Kurfürst
Ein Kurfürst (lat.: princeps elector imperii oder elector) gehörte zu der begrenzten Zahl jener Fürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, die das Kurfürstenkollegium bildeten und denen seit dem 13. Jahrhundert das alleinige Recht zur Wahl (der sog. Kur, mittelhochdeutsch: kur oder kure) des deutschen Königs und römischen Kaisers zustand.
Zusammensetzung des Kurfürstenkollegiums
Im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit gehörten dem Kurfürstenkollegium sieben Reichsfürstenen an, drei geistliche und vier weltliche:
- der Erzbischof von Mainz
- der Erzbischof von Köln,
- der Erzbischof von Trier
- der Pfalzgraf bei Rhein
- der Herzog von Sachsen
- der Markgraf von Brandenburg und
- der König von Böhmen
Geschichte des Kurfürstenkollegiums
Ursprünge
Die vergleichsweise häufigen Dynastiewechsel im ostfränkischen, später römisch-deutschen Reich – von den Karolingern über die Liudolfinger und Salier zu den Staufern - machten regelmäßig die Wahl eines neuen Königs und eines neuen Herrschergeschlechts erforderlich. Anders als die meisten übrigen Staaten Europas war Deutschland daher eine Wahlmonarchie geblieben, so wie es ursprünglich alle germanischen Nachfolgestaaten des römischen Reichs gewesen waren. Auch der Sohn eines regierenden deutschen Königs brauchte zu seiner Anerkennung als dessen rechtmäßiger Nachfolger stets die Wahl und Zustimmung der sogenannten Großen des Reichs, die oft noch zu Lebzeiten des Vaters erfolgte.
Ursprünglich waren alle Reichfürsten zur Wahl des neuen Herrschers berechtigt. Allerdings gab es seit je her einen kleinen Kreis von Vorwählern (laudatores), denen eine Vorentscheidung zustand. Zu diesen Vorwählern gehörten nicht notwendigerweise die mächtigsten, sondern die vornehmsten Fürsten des Reichs, die an Rang und Würde dem König am nächsten kamen. Zu ihnen gehörten die drei Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Pfalzgraf bei Rhein, weil ihre Territorien auf altem fränkischen Reichboden lagen. Eine Wahl war nur dann rechtmäßig, wenn auch die Vorwähler ihr zugestimmt hatten. Wahrscheinlich hat sich das spätere Kurfürstenkollegium aus dieser Gruppe von Vorwählern heraus entwickelt.
Entwicklung bis 1356
Mit dem Tod Kaiser Heinrichs VI (1190-1197) scheiterte auch endgültig dessen Erbreichsplan, der letzte Versuch, das Reich in eine erbliche Monarchie umzuwandeln. Im daraufhin ausbrechenden welfisch-staufischen Thronstreit, bei dem es 1198 zur Doppelwahl zweier Thronkandidaten kam, warf sich Papst Innozenz III zum Schiedsrichter auf. Da seit der Kaiserkrönung Ottos des Großen 962 das deutsche Königtum mit der römischen Kaiserwürde verbunden war, hatten die Päpste stets ein hohes Interesse an einem Mitwirkungsrecht an der deutschen Königswahl. Innozenz setzte sich 1198 mit der Auffassung durch, dass für eine rechtmäßige Wahl die Zustimmung der drei rheinischen Erzbischöfe und des Pfalzgrafen bei Rhein unerlässlich sei.
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts wird diese Kerngruppe um den Herzog von Sachsen und den Markgrafen von Brandenburg erweitert. Im Sachsenspiegel des Eike von Repgow aus dem Jahr 1220 heißt es: “Bei des Kaisers Kur soll der erste sein der Bischof von Mainz, der zweite der von Trier, der dritte der von Köln.“ Dann folgen die drei weltlichen Fürsten, während der Sachsenspiegel dem König von Böhmen das Wahlrecht noch ausdrücklich abspricht, “weil er kein Deutscher ist“.
Als feste Institution, die alle übrigen Reichsfürsten von der Wahl ausschließt, tritt das Kurfürstenkollegium erstmals 1257 nach dem Tod des Königs Wilhelm von Holland auf. Auch der König von Böhmen nimmt an der nachfolgenden Wahl teil, kann aber seine dauerhafte Zugehörigkeit zu dem Kollegium erst 1289 durchsetzen. Später, während der Hussitenkriege im 15. Jahrhundert, ruhte die böhmische Kurwürde erneut.
Im Jahr 1338 schlossen sich die Kurfürsten im Kurverein von Rhens enger zusammen, um sich künftig vor Königswahlen miteinander abzustimmen. Aus dem Kurverein ging später der Kurfürstenrat des Reichstags hervor. Zudem bestimmten die Kurfürsten in Rhens, dass dem Papst kein Approbationsrecht zustehe und dass der von ihnen gewählte „Römische König“ nicht dessen Zustimmung benötige. Alle Rechte und Pflichten der Kurfürsten hatten sich bis dahin gewohnheitsrechtlich herausgebildet. Unter Kaiser Karl IV wurde in der Goldenen Bulle von 1356 das Prozedere der deutschen Königswahl endgültig rechtlich fixiert. Die Goldene Bulle bildete bis 1806 die Grundlage der Verfassungsordnung des alten Reichs.
Von großer Bedeutung für die weitere Entwicklung des Reichs ist, dass die Kurfürsten seit dem Tod des Stauferkaisers Friedrich II vom dynastischen Prinzip – also von der Wahl eines Mitglieds der herrschenden Dynastie – zu „springenden Wahlen“ übergingen. Damit gehörte praktisch jeder Reichsfürst zu den möglichen Thronkandidaten. Die Kronprätendenten mussten sich die Wahl durch umfangreiche Zugeständnisse erkaufen, etwa mit der Verleihung von Privilegien an die Kurfürsten, die in Wahlkapitulationen genau festgehalten wurden. Dies stärkte Macht und Unabhängigkeit der Landesfürsten im Reich auf Kosten der königlichen Zentralgewalt und hatte eine fortschreitende territoriale Zersplitterung Deutschlands zur Folge.
Erweiterungen im 17. Jahrhundert
Zur ersten Erweiterung des Kurfürstenkollegiums kam es zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Herzog Maximilian I von Bayern verlangte für die Hilfe, die er Kaiser Ferdinand II bei der Vertreibung des „Winterkönigs“, des pfälzischen Kurfürsten Friedrich V, aus Böhmen geleistet hatte, die Kurwürde seines wittelsbachischen Vetters. Mit der Oberpfalz wurde dem Herzog die pfälzische, die vierte Kur übertragen – 1623 zunächst nur ihm persönlich, 1628 auch für seine Nachkommen. Der Streit um die pfälzische Kur spielte eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden. Beigelegt wurde er schließlich 1648 durch die Errichtung einer neuen, achten Kur für die Pfalzgrafen.
Für seine Waffenhilfe im Pfälzischen Erbfolgekrieg gegen Frankreich verlangte 1692 Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg 1692 für sein Haus die Einrichtung einer neunten Kur. Kaiser Leopold I gab trotz der Proteste der übrigen Kurfürsten nach. Wegen deren Widerstands konnte die neunte Kur aber erst seit 1708 ausgeübt werden. Da die neuen Kurfürsten 1714 mit Georg I durch Erbfolge auf den britischen Thron gelangten, hatten im 18. Jahrhundert die Könige von England ein Mitspracherecht bei der deutschen Königswahl.
Ende der Kurfürstentümer
Während der Napoleonischen Kriege annektierte Frankreich das gesamte linke Rheinufer und damit weite Gebiete der vier rheinischen Kurfürsten. Im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurden daher die geistlichen Kuren und die pfälzische Kur aufgehoben. Die Mainzer Kurwürde wurde auf das Fürstentum Regensburg-Aschaffenburg übertragen. Für das Erzbistum Salzburg, das Herzogtum Württemberg, die Markgrafschaft Baden und die Landgrafschaft Hessen-Kassel wurden vier neue Kuren eingerichtet. All dies blieb aber ohne praktische Bedeutung, da das Heilige Römische Reich Deutscher Nation schon 1806 aufhörte zu bestehen und in der Zwischenzeit kein neuer Kaiser mehr zu wählen war. Obwohl die Kurwürde also ihre Bedeutung verloren hatte, behielt Hessen-Kassel die Bezeichnung Kurfürstentum bei (siehe auch: Kurhessen).
Wahlbestimmungen, Rechte und Pflichten
Die Wahl des deutschen Königs durch die Kurfürsten musste ursprünglich einstimmig erfolgen. Erst der Kurverein von Rhens einigte sich 1338 auf das Mehrheitsprinzip. Die Wahl des Nachfolgers konnte auch schon zu Lebzeiten des regierenden Königs stattfinden. War dies nicht geschehen, musste nach den Bestimmungen der Goldenen Bulle der Erzbischof von Mainz die übrigen Kurfürsten oder ihre Stellvertreter spätestens vier Monate nach dem Tod des Herrschers zur Wahl eines Nachfolgers nach Frankfurt am Main zusammenrufen. Dabei hatte der Vertreter von Kurtrier das Recht, seine Stimme als erster abzugeben. Die mitunter entscheidende, letzte Stimme stand dem Vertreter von Kurmainz zu. Die Krönung fand ursprünglich in Aachen durch den Erzbischof von Köln statt. Von der Wahl Maximilians II 1562 bis zur letzten deutschen Kaiserwahl 1792 erfolgten aber alle Krönungen unmittelbar nach dem Wahlakt in Frankfurt.
Bei der Krönung übten die Kurfürsten – später nur noch ihre Stellvertreter - die sogenannten Erzämter (archiofficia) aus, die fest mit der Kurwürde verbunden waren: die weltlichen Kurfürsten von der Pfalz, von Sachsen, Brandenburg und Böhmen fungierten jeweils als Erztruchsess, Erzmarschall, Erzkämmerer und Erzmundschenk. Die drei geistlichen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln waren Erzkanzler für die drei Reichsteile Deutschland, Burgund und Italien.
Nach der Goldenen Bulle standen den Kurfürsten eine Reihe von Privilegien zu: Sie besaßen das Münzregal und andere Königsrechte, sie wurden mit 18 Jahren großjährig, Angriffe auf sie galten als Majestätsverbrechen, und ihre Territorien, die Kurlande, waren unteilbar. Gegen Urteile ihrer obersten Gerichte konnte niemand Berufung beim Reichskammergericht oder beim Reichshofrat einlegen. Der König wiederum konnte keinen unter ihre Jurisdiktion fallenden Rechtsstreit an sich ziehen.