eine Änderung dieser Zustände vorläufig nicht zu erwarten; selbst der patriotischte unter ihnen, Friedrich der Große, wollte bekanntlich von einer vaterländischen Kunst nichts wissen, und seine Äußerung, "er wolle lieber von einem Pferd sich eine Arie vorwiehern lassen als an seiner Oper eine deutsche Sängerin anstellen", beweist, dass er für die Musik keine Ausnahme machte.
Die einzige Stadt Deutschlands, welche sich bald nach dem Dreißigjährigen Krieg dem Einfluss des Auslandes mit Erfolg zu entziehen suchte, war Hamburg, wo nicht nur die deutsche Kirchen- und Kammermusik während des 17. Jahrhunderts eine besonders bereitwillige Pflege gefunden hatte, sondern auch 1678 eine nationale Opernbühne ins Leben gerufen war. Da es derselben jedoch an Dichtern fehlte, welche fähig gewesen wären, dem Geschmack der Gebildeten und dem des Volkes gleichzeitig Genüge zu leisten, und der letztere aus materiellen Gründen mehr und mehr die Oberhand gewann, so sank die Hamburger Oper nach kurzer Blüte wieder herab und artete schließlich zur gemeinen Posse aus. Im Jahr 1738, nachdem die angesehensten Musiker Deutschlands, Reinhard Keiser, Mattheson, zeitweilig auch Händel, sich vergebens bemüht hatten, ihr das Leben zu fristen, musste sie geschlossen werden, und die Italiener konnten nun auch in Hamburg ihren siegreichen Einzug halten.
Auch der Aufschwung, den die deutsche Dichtung um diese Zeit mit Gottsched nahm, vermochte zur Hebung der deutschen Oper nicht beizutragen, vielmehr geriet sie noch weiter in Misskredit, nachdem der genannte Professor in seiner "Kritischen Dichtkunst" (1729) die Oper als "das ungereimteste Werk" bezeichnet hatte, "das der menschliche Geist jemals erfunden habe", und selbst Männer wie Gleim und Lessing das deutsche Singspiel (Operette) als kulturfeindlich bekämpft hatten.
Es bedurfte des in Frankreich gegebenen Beispiels, um die Aufmerksamkeit der künstlerischen Kreise Deutschlands aufs neue dieser Kunstgattung zuzuwenden, sowie des Talents des Dichters Chr. Fel. Weiße und des Komponisten I. A. Hiller (beide in Leipzig), um die Abneigung der Gebildeten gegen das deutsche Singspiel zu überwinden. Das von den letztgenannten verfasste Singspiel "Der Teufel ist los, oder: die verwandelten Weiber" fand bei seinem ersten Erscheinen (1765) ungeteilten Beifall, und die weitern Opern Hillers, namentlich "Der Dorfbarbier" und "Die Jagd", wurden schnell in ganz Deutschland beliebt, obwohl man sich allerorten für ihre Darstellung mit untergeordneten, von der italienischen Oper verschmähten Gesangskräften begnügen musste.
Einen noch günstigern Boden für ihre Entwickelung fand die deutsche Oper in Wien, nachdem in demselben Jahr Joseph II den Thron bestiegen und der nationalen Kunst seine Teilnahme zugewendet hatte. Unter seiner persönlichen Fürsorge gewann die Operette bald ein solches Ansehen, dass selbst ein Goethe ihr seine Tätigkeit widmete, und als endlich Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), der bis dahin ausschließlich für die italienische Oper tätig gewesen war, unter dem Schutz des Kaisers seinen Lieblingswunsch, eine deutsche Oper zu komponieren, verwirklichen konnte (die 1782 zum erstenmal aufgeführte "Entführung aus dem Serail"), trat auch in Deutschland die nationale Oper ins Leben.
Noch weit wichtigere Dienste aber leistete Deutschland während des 18. Jahrhunderts der Tonkunst auf dem Felde der Instrumentalmusik, welche im Verlauf desselben durch Joseph Haydn (1732-1809), Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven (1770-1827) derart vervollkommt war, dass sie nunmehr der Vokalmusik ebenbürtig zur Seite stehen konnte. Wie Bedeutendes auch diese Meister in allen Gattungen der Komposition geschaffen haben, so liegt doch der Schwerpunkt ihrer Leistungen in der Ausbildung der cyklischen Instrumentalformen: der Sonate, des Streichquartetts, der Orchestersymphonie.
In diesen Gattungen, welchen allen die Form der modernen Sonate zu Grunde liegt, konnte die Kunst des Tondichters sich um so reicher entfalten, als hier die einzelnen Sätze untereinander organisch verbunden sind, im Gegensatz zu den altern Instrumentalformen, der Partita und der Suite, in welchen eine Anzahl von Tonstücken, vorwiegend Tänze, zwar cyklisch aneinander gereiht, doch ohne innere organische Beziehung zu einander erscheinen. Was den Ursprung der erstern, künstlerisch ungleich höher stehenden cyklischen Form betrifft, so ist derselbe auf die dreiteilige Opernouvertüre zurückzuführen, in der Gestalt, welche sie in Italien durch A. Scarlatti erhalten hatte, nämlich mit einem Anfang und Schlusssatz in lebhafter, und einem Mittelsatz in langsamer Bewegung.
Bei immer zunehmender Ausdrucksfähigkeit der Instrumente hatte man begonnen, diese Ouvertüre auch außerhalb des Theaters, zu Konzertzwecken, zu benutzen, was in der Folge zu einer Trennung und innern Durchbildung der drei Sätze führte, wobei jedoch die Einheit des Ganzen nicht aus dem Auge gelassen wurde. Als das Ergebnis dieses Prozesses entstand das schon erwähnte italienische Violinkonzert des Vivaldi und die Klaviersonate des Ph. Em. Bach, beide Muster der Sonatenform, welche von Haydn und Mozart zwar mit neuem, reichem Geist erfüllt, im wesentlichen jedoch (abgesehen von der Hinzunahme eines vierten Satzes, des der Suite entlehnten Menuetts) unverändert gelassen wurde.
Beethoven endlich war es vorbehalten, diese Form bis zur äußersten Grenze ihrer Erweiterungsfähigkeit zu führen und sie, wie Richard Wagner in seiner Schrift "Zukunftsmusik" sagt,
- "mit einem so unerhört mannigfaltigen und hinreißenden melodischen Inhalt zu erfüllen, dass wir heute vor der Beethovenschen Symphonie wie vor dem Markstein einer ganz neuen Periode der Kunstgeschichte überhaupt stehen; denn durch sie ist eine Erscheinung in die Welt getreten, von welcher die Kunst keiner Zeit und keines etwas auch nur annähernd Ähnliches aufzuweisen hat. Indem hier die Musik eine Sprache redet, die mit ihrer freien und kühnen Gesetzmäßigkeit uns mächtiger als alle Logik dünken muss, während doch das vernunftgemäße, um Leitfaden von Grund und Folge sich bewegende Denken hier gar keinen Anhalt findet, muss uns Beethovens Symphonie geradeswegs als eine Offenbarung aus einer anderen Welt erscheinen."
Die Harmonie, der Akkord, ist nach ihrer Auffassung nicht mehr das zufällige Ergebnis des Zusammenerklingens zweier oder mehrerer Melodien, sondern die notwendige, durch die Natur gegebene Ergänzung jeder einzelnen Tonreihe, wie dies Rameau an den zu jedem Ton miterklingenden Obertönen (am deutlichsten die Oktave, Quinte und Terz), der Violinist Tartini in seinem 1754 erschienenen "Trattato di musica" an dem so genannten Kombinationston, d. h. einem zu zwei höhern Tönen mitklingenden tiefern Ton, nachzuweisen suchten.
Die so begründete harmonische Vervollständigung der Melodie darzustellen, war die Aufgabe des Generalbasses, und da der ihn ausführende Künstler sich keineswegs darauf beschränkte, die bloßen durch die Ziffern angezeigten Akkorde hören zu lassen, sondern die melodischen Motive auch in der Begleitung kunstgemäss zu verwerten hatte, so wurde die Kunst des Generalbassspielens nach und nach zum Inbegriff alles dessen, was zur Technik der Tonsetzkunst gehörte.
In dieser Bedeutung erscheint sie in dem 1711 veröffentlichten Werk des Dresdener Kapellmeisters J. D. Heinichen: "Der Generalbaß in der Komposition", wie auch in den von J. S. Bach hinterlassenen "Vorschriften und Grundsätze zum vierstimmigen Spielen des Generalbaß oder Akkompagnement"; und wenn auch Fux in seinem "Gradus ad Parnassum" (1725) und später der Bologneser Giambattista Martini in seinem "Saggio di contrappunto" (1774) auf die ältere Methode zurückgingen, so behauptete sich doch die auf den Generalbass gegründete Lehre, namentlich seitdem sie durch die Berliner Theoretiker Kirnberger ("Kunst des reinen Satzes", 1774) und Marpurg ("Abhandlung von der Fuge", 1753) vervollständigt war, für die Folgezeit als die herrschende. Zur Verdrängung der ältern Lehre wirkte noch der Umstand mit, dass die durch Ausbildung des Einzelgesanges und dessen Begleitung veränderte Stellung und wesentliche Bereicherung der Harmonie eine Vereinfachung des Tonsystems zur notwendigen Folge gehabt hatte.
Um das aus harmonischem Gebiet Errungene, um die besonders nach Einführung der gleichschwebenden Temperatur gewonnene unbeschränkte Freiheit im Modulieren völlig zu genießen, verzichtete man auf die melodische Mannigfaltigkeit der Kirchentonarten und begnügte sich von nun an mit zwei Tonarten: die Oktavengattungen mit großer Terz wurden aus die ionische, die mit kleiner Terz auf die äolische Zurückgeführt, und damit war das bis zur Gegenwart herrschend gebliebene Dur- und Mollsystem endgültig angenommen.
Zu diesen Fortschritten kommt noch der für die Musik des 18. Jahrhunderts charakteristische Ausschwung der Musikwissenschaft. Die Geschichte der Musik, von frühern Schriftstellern nur gelegentlich berührt und meist in phantastifcher Weise behandelt (wie z. B. in der 1650 zu Rom erschienenen "Musurgla universalis" des Jesuiten Athanasius Kircher), wird ein Gegenstand systematischen Studiums. Als einer der ersten namhaften Musikhistoriker erscheint in Deutschland der Sorauer Kantor Printz mit seiner 1690 veröffentlichten "Historischen Beschreibung der edeln Sing- und Klingkunst"; ihm folgen Marpurg ("Historisch-kritische Beiträge", 1754-1760), J. A. Hiller ("Lebensbeschreibungen berühmter Tonkünstler", 1784) und Forkel ("Geschichte der Musik", 1788-1801, und "Allgemeine Litteratur der Musik", 1792).
In Italien wirken auf demselben Gebiet und mit gleichem Erfolg der oben genannte Padre Martini ("Storia della musica", 1775-1781) und Arteaga ("Le revoluzloni del teatro musicale Italiano", 1785); in Frankreich Burette, der erste glückliche Entzifferer der in der Renaissancezeit aufgefundenen, damals noch unverständlich gebliebenen Fragmente altgriechischer Musik, und de la Borde ("Essai sur la musique ancle1111e et inoderne", 1780); in England Burney ("A general history of music", 1776-1789) und Hawkins ("A general history of the science and practice of music", 1776).
Als zuverlässige Hilfsmittel bieten sich den Historikern dieser Zeit die mit Gründlichkeit und Sachkenntnis redigierten Sammelwerke von Markus Meibom ("Antiquae musicae auctores septem", 1652) und vom Fürstabt Gerbert ("Scriptores ecclesiastici", 1784), erstere die wichtigsten Musikschriftsteller des Altertums, letztere die des Mittelalters reproduzierend; ferner die Arbeiten der Lexikographen, unter denen Brossard ("Dictlomiaire de musique", 1703) und I. I. Rousseau ("Dictlonnaire de musique", 1768) in Frankreich, I. G. Walther ("Musikalisches Lexikon", 1732) und Gerber ("Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler", 1792) in Deutschland hervorragen.
Ferner ist noch der Akustik zu gedenken, welche im Lauf des 18. Jahrhunderts durch den Franzosen Sauveur ("Système général des 111-tervalles des sons", 1701), der auch die Bezeichnung "Akustik" für die Lehre vom Schall einführte, sowie in Deutschland durch Euler ("Dissertatio de sono", 1727) und Chladni ("Entdeckungen über die Theorie des Klanges", 1787) in erfolgreicher Weise ausgebildet wurde.
Die Anwendung der 1750 von A. G. Baumgarten unter dem Namen Ästhetik ausgebildeten Wissenschaft vom Sinnlich-Schönen auf das musikalische Kunstwerk endlich versuchte zum erstenmal der Dichter-Komponist Daniel Schubart in seinen nach seinem Tod veröffentlichen "Ideen zur Ästhetik der Tonkunst" (1806).
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Siehe auch: Portal Musik, Geschichte der Musik