Mitentscheidungsverfahren
Das Mitentscheidungsverfahren ist das wichtigste der legislativen Verfahren in der EU (Europäische Union). Die Funktionsweise ist im Artikel 251 des EG Vertrags (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, in der zur Zeit gültigen Fassung des Vertrags von Nizza) beschrieben.
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2 Geschichte 3 Internetlinks 4 Artikel 251 5 Anwendungsbereiche des Mitentscheidungsverfahrens in der EU 6 Weblinks |
Die Europäische Kommission hat das Initiativrecht und schlägt einen Rechtsakt vor. Das Europäische Parlament kann in erster Lesung Änderungen dazu annehmen. Es folgt die erste Lesung des Ministerrats, wobei der Rat die Änderungen des Parlaments annehmen kann oder nicht und eigene Änderungen beschließen kann. Das Ergebnis der ersten Lesung des Rats heißt "Gemeinsamer Standpunkt". Bis hierher gibt es keine Zeitlimits, so dass eine Gesetzesinitiative blockiert werden kann.
Das Europäische Parlament kann in zweiter Lesung auf den Gemeinsamen Standpunkt reagieren. Es kann nicht übernommene Änderungen seiner ersten Lesung wieder einsetzen und die vom Rat vorgenommenen Änderungen ebenfalls abändern. Der Rat hat dann ebenfalls in zweiter Lesung die Möglichkeit, darauf zu reagieren.
Falls nach der zweiten Lesung die Texte von Parlament und Rat unterschiedlich sind, muss ein Vermittlungsausschuss einberufen werden, ähnlich dem Verfahren, wie es zwischen Bundestag und Bundesrat besteht.
Im Vermittlungsausschuss sitzt je ein Vertreter jedes Mitgliedsstaates sowie eine gleiche Anzahl von Mitgliedern des Europäischen Parlaments. Sie müssen innerhalb einer bestimmten Frist zu einem Kompromisstext kommen, sonst ist das Verfahren gescheitert. Der Kompromiss muss dann noch vom Rat (mit qualifizierter Mehrheit) und vom Plenum des Parlaments (mit absoluter Mehrheit) bestätigt werden, sonst ist er gescheitert. Zu den Fristen s. u. Artikel 251.
Das Mitentscheidungsverfahren stärkt erheblich die Rolle des Europäischen Parlamentes. In allen vom Verfahren betroffenen Politikbereichen hat es gemeinsam mit dem Ministerrat das letzte Wort in Entscheidungen.
Faktisch zeigt sich, dass nur ein geringer Teil der Verfahren tatsächlich durch ein Vermittlungsverfahren gelöst werden muss. Die absolute Zahl der Verfahren bleibt nahezu konstant. Im Zeitraum 1994-1999 waren es im Schnitt 12 Vermittlungsverfahren jährlich (was damals 40% von 30 entsprach). In den parlamentarischen Jahren 1999/2000 waren es 17 (26% von 65), 2000/2001 20 (30% von 66), 2001/2002 17 (23% von 73) und 2002/2003 15 (17% von 87). Seit 1999 und dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages ist es möglich, das Verfahren mit der ersten Lesung zu beenden. Von dieser Möglichkeit wird Gebrauch gemacht. 1999/2000 in 13 Fällen (20%), 2000/2001 in 19 Fällen (29%), 2001/2002 ebenfalls in 19 Fällen (26%) und 2002/2003 in 23 Fällen (27%).
Es kommt auch vor, dass Verfahren in dritter Lesung scheitern, dies geschah zum ersten Mal im Dezember 1994 beim Verfahren zur Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen (Bericht Rothley). In solch einem Fall muss die Kommission einen neuen Vorschlag vorlegen, das Verfahren beginnt von Vorne.
(1) Wird in diesem Vertrag hinsichtlich der Annahme eines Rechtsakts auf diesen Artikel Bezug genommen, so gilt das nachstehende Verfahren.
(2) Die Kommission unterbreitet dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Vorschlag.
Nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments verfährt der Rat mit qualifizierter Mehrheit wie folgt:
- Billigt er alle in der Stellungnahme des Europäischen Parlaments enthaltenen Abänderungen, so kann er den vorgeschlagenen Rechtsakt in der abgeänderten Fassung erlassen;
- schlägt das Europäische Parlament keine Abänderungen vor, so kann er den vorgeschlagenen Rechtsakt erlassen;
- anderenfalls legt er einen gemeinsamen Standpunkt fest und übermittelt ihn dem Europäischen Parlament. Der Rat unterrichtet das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über die Gründe, aus denen er seinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt hat. Die Kommission unterrichtet das Europäische Parlament in allen Einzelheiten über ihren Standpunkt.
Hat das Europäische Parlament binnen drei Monaten nach der Übermittlung
a) den gemeinsamen Standpunkt gebilligt oder keinen Beschluss gefasst, so gilt der betreffende Rechtsakt als entsprechend diesem gemeinsamen Standpunkt erlassen;
b) den gemeinsamen Standpunkt mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen;
c) mit der absoluten Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen an dem gemeinsamen Standpunkt vorgeschlagen, so wird die abgeänderte Fassung dem Rat und der Kommission zugeleitet; die Kommission gibt eine Stellungnahme zu diesen Abänderungen ab.
(3) Billigt der Rat mit qualifizierter Mehrheit binnen drei Monaten nach Eingang der Abänderungen des Europäischen Parlaments alle diese Abänderungen, so gilt der betreffende Rechtsakt als in der so abgeänderten Fassung des gemeinsamen Standpunkts erlassen; über Abänderungen, zu denen die Kommission eine ablehnende Stellungnahme abgegeben hat, beschließt der Rat jedoch einstimmig. Billigt der Rat nicht alle Abänderungen, so beruft der Präsident des Rates im Einvernehmen mit dem Präsidenten des Europäischen Parlaments binnen sechs Wochen den Vermittlungsausschuss ein.
(4) Der Vermittlungsausschuss, der aus den Mitgliedern des Rates oder deren Vertretern und ebenso vielen Vertretern des Europäischen Parlaments besteht, hat die Aufgabe, mit der qualifizierten Mehrheit der Mitglieder des Rates oder deren Vertretern und der Mehrheit der Vertreter des Europäischen Parlaments eine Einigung über einen gemeinsamen Entwurf zu erzielen. Die Kommission nimmt an den Arbeiten des Vermittlungsausschusses teil und ergreift alle erforderlichen Initiativen, um auf eine Annäherung der Standpunkte des Europäischen Parlaments und des Rates hinzuwirken. Der Vermittlungsausschuss befasst sich hierbei mit dem gemeinsamen Standpunkt auf der Grundlage der vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Abänderungen.
(5) Billigt der Vermittlungsausschuss binnen sechs Wochen nach seiner Einberufung einen gemeinsamen Entwurf, so verfügen das Europäische Parlament und der Rat ab dieser Billigung über eine Frist von sechs Wochen, um den betreffenden Rechtsakt entsprechend dem gemeinsamen Entwurf zu erlassen, wobei im Europäischen Parlament die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen und im Rat die qualifizierte Mehrheit erforderlich ist. Nimmt eines der beiden Organe den vorgeschlagenen Rechtsakt nicht innerhalb dieser Frist an, so gilt er als nicht erlassen.
(6) Billigt der Vermittlungsausschuss keinen gemeinsamen Entwurf, so gilt der vorgeschlagene Rechtsakt als nicht erlassen.
(7) Die in diesem Artikel genannten Fristen von drei Monaten bzw. sechs Wochen werden auf Initiative des Europäischen Parlaments oder des Rates um höchstens einen Monat bzw. zwei Wochen verlängert.Funktionsweise des Verfahrens
Geschichte
Das Mitentscheidungsverfahren wurde mit dem Vertrag von Maastricht (1991, trat 1993 in Kraft) eingeführt. Es galt damals nur in einigen wenigen Bereichen, wie für das Forschungsrahmenprogramm und in der Verbraucherpolitik und einigen mehr. Mit jeder Vertragsreform - Vertrag von Amsterdam 1997, in Kraft seit 1999), Nizza (2001, in Kraft seit 2003) kamen Bereiche hinzu, so dass das Verfahren zur Zeit in mehr als der Hälfte aller Gesetzgebungsverfahren Anwendung findet. Im Amsterdamer Vertrag wurde das Verfahren zudem vereinfacht, so dass es nun schneller durchgeführt werden kann. Der auf EU-Ebene wichtigste Politikbereich, der nicht unter das Mitentscheidungsverfahren fällt ist allerdings weiterhin die Agrarpolitik.Internetlinks
Seite des Vermittlungsausschusses im EP:
[1]Artikel 251