Michael Jary
Am 24. September 1906 wurde Michael Jary als Max Jarczyk im oberschlesischen Laurahütte bei Kattowitz geboren. Die Familie ist eigentlich nicht künstlerisch vorbelastet: Der Vater Werkmeister in der Königshütte, die Mutter Schneiderin. Und der Berufswunsch des kleinen Max ist gar nicht musikalisch: Missionar.So verbringt er seine Schulzeit im Kloster der Steyler Missionare bei Neiße und entdeckt dort seine Liebe zur Musik. Gerade 18 Jahre alt verläßt Max die heilige Stätte, um sich auf den Weg hinaus in die Musik-Welt zu machen. Das bedeutet zunächst: Konservatorium in Beuthen, die Leitung eines Kirchen- und Arbeiterchors, erste Kammermusikwerke, die der Sender Gleiwitz ausstrahlt, und schließlich Engagements als zweiter Kapellmeister der Stadttheater von Neiße und Plauen. Sein Ziel ist die elitäre Kompositionsklasse für Musik an der Staatlich Akademischen Musikhochschule zu Berlin, wo Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky und Franz Schreker unterrichten.
Die Aufnahmeprüfung 1929 schafft Jarczyk problemlos. Seine kargen Finanzen bessert der angehende Zwölftöner als Pianist in Cafés oder im Kino auf. Die Verleihung des Beethoven-Preises der Stadt Berlin zwei Jahre später ist eine große Ehre für den jungen Mann. Der Traum vom großen Glück als sogenannter ernster Komponist endet am 8. Februar 1933 jäh, dem Tag seines Abschlußkonzertes. In geliehenem Frack will Max Jarczyk sein Konzert für zwei Klaviere, Trompete und Posaune dirigieren, wird aber von Mitgliedern des Kampfbundes für deutsche Kultur ausgebuht. Paul Graener, der neue Direktor des Stern'schen Konservatoriums, diffamiert das Konzert als "... kulturbolschewistisches Musikgestammel eines polnischen Juden "!
Jarczyk muß untertauchen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Er schreibt unter dem Pseudonym Jackie Leeds Arrangements und als Max Jantzen Chansons. Als er erkennt, daß ein Max Jarczyk 1936 keine Karriere machen kann, entscheidet er sich für einen definitiven Künstlernamen. Es werden die störenden Konsonanten gestrichen und der zweite Vorname genommen - geboren ist MICHAEL JARY.
Sinfonische Untermalungsmusik - das ist sein Ding. Doch dann komponiert er für den Streifen Die große und die kleine Welt seine erste Filmmusik. Danach entwickelt er sich schnell zum "Geheimtip" unter den Filmkomponisten. Die vielfältigen Möglichkeiten des Soundtracks interessieren ihn. Auch Swing-Arrangements und Jazz gehören trotz des staatlichen Diktats zu seinem Repertoire. Der Durchbruch als Schlagerkomponist beginnt 1938 mit Roter Mohn. Zuvor hätte er der Unterhaltungsmusik beinahe den Rücken gekehrt. Als Dirigent des vielgerühmten Szymanowski-Gedächtniskonzertes in Berlin erhält er eine Einladung von Ernest Ansermet nach Genf. Doch die NS-Behörden verweigern Jary die Ausreise. Gezwungen in Deutschland zu bleiben, komponiert er, meist zusammen mit dem Textdichter Bruno Balz, Filmhits, die heute Evergreens sind: Vom unerschütterlichen Seemann über Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn bis zum Karussell.
Kurz vor Kriegsende gründet er eine Kapelle, das Radio-Tanz-Orchester-Berlin (RBT), unter sowjetischer Besatzung organisiert Jary die ersten Rundfunksendungen. 1948 gründet er seinen eigenen Verlag, die Michael Jary-Produktion, die in den 50er Jahren sogar ein Büro in New York unterhält. Die Musik zu aufwendigen Revuefilmen will er schreiben. Daß er es kann, hat Jary 1943 für den Streifen Karneval der Liebe bereits eindrucksvoll bewiesen. 1949 geht er deshalb nach Hamburg. Es folgen Film auf Film, Erfolg auf Erfolg. Melodien wie "Leise rauscht es am Missouri", "Das machen nur die Beine von Dolores", "Mäki-Boogie", "Heut' liegt was in der Luft" und viele andere gehören heute zu den Standardwerken der Unterhaltungsmusik. Interpreten wie Zarah Leander, Rosita Serrano, Evelyn Künneke, Gerhard Wendland, Heinz Rühmann, Hans Albers haben seine Lieder gesungen.
Ende der 50er Jahre läßt sich "Mäki", wie ihn seine Freunde nennen, nicht für schnell produzierte Billigfilmchen einspannen und schreibt auch keine Titel, die an die Musikbox-Laufzeiten gebunden sind. Doch noch einmal wird er der Branche zeigen, was er kann: Für die deutsche Vorentscheidung zum Grand Prix 1960 komponiert er "Wir wollen niemals auseinandergehn". Niemand glaubt an den Titel, bei der Festivaljury fällt er auf Platz zwei zurück, ist aber bis heute einer der größten Erfolge der deutschen Schlagergeschichte.
Nach diesem persönlichen Sieg findet Jary zu seinen Wurzeln zurück. Er schreibt das Musical Nicole, das 1963 in Nürnberg uraufgeführt wird und später Serien-Rekorde im Ostblock feiert, und in seiner Schweizer Wahlheimat oberhalb des Luganer Sees greift er für sinfonische Werke zum Bleistift (nur der Aschenbecher bleibt nach drei Herzinfarkten 1975 leer).
Michael Jary starb am 12. Juli 1988 in München, sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg.