Menschenwürde
Der Begriff der Menschenwürde ist Ausdruck der philosophischen Idee, dass jeder einzelne Mensch - unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion, Nationalität oder irgendwelchen anderen Unterscheidungsmerkmalen - allein aufgrund seiner bloßen Existenz einen eigenen inneren Wert besitzt, den er nicht verlieren und der ihm nicht genommen werden kann. Aus dieser Würde fließen ihm gewisse, ebenso unverlierbare Menschenrechte zu. Nur wo die unbedingte Anerkennung und der Schutz von Menschenwürde und Menschenrecht im Prinzip gewährleistet sind, kann man von einem freiheitlichen Gemeinwesen sprechen.
Table of contents |
2 Der Begriff der Menschenwürde bei Kant 3 Menschenwürde als Verfassungsprinzip 4 Die Menschenwürde in der politischen Diskussion 5 Weblinks |
Historische Entwicklung der Idee
Die Idee der Menschenwürde hat tiefreichende historische Wurzeln. Einzelne Ausprägungen dessen, was heute zusammenfassend unter "Menschenwürde" verstanden wird, finden sich bereits im frühen Judentum, im Christentum und im Islam. Dazu zählt etwa der Gleichheitsgedanke, der sich in den drei Offenbarungsreligionen zunächst als "Gleichheit aller Gläubigen vor Gott" manifestierte. Als Folge der Reformation und der protestantischen Vorstellung vom allgemeinen Priestertum, fand seit dem 16. Jahrhundert der Gedanke der Gewissensfreiheit immer größere Verbreitung. Auch außereuropäische Religionen und Philosophien wie der Buddhismus und der Konfuzianismus kennen die Anerkennung des Werts und der Würde des einzelnen Menschenlebens. Zu einem umfassenden philosphischen Konzept ausformuliert wurde der Begriff der Menschenwürde aber erst im Zuge der europäischen Aufklärung im 17 und 18. Jahrhundert.
Die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten beispielsweise spricht von "gewissen, unveräußerlichen Rechten" wie dem auf "Leben, Freiheit und dem Streben nach Glück", die indirekt den Begriff der Menschenwürde voraussetzen, diese aber nicht direkt erwähnen. Dies trfft auch auf die 1791 von der französischen Nationalversammlung verabschiedete "Erklärung der Menschen und Bürgerrechte" zu.
Der Philosoph Immanuel Kant hat in seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten die Achtungswürdigkeit und die Menschenwürde an sich im weitesten Sinne definiert. Das Grundprinzip der Menschenwürde besteht für ihn in der Achtung vor dem Anderen, der Anerkenntnis seines Rechts zu existieren und in der Anerkenntnis einer prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen. Kant geht davon aus, dass der Mensch ein „Zweck an sich“ sei und demnach nicht einem ihm fremden Zweck unterworfen werden darf. Das heißt: Die Menschenwürde wird verletzt, wenn ein Mensch einen anderen bloß als Mittel für seine eigenen Zwecke benutzt - etwa durch Sklaverei, Unterdrückung oder Betrug.
Siehe auch: Die Metaphysik der Sitten
Heute erkennen die Verfassungen aller liberalen Demokratien die Menschenwürde implizit an, wenn der Begriff auch nicht direkt erwähnt und sein Umfang unterschiedlich weit ausgelegt wird. Als oberstes Prinzip der Verfassungsordnung wird die Menschenwürde nur im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und in der Verfassung Südafrikas ausdrücklich genannt.
Die Achtung vor der Menschenwürde ist in Artikel 1 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben:
"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt."
Die Schutzverpflichtung des Staates gilt also nicht nur gegenüber seinen Bürgern, sondern gegenüber allen Menschen im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Dieses listet gleich im Anschluss an Artikel 1 diejenigen Grundrechte auf, die sich aus der Würde des Menschen ergeben, etwa das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit, das Recht auf Eigentum und Unverletzlichkeit der Wohnung etcetera.
Zugleich ergeben sich aus der Menschenwürde gewisse Verbote, wie das entwürdigender Bestrafung. So ist beispielsweise die Todesstrafe in Deutschland durch Verfassungsrecht abgeschafft. Andere Rechtssysteme, wie etwa das der USA, sehen die Todesstrafe dagegen nicht im Widerspruch zur Menschenwürde.
Das Grundgesetz hingegen schließt also eine erniedrigende Behandlung von Menschen als unvereinbar mit deren Würde aus. Keine Person darf zum bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden, insofern ihre Subjektqualität damit infrage gestellt wird (vergleiche Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1970, BVerfGE 30,1). Die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz des Menschen müssen vom Staat garantiert werden (vergleiche Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juni 1977, BVerfGE 45,187).
Artikel 1 des Grundgesetzes, einschließlich des Bekenntnisses zu den Menschenrechten und der Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte, stehen unter dem besonderen Schutz einer so genannten Ewigkeitsgarantie. Laut Art. 79 Abs. 3 GG ist eine " Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche (...) die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden (...) unzulässig." Das heißt: Sie dürften auch in einer möglichen neuen, das Grundgesetz ablösenden Verfassung nicht in ihrer Substanz verändert werden.
Als oberster Instanz der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland muss sich auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder mit dem Begriff der Menschenwürde befassen. Bei Normenkontrollklagen geht es beispielsweise darum, festzustellen, ob neue Gesetze oder Verordnungen von Bund, Ländern und Gemeinden mit dem Gebot des Schutzes der Menschenwürde in Einklang stehen. Aktuelle Beispiele dafür sind das so genannte Abhörurteil und das Urteil zur lebenslänglichen Freiheitsstrafe.
Aufgrund ihrer Herkunft aus der Philosophie der europäischen Aufklärung werden die eng mit der Idee der Menschenwürde verknüpften Menschenrechte heute von einigen außereuropäischen Kritikern als rein westliche Werte abgelehnt, die ihrer Kultur nicht gemäß seien. Kritiker dieser Position vertreten die Ansicht, Menschenwürde und Menschenrecht seien ihrem innersten Wesen nach universell gültig.
In Deutschland kam es in den 1990er Jahren unter anderem in der politischen Auseinandersetzung um die Gentechnologie, die Abtreibung und die pränatale Diagnostik zu Diskussionen darüber, wie weit die Menschenwürde reicht. In der Ethikdebatte um das Embryonenschutzgesetz etwa wurde dem menschlichen Embryo - im Rückgriff auf Kants Definition - eine personale Menschenwürde, also ein absolutes und unverfügbares Existenzrecht zugesprochen, um ihn jeder technischen und ökonomischen Nutzung zu entziehen. Dahinter steht die Befürchtung, dass der Mensch nicht nur einer industrialisierten Umwelt ausgesetzt wird, sondern zum Produkt der industriellen Gestaltung des Lebens selbst werden könnte, und seine biologische Ausgestaltung sich letztlich ökonomischen Verwertungsinteressen nicht mehr entziehen könnte.
Siehe auch: Aufklärung, Grundgesetz, Charta der Vereinten Nationen, Grundrechte, Menschenrechte, Bürgerrechte, Weltbild
Der Begriff der Menschenwürde bei Kant
Menschenwürde als Verfassungsprinzip
Die Menschenwürde im Grundgesetz
Die Thematik in Urteilen des Bundesverfassungsgerichts
Die Menschenwürde in der politischen Diskussion
Weblinks
Rechtshinweis